Am zweiten Juliwochenende kehrte das Stone Techno Festival lautstark auf das Gelände der Kokerei Zollverein in Essen zurück. Über 10.000 Raver:innen tummelten sich über zwei Tage in brutaler Hitze zwischen Hochöfen und Schornsteinen und wurden nicht enttäuscht. Die zweite Ausgabe des Festivals war in konzeptioneller und praktischer Sicht eine gelungene Fortsetzung, die Potenzial für noch mehr lässt. Für Chaos sorgte jedoch ein Unwetter inklusive Festival-Unterbrechung und Evakuierung am Sonntagnachmittag. Unser Autor Ruben Drückler war vor Ort.
Am Spektakel der postindustriellen Kulisse, wir berichteten an dieser Stelle bereits vor einem Jahr ausführlich, hat sich selbstredend nichts geändert. Nach wie vor bieten der Zollverein und das Ruhr Museum dem Kooperationspartner The Third Room eine Location, die ihresgleichen sucht. Sich auf diesem Standortvorteil auszuruhen, wäre angesichts des extrem kompetitiven Festivalgeschäfts jedoch wenig ratsam gewesen. Eine Weiterentwicklung war deshalb der klare Anspruch, auf Zollverein jedoch auch eine besondere Herausforderung.
Die Symbiose mit dem UNESCO-Weltkulturerbe Zollverein und dem Ruhr Museum ist schließlich der Identitätskern des Stone-Techno-Projekts, dessen Name sich auf den geologischen Untergrund des Ruhrgebiets und die Sammlung des Ruhr Museums bezieht. Musik und Kulisse sind hier verkuppelt wie bei kaum einem anderen Festival, die Balance zwischen ihnen jedoch durchaus delikat. Denn mit der Erhöhung des Produktionsniveaus geht auch das Risiko einher, die Kulisse wortwörtlich in den Schatten zu stellen. Dennoch muss das Festival auch dann funktionieren, wenn sich bei Stammbesucher:innen nach einigen Ausgaben ein Gewöhnungseffekt einstellt und die Szenerie allein nicht mehr als Besuchsgrund ausreicht.
Symbiose in der Zeche Zollverein
Diese Balance zwischen Location und Produktion ist eine zentrale Herausforderung von Stone Techno, die sich zudem auf den vier Dancefloors auf unterschiedliche Weise stellt. Jeder dieser vier Bereiche des Areals verfügt über einen völlig eigenen Charakter, die Floors stellen die Location mal mehr und mal weniger zur Schau, sind mal offen und mal eingegrenzt. Baulich lässt sich in das Weltkulturerbe zudem in keiner Weise eingreifen, das Festival schmiegt sich stattdessen in die existierenden Strukturen ein und macht sich deren Diversität zu eigen, Symbiose also.
Diese vier relativ kleinen Floors sind abseits der gesamten Gewaltigkeit des Geländes der wohl prägendste Aspekt für die Party an sich. Je nach Tageszeit und Witterung kann sich von Floor zu Floor eine ganz unterschiedliche Stimmung einstellen. Bei Regen füllt sich sofort der überdachte Werkschwimmbad-Floor, mit Einbruch der Dunkelheit erhalten die Floors Eisbahn und Salzlager plötzlich einen völlig anderen Charakter, der Kokerei-Floor erzeugt bei Sonnenschein ein Gefühl von Hauptbühne. Je nachdem, wie Besucher:innen das Festival verbringen, kann sich also ein Tag völlig anders anfühlen als der andere.
Zumal die baulichen Unterschiede der Floors sich in diesem Jahr in einer musikalischen Unterteilung spiegelten, die bereits beim Booking mitgedacht wurde. Der Kokerei-Floor repräsentierte mit Artists wie Nur Jaber und Anetha eine massentauglichere Härte als letztes Jahr, das Werkschwimmbad war mit Freddy K, D. Dan und Rene Wise etwas szenebewusster und dynamischer aufgestellt, an der Eisbahn war Raum für Live-Sets und Tiefgang, das Salzlager mit DJ Gigola, Patrick Mason und Narciss der ausgewiesene Spaßfloor.
35 Grad und es wird noch heißer
Wie sehr das Festival schon bei seiner zweiten Ausgabe zog, wurde am Samstag schnell deutlich. Anders als im Vorjahr waren bereits um 13 Uhr, eine Stunde nach Opening, die Floors so gut gefüllt, dass sich kein Artist über den ersten Slot beklagt haben wird. Von „ins Schwitzen kommen” zu schreiben, wäre bei 35 Grad und praller Sonne ziemlich unzureichend, vielmehr war bereits am Mittag kaum noch ein trockenes Textil zu erblicken. Vor den Toilettenwagen wurde für Wasserhähne statt für WCs angestanden, der englischen DJ IMOGEN schmolzen sogar die Platten dahin, es war Hochofentemperatur.
„Der Kulisse nicht die Show zu stehlen, ist ein Anspruch, an dem sich das Festival messen lassen muss.”
Ebenso schnell wurde klar, wie viel Arbeit in die Weiterentwicklung der Floors investiert wurde. Vor allem der Sound war auf allen vier Bühnen deutlich besser als im letzten Jahr. Selbst das baulich besonders schwierige Werkschwimmbad erhielt ein merkliches Upgrade, das 360-Grad-Set-Up an der Eisbahn war das klangliche Highlight des Wochenendes. Genauso weiter ausgefeilt war die optische Gestaltung der Bühnen. Der Eisbahn-Floor erhielt einerseits durch ein langes Podium eine seitliche Begrenzung und wurde dadurch sofort deutlich stimmungsvoller, zudem verteilte man das Licht diesmal an Traversen entlang des gesamten Floors, wodurch es dominanter ausfiel. Hier zeigt sich jedoch auch der Balanceakt, den die Produktion von Stone Techno zu bewältigen hat.
Das Licht machte die Eisbahn zwar vor allem abends zu einem viel intensiveren und lebhafteren Dancefloor als untertags, stellte die Kulisse jedoch in den Hintergrund. Der einzige Floor, von dem aus sämtliche baulichen Strukturen der Kokerei sichtbar sind und auf dem die Kulisse deshalb am wirksamsten ist, war in derart gleißendes Licht getaucht, dass dieser Aspekt etwas unterging. Der Kulisse nicht die Show zu stehlen, ist ein Anspruch, an dem sich das Festival messen lassen muss.
Bandbreite und Serotoninausschuss
Besser geeignet für visuelle Dominanz war hingegen der etwas abseits gelegene Salzlager-Floor, dessen Gestaltung in diesem Jahr dem Dortmunder Medienkünstler:innen- und DJ-Duo Jana Kerima Stolzer und Lex Rütten (Alice & Bob) überlassen wurde. In Kooperation mit dem Geologen Achim Reisdorf erstellten die Künstler:innen 3D-Scans von 14 mineralischen Funden des Ruhr Museums und verarbeiteten diese zu Animationen, die über zahlreiche doppelseitige LED-Panels entlang des Dancefloors live abgespielt wurden. Die Verteilung der Panels und die Lebendigkeit der Animationen verwandelten das Salzlager in einen immersiven Raum und zum visuell beeindruckendsten Floor des Festivals. Die Nutzung der Mineralien der Zeche Zollverein verdeutlichte außerdem deren Rolle als multidisziplinärer Dreh- und Angelpunkt des Stone-Techno-Projekts.
Musikalisch lieferte das Festival mit einem gut ausgewogenen Line-up eine ordentliche Bandbreite an Techno. Neben einigen großen Namen (Marcel Dettmann, Rødhåd) hinterließen vor allem viele der weniger bekannten Artists bleibenden Eindruck. So zählte das technisch herausragende Live-Set von Fadi Mohem am Samstag genauso zu den Highlights des Wochenendes wie das tief antreibende DJ-Set des New Yorker Producers Holden Federico am Sonntagmittag. Für jede Menge Serotoninausschuss sorgten die Abriss-Spezialist:innen Patrick Mason und Narciss, während Freddy K und Dasha Rush die wohl besten Peak-Time-Sets des Wochenendes spielten. Da das Festival im nächsten Jahr über drei Tage und zwei Nächte stattfindet – Afterpartys gab es mangels freier Locations in diesem Jahr keine –, bietet sich hoffentlich noch mehr Platz für experimentellere Klänge und Techno abseits von Four-to-the-floor.
Evakuierung, jetzt!
Die Geschichte von Stone Techno 2023 ist jedoch nicht ohne das große Unwetter am Sonntagnachmittag erzählt. Nachdem sich der Himmel bereits über mehrere Stunden unheilvoll zugezogen hatte, kam es schließlich zu zwei Stunden Gewitter und Starkregen inklusive Unwetterwarnung. Aus Sicherheitsgründen musste das Festival umgehend evakuiert werden. Eine völlig korrekte und alternativlose Entscheidung, deren Umsetzung jedoch mehr als mangelhaft verlief, wie Veranstalter Ahmet Sisman im Gespräch mit GROOVE ehrlich eingestand.
Aus den Fehlern lernen, auf den Erfolgen des Wochenendes aufbauen und die Treue des Publikums nicht für selbstverständlich halten.
Erst nach einer knappen halben Stunde war das Gelände evakuiert, unter anderem weil sich Teile des Publikums trotz mehrfacher Durchsagen nicht bewegen wollten und letztlich vom Gelände geleitet werden mussten wie die Kühe von der Weide. Tausende Besucher:innen standen anschließend planlos vor den Toren und mussten sich im strömenden Regen einen sicheren Unterschlupf suchen. Hier wäre eine Vorab-Kommunikation und bessere Planung von Evakuierungsprozedere und Unterbringung im Fall der Fälle absolut nötig gewesen. Eine Aufgabe, die sich angesichts der zunehmenden Anzahl extremer Wetterereignisse sämtlichen Open-Air-Festivals mit wachsender Dringlichkeit stellt.
Dass nach zweieinhalb Stunden Unterbrechung dennoch augenscheinlich fast alle Besucher:innen zurückkehrten, spricht eindeutig für das Publikum. Der Auftrag an das Festival ist klar: aus den Fehlern lernen, auf die Erfolge des Wochenendes aufbauen und die Treue des Publikums nicht für selbstverständlich halten. Bereits 1000 verkaufte Wochenendtickets für 2024 sprechen für einen bemerkenswerten Vertrauensvorschuss.