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Stone Techno: Eine schwer zu vermittelnde Gewaltigkeit

Patrick Mason auf dem Stone Techno 2022 (Foto: Charlotte Ernst)

Die Club- und Festivalszene hat es nicht ganz leicht im Ruhrgebiet. Zwar hat die Metropolregion in etwa so viele Einwohner:innen wie Berlin, die Verteilung auf zahlreiche Groß- und Kleinstädte und ein Mangel an städteübergreifender Kulturpolitik abseits von Prestigeprojekten sorgt jedoch dafür, dass sie oft kleiner wirkt, als sie ist.

Clubkultur und elektronische Musik haben hier spätestens seit der Loveparade-Katastrophe einen schweren Stand, lieber werden Mittel in Konzerthäuser und vergleichbare Leuchtturmprojekte gesteckt. Dies drückt sich auch in einer überraschend geringen Anzahl an Clubs mit klarer musikalischer Identität aus, die für die Entwicklung einer lebendigen Szene unabdingbar sind. Diejenigen jungen Ruhrgebietler:innen, die Lust auf Clubkultur und Nachtleben haben, verlassen die Region deshalb oft schon früh.

Zu glauben, dieser Umstand träfe nur Clubs, ist naiv, bleibt Jugendkultur für die Lebendigkeit von Städten doch unabdingbar. Zumal in einer Region, die sich nach wie vor an der Mammutaufgabe Strukturwandel abarbeitet und auf den Zuzug junger Menschen dringend angewiesen ist. Die Pandemie hat nun ebenfalls tiefe Spuren hinterlassen. Viele Clubs tun sich schwer, wieder in die Spur zu finden und ihre Kalender zu füllen, die Szene wirkt zersprengter denn je.

Welches Potenzial dennoch zwischen Duisburg und Dortmund schlummert, hat am zweiten Juliwochenende das Stone Techno Festival unter Beweis gestellt. Auf dem Gelände der Kokerei Zollverein, Teil der ehemals größten Steinkohlezeche der Welt und heute UNESCO Weltkulturerbe, versuchte sich das Essener Label und Kollektiv The Third Room über zwei Tage und Nächte erfolgreich an der Symbiose aus Techno und postindustrieller Grandeur. Das Team um Gründer Ahmet Sisman macht sich bereits seit einigen Jahren die Fülle industriekultureller Locations im Ruhrgebiet zunutze und hat vor allem auf Zollverein eine Heimat gefunden. Die regelmäßigen Raves in der dortigen Mischanlage genießen mittlerweile einen überregional guten Ruf und sind prominentes Beispiel für eine Kombination aus Club- und Industriekultur, die sich in diesem Maßstab kaum anderswo anbietet.

Als gemeinsames Projekt von The Third Room, dem auf Zollverein ansässigen Ruhr Museum sowie der Stiftung Zollverein ist Stone Techno zudem Vorzeigeprojekt für institutionelle Kollaboration im regionalen Kultursektor. Auch hier waren die Anfänge jedoch schwer. Der Status als UNESCO Weltkulturerbe stellt das gesamte Areal Zollverein unter besonderen Schutz und dessen Erhalt über alles. „Geduld und Hartnäckigkeit” macht Sisman deshalb primär dafür verantwortlich, dass The Third Room mittlerweile regelmäßig Events auf dem Gelände abhalten darf und auch bei den örtlichen Entscheidungsträger:innen ein Umdenken eingesetzt hat. Die Raver von heute seien für die etablierten Kultureinrichtungen auf Zollverein schließlich die Gäste von morgen. Ein Denkansatz, der auch dem ein oder anderen Rathaus gut zu Gesicht stünde.

Hartnäckigkeit und Geduld haben sich jedenfalls ausgezahlt, denn Zollverein bietet The Third Room eine Location, deren Gewaltigkeit nur schwer zu vermitteln ist. Insbesondere die Kokerei mit ihren fast 100 Meter hohen Schornsteinen, den endlos verästelten Stahlkonstruktionen und Ofenbatterien ist schlicht atemberaubend. Vor dem Hintergrund dieser Kulisse wirkt jedoch auch vieles klein, ihr standzuhalten ist also für Veranstalter:innen durchaus eine Herausforderung.

Sedef Adasi Stone Techno 2022 by Charlotte Ernst
Bestritt das Opening mit Sonnenbrille: Sedef Adasi (Foto: Charlotte Ernst)

Nicht jedes Musikgenre wäre dementsprechend für ein Festival dort geeignet, die Kombination mit Techno erscheint aber auf Anhieb logisch, was das Line-up auch deutlich widerspiegelte. So legten bereits um 12 Uhr mittags Künstler:innen wie CEM, Julia Govor und Parfait wenig zimperlich los. Gab es von einigen noch anstandshalber ein wenig Ambient auf die Ohren, starteten andere bereits mit Peak-Intensität. Zwar wirkte das bei manchem Opening-Set etwas kurios, durch die umherhallenden Bässe in der sonst noch ruhigen Kokerei entstand aber auch eine ziemlich spezielle Atmosphäre.

Die tagsüber insgesamt vier über das Areal verteilten Dancefloors füllten sich zudem an beiden Tagen schnell mit einem enorm feierwilligen und überraschend internationalen Publikum, das scheinbar keinerlei Warm-up benötigte. Insbesondere auf dem einzig überdachten Floor, dem „Werkschwimmbad”, kam bei den jeweiligen Openings von CEM und Sedef Adasi regenbedingt schon früh allerbeste Stimmung auf. Überhaupt war auffällig, wie euphorisch hier schon am helllichten Tage gefeiert wurde. Das angenehm gemischte und unprätentiöse Publikum, von Szeneuniform bis Fußballtrikot war alles vertreten, hatte sich spätestens am Nachmittag vor den Bühnen eingefunden und war für jeden Spaß zu haben. Begleitet wurden die Raver:innen dabei von einem sehr präsenten Awareness-Team, was ebenfalls zur rundum positiven Atmosphäre beitrug.


Mit seiner Mischung aus hochenergischem Techno, wilden Edits und Trance-Bangern stand Mason mit einem Fuß solide im Trash, die Gesamtperformance aus Musik, Tanz und geballter Persönlichkeit war dennoch an Coolness kaum zu überbieten.


Erster Höhepunkt war am Samstagnachmittag dann ein sehr schnelles und energisches Live-Set von KiNK auf der Mainstage „Kokerei”. Der enthusiastische Bulgare war in diesem Slot bestens platziert und brachte zum richtigen Zeitpunkt etwas melodische Abwechslung ins Programm. Ähnlich verhielt es sich am frühen Abend mit Patrick Mason, dessen Auftritt am Werkschwimmbad zu den Highlights des Festivals zählte. Das Allround-Talent sang zunächst in voller Theatralik sein eigenes Intro live, spielte darauf einen Edit des Space-Jam-Titeltracks und hatte nach drei Minuten den gesamten Dancefloor vollständig im Griff. Mit seiner Mischung aus hochenergischem Techno, wilden Edits und Trance-Bangern stand Mason mit einem Fuß solide im Trash, die Gesamtperformance aus Musik, Tanz und geballter Persönlichkeit war dennoch an Coolness kaum zu überbieten. Auf dem Dancefloor herrschte zwei Stunden lang die pure Ekstase, als Mason dann kurz vor Ende das DJ-Pult erklomm und im Break das Publikum einpeitschte, war dem Auftritt endgültig die Krone aufgesetzt. Total drüber, aber aus voller Überzeugung. Und dazu bei einem zweitägigen Technofestival voll seriöser Acts ein schlicht gutes Booking.

Ebenso besonders war das Set von Luke Slater auf dem „Eisbahn”-Floor. Ein wenig versteckt auf einem Grünstreifen zwischen gigantischen Schornsteinen und Stahlgerüsten, kam der gewaltige Maßstab der Kokerei hier am eindrucksvollsten zur Geltung. Im Licht der untergehenden Sonne begannen zudem Stahl und Ziegelsteine rot zu leuchten, mehr Ruhrgebietsromantik geht kaum. Zu diesem Szenerie-Spektakel lieferte der von alldem sichtbar angetane Slater bei seinem ersten Auftritt im Ruhrgebiet den perfekten Soundtrack. Hier machte sich auch das minimalistische Setup der Bühnen bezahlt, die nie selbst Kulisse waren, sondern sich vielmehr in die Umgebung integrierten.

Luke Slater Stone Techno 2022 by Charlotte Ernst
Auch wenn man es ihm hier nicht ansieht: Angetan von seinem ersten Auftritt im Ruhrgebiet: Luke Slater (Foto: Charlotte Ernst)

Es waren insbesondere Sets wie das von Luke Slater sowie ein absolut denkwürdiges b2b von Ben Sims und Oscar Mulero am Sonntagabend, die das Stone Techno Festival endgültig zu dem gemacht haben, was es war: Ein Event, das die historische Identität und Industriekultur des Ruhrgebiets mit Techno und Clubkultur verwob, ohne bei einer dieser Komponenten Abstriche machen zu müssen. Artists von Weltformat vor dieser Kulisse zu sehen, darf Ruhrgebietler:innen durchaus stolz machen. Dass parallel eine Bühne an beiden Tagen von Locals bespielt wurde, sollte sie zudem zuversichtlich stimmen. Die zweite Ausgabe des Festivals ist für den nächsten Sommer bereits bestätigt, der Besuch im tiefen Westen unbedingt zu empfehlen.

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