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Tzusing: „Der Dancefloor war wenig begeistert”

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Wer Tzusing schon mal in einem Club erlebt hat, weiß: Das ist keine seichte Bespaßung. Das ist die sogenannte Avantgarde der elektronischen Musik. Von TikTok sozialisierte Slalombewegungen werden sogar behaupten: Die Musik des PAN-Produzenten ist untanzbar. Doch Tzusing, der durch Veröffentlichungen auf L.I.E.S. und Public Possession bekannt wurde, ist das egal.

Er wolle sich musikalisch niemals langweilen, das funktioniere nicht mit Beats, die irgendwer schon mal produziert hat. Deshalb hält sich Tzusing nicht an rhythmische Konventionen. Darum packt er sein aktuelles Album Green Hat nicht voll mit Genre-Bezeichnungen. Es gehe vielmehr um das Gefühl, das die Platte auslöst  – und das ist Bedrohung.

Tzusing führt Techno, Footwork, manchmal auch Italo Disco und New Beat zusammen. Als Resident im Shelter, Shanghais ehemals bekanntestem Club, hat er diese Mischung jahrelang erprobt – und dabei häufig den Dancefloor leer gespielt. Wie er gerade deshalb die Szene in Shanghai geformt hat und was Bill Kouligas von PAN damit zu tun hat, bespricht Tzusing mit GROOVE-Autor Christoph Benkeser.

Tzusing sitzt im Wohnzimmer seines Bruders in Bristol. „Off-Tag in Europa. Chillen.” Im Hintergrund wuchern Pflanzen von einem weißen Raumteiler, von dem ein glitzerndes Einhorn heruntergrinst. Tzusing trägt einen schwarzen Pullover von einer Skatermarke. Als er sagt, wie es ihm geht (sehr gut!), läuft ein Kind in den Raum. „Kannst du mir einen Moment geben?”, grinst Tzusing in die Kamera. Dann legt er seine Sennheiser-Kopfhörer ab und verschwindet. Für einige Minuten blicke ich in ein Stillleben aus weißen Wänden. Eine Glasfront führt in den Garten, an den die helle Steinfassade eines dieser typisch englischen Backstein-Häuschen grenzt.

Während ich auf Tzusing warte, überfliege ich die Eckdaten seiner Biografie. Sie liest sich wie die Karriere eines Diplomaten – nur ohne Diplomatie. Tzusing kommt 1982 in Malaysia zur Welt, zieht mit seinen Eltern nach Taiwan, drückt dort eine internationale Schulbank, lernt durch die Freunde seines älteren Bruders Techno kennen, wird wegen regelmäßiger Rebellion zu Verwandten in die USA geschickt, stolpert dort über Turntables und Platten von John Digweed und Aphex Twin, bis er in Chicago landet und dort nebe Titonton Duvanté seinen ersten Gig in der Smartbar spielt.

Was auch immer Tzusing hier macht, es sieht sehr gut aus (Foto: Zeng Wu)

„Bist du noch da?”, hustet mich Tzusing aus diesen Gedanken. „Hab’ mir noch was gegen die Erkältung gemacht”, sagt er. „Ich kuriere mich gerade vom Wochenende aus.” Vergangenen Freitag spielte Tzusing bei einem PAN-Showcase mit Nunguja, Pan Daijing und Eartheater. Die Veranstaltung fand in der Bourse de Commerce statt – einem historischen Gebäude in Paris, keine Gehminute vom Louvre entfernt. François Pinault, einer der reichsten Menschen der Welt, ließ den Rundbau vor einigen Jahren renovieren. Mittlerweile starrt man dort Moderne Kunst an. Manchmal finden im Kuppelbau aber auch Konzerte wie jenes von PAN statt.

„Ich will jetzt gesund leben.”

Tzusing

„Das war eine Nacht mit zu vielen Drinks und Dingen, die einen nicht schlafen lassen”, sagt Tzusing, während er nach einem Taschentuch kramt. Zum Schnäuzen dreht er sich von der Kamera weg. Dann nimmt er einen Schluck heiße Zitrone, das helfe schon mal ganz gut gegen den kratzenden Hals. „Scheiß Alter”, sagt Tzusing cool und nippt noch einmal an der Tasse. Letztes Jahr ist er 40 geworden. Inzwischen gehe er nicht mehr feiern. Außer er spiele selbst. Das sei dann was anderes. Aber sonst: „Genug mit dem Ausgehen. Ich will jetzt gesund leben.”

Apropos Gesundheit, Hatschi! Wieder Nase putzen. Ein Schluck Zitrone. Lächeln. Das mit dem gesunden Leben sei viel einfacher in Taipeh als in Shanghai, sagt er. „Allein schon wegen des Verkehrs!” Er könne das gut beurteilen. Schließlich habe er in beiden Städten jahrelang gelebt, vor der Pandemie sogar mit jeweils einem Studio in der taiwanesischen Hauptstadt und Chinas 26-Millionen-Einwohner:innen-Metropole. Corona habe dann das „Ende eines Kapitels” markiert. Tzusing wollte die strikte Null-Covid-Politik nach zwei Jahren Pandemie nicht mehr mitmachen. Inzwischen lebt er nur noch in Taipeh, außer er ist in Europa, dann chillt er an „Off-Days” eben bei seinem Bruder in Bristol.

Nicht so geil wie die Sex Pistols, aber schon legendär

In Taipeh fährt Tzusing viel mit dem Rad. Die Stadt habe ein gutes Radsystem, außerdem sei die Stadtplanung gut. Dazu komme die Gesundheitsversorgung, die in Taiwan erschreckend gut sei. „Und hast du schon mal das Essen probiert? Das ist wirklich gut!” Überhaupt sei dort vieles sehr gut, sogar die Leute, deshalb müsse man das gar nicht groß ausführen. „Taipeh ist die großartigste Stadt der Welt, Mann! Nur die Musikszene sei nicht so gut, aber auch das ändere sich gerade, zumindest ein bisschen. Tzusing habe viele Freunde, und manche davon würden gerade eine Szene aufbauen, die sich an einem chinesischen Vorbild orientiert. Und das sei natürlich sehr gut.

Tzusing spricht manchmal wenig, aber über den berühmten Shanghai-Club Shelter, der später anders hieß und heute nicht mehr existiert, hat er viel zu erzählen. „Man liest ja immer nur über die Musikgeschichte, aber ich habe erlebt, wie sich eine Szene in Echtzeit aufbaut”, so Tzusing. „Außer den Expats haben sich die Leute in Shanghai Anfang der Zehnerjahre nicht für elektronische Musik interessiert. Aber wir haben daran geglaubt. Also blieben wir dran. Plötzlich interessierten sich jüngere Leute für das, was wir taten. Parallel dazu etablierte sich eine Modeszene in Shanghai. Und dann hingen die Modeleute im Shelter ab. Natürlich war das nicht so bedeutend wie die Sex Pistols in London. Aber eines Tages werde ich darüber lesen und mir denken, ich war dabei, ich habe das mitgestaltet!”

Tzusing hat erlebt, wie sich eine Szene in Echtzeit aufbaut (Foto: Zeng Wu)

Dass der Nachfolgeclub ALL sich zu einem Vorbild in Asien entwickeln konnte, habe viel mit einem seiner Freunde, Kim Laughton, zu tun. „Er ist bildender Künstler und hat den Club völlig neu entworfen, sagt Tzusing. „Er machte mit seinem minimalistischen Design ziemlich deutlich, dass die Musikpolitik progressiv zu sein hat. Ich will nicht gemein sein, aber es war für alle klar, dass der Club nichts mehr für klassischen House und Techno ist. Deshalb sollte das Booking nur noch den avantgardistischsten Scheiß widerspiegeln, der in der Welt passiert.” Und: „Anstatt eine arschlochartige Türpolitik zu etablieren, haben wir den Club einfach so cool gemacht, dass nur Leute gekommen sind, die wirklich dort sein wollten!”

„Scheiß auf die Leute, das war großartig!”

Gaz Williams, ehemaliger Eigentümer von Shelter und ALL

Schon zu Shelter-Zeiten war Tzusing Resident-DJ. Er legte Techno, EBM, Italo Disco, „vielleicht etwas New Beat und House” auf. Vielfältig sei das damals schon gewesen, „aber sicher kohärenter als das, was ich jetzt so mache”. Denn: 2015 sieht Tzusing, was Air Max ’97 an den Decks veranstaltet. „Sein Style hat mein Bild von DJing auf den Kopf gestellt.” Fortan macht es in Tzusings Sets nicht mehr nur „Unz, unz, unz”, weil: „Ein Footwork-Track folgt ganz anderen Regeln.” Die will Tzusing brechen. Dafür kloppt er auf Konventionen mit einer Brechstange ein, die mindestens so spitz wie ein neun Inch langer Nagel ist.

„Ich will ja keine Scheiße über andere erzählen”, sagt er. „Aber Producer, die immer noch das gleiche Zeug machen wie vor 20 Jahren, machen mir Angst!” Der Sound, der vor einigen Jahren auf Labels wie L.I.E.S und inzwischen bei PAN veröffentlicht wird, ist deshalb so ziemlich das Gegenteil von Durchhängen auf dem Dancefloor. „Nein, nein”, das sei nun wirklich nichts für ihn. Es gehe um „Risiko, Risiko, Risiko”. Immer schon. Das erste Mal, als er im Shelter den Floor geräumt habe, sei Gaz Williams, der Besitzer und Betreiber des Deconstructed-Club-Labels-SVBKVLT, zu ihm gekommen. „Scheiß’ auf die Leute, das war großartig”, habe er gesagt und ihm Rückendeckung für seine Risikobereitschaft gegeben. „Welcher Club-Boss macht sowas schon?”

Unter Wasser kann man nicht schreien – Tzusing schon (Foto: Zeng Wu)

Bei L.I.E.S, dem Label von Ron Morelli, veröffentlicht Tzusing 2014 seine erste EP. Ein „großer, großer Zufall” sei das gewesen. Er habe mit Douglas Lee, einem koreanisch-amerikanischen Producer, der sich An-i nennt, abgehangen. Man habe sich „ganz gut” verstanden, einige Songs ausgetauscht, „aber ohne große Hintergedanken”, so Tzusing. „Später meinte er, dass er die an Ron schicken muss. Ich habe nicht mal gewusst, dass er den kennt!”

Morelli meldet sich tatsächlich. Es erscheinen die EP, dann zwei weitere Platten und 2017 sein Debütalbum – Tzusings Ticket auf europäische Dancefloors, zum CTM, „überall dorthin, wo es die interessanten Sachen” gebe. Spätestens seit diesem Moment würde „niemand auf die Idee kommen”, Tzusing auf ein Tech-House-Festival zu buchen. „Und wenn doch, habe ich meinen sehr guten Agenten, der verhindert das dann.”

Mit dem Album auf PAN fühle er sich „angekommen”, denn das sei ein „sehr gutes Label”, man müsse sich nur die Künstler:innen ansehen, die dort Musik veröffentlichen: „Die haben alle ihre eigene Identität.” Dass er dort gelandet ist, sei zwar „wieder ein Zufall”, aber gleichzeitig auch „meiner Risikobereitschaft” geschuldet. Tzusing hat beim Unsound Festival gespielt „und das getan, was ich immer tue – Techno aufgelegt und nach der Hälfte mit Footwork rein”, doch: „Der Dancefloor war wenig begeistert”, und: „Danach fühlte ich mich richtig beschissen”, aber: „Bill Kouligas kam auf mich zu und meinte, dass mein Set unglaublich gewesen sei. Das war unser Anfang!”

Vom Abstumpfen und Älterwerden

Tzusings Geschichte ist eine der Auflehnung und Provokation. Von Regeln, vor allem in der Kunst, hält er nicht viel. Er will sie brechen. Immer wieder. Dass aus dieser Motivation, wie Tzsuing sagt, „bedrohliche Musik” entsteht, führt er auf seine Wut zurück. „Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die Wert auf eine strikte Erziehung gelegt hat. Bestimmte Dinge, die im Westen als Missbrauch empfunden würden, sind in Asien normal. In diesem Umfeld groß zu werden, hat mich geprägt.” Damals sei er auf dem Küchentisch rumgesprungen und habe sich die Seele aus dem Leib gebrüllt. Heute schreit er nur noch für seine Pressefotos. Katharsis findet er allerdings in seiner Musik. „Wenn ich die Bedrohung höre, fühle ich mich gut”, sagt er. „Das ist schon seltsam.”

Wer sich dieser Bedrohung aussetzen möchte, sollte sich Tzusings neues Album anhören. Auf Green Hat spielt er mit westlichen Hörgewohnheiten, bevor er sie in Stücke zerfetzt. Loops zerbröseln, Power-Drops führen in die Leere, der gesampelte Wahnsinn bricht aus. Kein Wunder, dass GROOVE-Autorin Cristina Plett die Platte zum Album des Monats gekürt hat. Tzusings Sound ist der Sparringspartner in einem Boxkampf, der in der Dunkelheit stattfindet und keinen Gegner kennt. Die Schritte müssen variieren, mit der TechTok-Wedelei ist man aufgeschmissen. Lässt man sich darauf ein, hört man zumindest nicht immer nur „Unz, unz, unz”.

Tzusing hat einige Trends erlebt in seinen 13 Jahren als DJ und Producer. Mitgemacht hat er keinen. Vielleicht sagt er deshalb Sätze wie: „Ich bin älter und abgestumpft, und deshalb weiß ich, dass es wirklich schwer ist, ein guter DJ zu sein.” Am Ende sei er mit „dieser Sache” aber noch lange nicht. Bevor er im Studio oder an den Decks einschläft, würde er eher aufhören, „dann wäre meine Zeit abgelaufen.” Dass es noch nicht so weit ist, hören wir auf seiner Platte und in seinen Live-Shows. „Da merkt man dann auch, dass ich innerlich noch nicht tot bin.”

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