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RSO.Berlin: „Wir wollen infrage gestellt werden”

Zuerst ging ein Aufschrei durch die Berliner Clubszene, dann die Trauer und schließlich wurde es mucksmäuschenstill: Das Team hinter der Griessmuehle musste nach harten Kämpfen den angestammten Standort an der S-Bahn-Station Sonnenallee räumen, wollte erst nomadisch durch Berlin ziehen und musste doch pandemiebedingt die Füße stillhalten. Doch in die dunklen Zeiten fiel ein Hoffnungsschimmer, schon bald konnten sich die Macher:innen in Schöneweide auf dem Gelände der alten Bärenquell-Brauerei ein neues Zuhause aufbauen. Bei den ersten vorsichtigen Cluböffnungsversuchen im Jahr 2021 war das RSO.Berlin dann auch ganz vorne dabei und hat sich spätestens im Vorjahr wieder als maßgebliche Adresse für Fans elektronischer Musik jeglicher Couleur etabliert.

Nachdem seit März 2022 die hauseigene Veranstaltungsreihe XFORM die transformativen Prozesse im Haus und der Szene drumherum auffing, schlug der Club ab dem 8. April ein neues Kapitel auf: Die aktuelle Saison steht unter dem Titel „Reflexion”. Darüber sprachen wir mit Jendrik Drazetic. Der Kreativdirektor des RSO.Berlin stand Rede und Antwort zu vergangenen wie zukünftigen Herausforderungen und erklärte, was das bitte schön überhaupt sei, eine Saison. In cooles Schweigen, so Drazetic, wolle sich der Club ja schließlich nicht hüllen.

GROOVE: Das RSO.Berlin gehörte zu den ersten Berliner Clubs, die einen Clubbetrieb unter Corona-Auflagen verfolgen konnten. Wie war es, in dieser Situation einen Club zu eröffnen?

Jendrik Drazetic: Grundsätzlich war es natürlich eine äußerst schlimme Zeit für uns, da wir als Club zu einer Branche gehören, die als erste geschlossen wurde und als letzte wieder öffnen durfte. Darüber hinaus hatten wir kurz vor Beginn der Pandemie gerade die Schließung der Griessmuehle in Neukölln zu verkraften. Doch wir haben uns nicht unterkriegen lassen und nutzten die Zwangspause, um den neuen Standort Stück für Stück und nach den gegebenen Möglichkeiten aufzubauen. Anfangs nur mit Open-Air-Veranstaltungen, darunter eine im Rahmen einer Studie, die wir im Sommer 2021 gemeinsam mit zwei Berliner Hochschulen durchführen durften. Sie bewies, dass Open-Air-Events nicht für übermäßig viele Infektionen verantwortlich waren. Durch die Studie kam es auch zu einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt, darunter der gemeinsame Aufruf zur Impfkampagne und Organisation mehrerer Impf-Termine bei uns vor Ort.

Jendrik Drazetic by Tjard Asseng
Jendrik Drazetic (Foto: Tjard Asseng)

Im vergangenen Jahr fielen die Auflagen, doch ergaben sich angefangen mit Inflation und Energiekrise bis hin zu Personal- und Materialengpässen andere, vor allem wirtschaftliche und logistische Probleme. Wie hat sich das auf eure Arbeit ausgewirkt?

Es gibt andauernd neue Herausforderungen, und gerade im Clubbereich muss man dynamisch sein und sich schnell anpassen können. Die Pandemie hat uns viel gelehrt, und dank eines tollen Teams, auf das wir uns jederzeit verlassen können und mit dem wir gemeinsam an Aufgaben wachsen, sehr flexibel gemacht. Wir haben uns auf viele Veränderungen eingestellt. Weil wir aber nach Ende des Lockdowns im März gerade erst die Innenräume eröffnet hatten, mussten wir uns sowieso in vielen Bereichen erst mal wieder eingrooven und ausprobieren. Manche Vorhaben wurden vielleicht nicht so schnell umgesetzt wie ursprünglich geplant, aber das hat uns nicht aufgehalten – im Gegenteil: Wir haben diese Transformation ganz bewusst wahrgenommen, daraus wurde dann relativ schnell ein Leitmotiv, dem wir als Erstes unser neues Clubnacht-Format gewidmet haben. Das kennen die meisten als XFORM – die Kurzform von „transform”.

„Der Club als Ort der Begegnung und Erfahrung ist eine Zuflucht, um der Realität zu entkommen, und ein Safer Space, der Selbstverwirklichung ermöglicht und Realität werden lässt.”

Das war auch das Motto der ersten Saison, nun befinden wir uns mitten in einer neuen. Was heißt das eigentlich bei einem Club, der eigentlich ganzjährig geöffnet ist: Saison?

Dass wir in Saisons denken und agieren, hat sich tatsächlich erst im Verlauf des vergangenen Jahres entwickelt. Für uns bedeutet „Saison” nicht, dass wir nur einen Teil des Jahres geöffnet haben, sondern die Zeitspanne, die unter einem bestimmten Thema steht. Im laufenden Betrieb haben wir viel verändert, getestet, angepasst und verbessert. Das betrifft so gut wie alle Bereiche. Wir wollten auch herausfinden, wie und womit wir unsere Community am besten erreichen und begeistern. Daher war es uns wichtig, neben einem vielseitigen und qualitativ hochwertigen Programm Inhalte und Angebote über die Partys hinaus anzubieten.

So waren wir im Rahmen unseres EU-geförderten Projekts Gravity Network Gastgeber von Panel-Talks und Workshops, bei denen wir unter anderem mit Nene H, Christine Kakaire, DVS1 und weiteren Akteur:innen über die Veränderung der Clubkultur nach der Pandemie, über neue Herausforderungen, die wachsende Bedeutung von ​​Awareness und den Einfluss von Instagram auf das Techno-Geschäft gesprochen haben. Über das ganze Jahr haben wir mit lokalen und internationalen Visual Artists und Studios zusammengearbeitet, die ihre Interpretation von Transformation vor allem in Bewegtbild umsetzten. Dabei übernahmen Ozelot Studio, Lion Sauterleute, Joana Pratschke und VOJD jeweils eine dreimonatige Kuration und gestalteten einen Transformationszyklus.

Foto: Tjard Asseng

Wie geht es nach XFORM inhaltlich weiter?

Obwohl sich XFORM vor allem als regelmäßige Clubnacht gerade gut etabliert hatte – oder gerade deshalb –, war es Zeit, den Übergang in eine neue Saison zu wagen. Denn Themen, die uns umtreiben, gibt es genug. Das aktuelle Weltgeschehen, das geprägt ist von Turbulenzen, Missständen und Krisen, führt auch zu unbequemen Gedanken, die das eigene Fühlen und Handeln unentwegt in Frage stellen – egal, ob wir direkt betroffen sind oder nicht. Gewöhnen wir uns daran und passen uns an? Suchen wir Ablenkung und Zerstreuung vom Alltag, verdrängen und leugnen wir oder stellen wir uns dem Diskurs? Der Club als Ort der Begegnung und Erfahrung ist eine Zuflucht, um der Realität zu entkommen, und ein Safer Space, der Selbstverwirklichung ermöglicht und Realität werden lässt. Die zweite Saison unter dem Titel „Reflexion” stellt dieses Spannungsfeld in den Fokus und beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen unterschiedlicher, teils gegensätzlicher Perspektiven. Ziel ist, das eigene Denken und Verhalten zu hinterfragen – nicht nur als Individuen, sondern auch als Teil eines Systems, einer Gesellschaft. Wir wollen uns ganz bewusst dem Dialog und Diskurs stellen und uns nicht hinter Club-Attitüden in cooles Schweigen hüllen. Wir wollen Denkanstöße finden und in Frage gestellt werden; gemeinsam mit der Community auf das schauen, was bereits war, was gegenwärtig ist und was noch kommen kann.

„Wir wollen uns ganz bewusst dem Dialog und Diskurs stellen und uns nicht hinter Club-Attitüden in cooles Schweigen hüllen.”

Das RSO.Berlin bietet auch weiterhin externen Formaten wie Synoid, einem Fixpunkt seit den Griessmuehlen-Tagen, eine Heimat. Wie geht ihr aber die Programmierung eurer eigenen Nächte an? Wofür wollt ihr musikalisch stehen?

Wir arbeiten mit einem ausgewählten Kreis aus langjährigen Partner:innen und neuen externen Veranstaltungen zusammen, und gemeinsam mit den In-House-Nächten bildet dieses Portfolio die musikalische Identität des RSO.Berlin. Alle Konzepte sind abgestimmt auf den größeren Kontext unserer Vision – so sichern wir uns kuratorische Hoheit. Musikalisch stehen wir für kontemporäre Clubkultur und Clubmusik mit Fokus auf Techno und die benachbarten Genres, wie House, EBM, Italo, UK Bass und Electro, aber auch darüber hinaus. Unser Ziel ist es, immer am Puls der Zeit zu sein. Dabei verinnerlichen wir ursprüngliche und behalten künftige Entwicklungen im Blick. Wir reflektieren konstant unser Handeln, sind uns unserer Aufgabe als Club bewusst und sind angetreten, unsere Spuren zu hinterlassen.

Ihr plant neben dem regulären Betrieb des Clubs auch besondere Projekte. Welche waren das in dieser Saison und auf welche dürfen wir uns noch freuen?

Diese Saison fanden und finden neben einigen größeren Weekendern – darunter GEGEN, SYNOID, Planet Pleasure und We Are Not Alone – auch Festivals statt, wie die zweite Ausgabe unseres Club-eigenen Showcase-Festivals Wall To Wall. Dabei kuratieren wir mit einem Konzert, Performances und Clubnächten ein ausgewähltes Programm unserer Hosting-Crews, die die DNS des RSO.Berlin ausmachen. Im Sommer begrüßten wir wieder das ICKPA Festival aus Kyiv, das seit dem schrecklichen Überfall Russlands auf die Ukraine eine temporäre Residency bei uns bezogen hat und drei Tage über die Stadt verteilt an verschiedenen Orten stattfand. Darüber hinaus wird es neuen visuellen Output verschiedener Designer:innen, sowie einige Kunstprojekte geben.

Allgemein scheint sich auf eurem Gelände immer etwas zu tun. Habt ihr aktuell Pläne zur Erweiterung oder einem Ausbau?

Aktuell planen wir nur den Ausbau unseres Programmangebots. Dazu sollen sich auch zukünftig neue Formate und Veranstaltungen gesellen. Wir wollen mehr Panel-Talks und Workshops veranstalten, die bisher vor allem als Bestandteil unseres Gravity Network stattfanden. Wir können uns aber auch Lesungen oder Filmvorführungen vorstellen. Die Idee ist, den Club-Space vollumfänglich zu nutzen und das Angebot und die Anknüpfungspunkte mit der Community stetig zu erweitern. Das Interesse und den Bedarf, Themen, die uns beschäftigen, anzusprechen und zu diskutieren, gibt es in jedem Fall.

Die Katakomben des RSO.Berlin (Foto: Tjard Asseng)

Du hast es bereits mehrfach erwähnt: Gemeinsam mit Jasna 1 in Warschau und Ankali in Prag seid ihr Teil des Gravity Networks – einer Art Austauschprogramm mit Schwerpunkt auf die oft vernachlässigte osteuropäische Szene. Wie wird es mit dem Projekt weitergehen?

Als von der EU gefördertes Kulturprojekt war das Gravity Network von Anfang an auf einen bestimmten Umfang und einen festen Zeitplan angelegt. Ziel ist die Vernetzung und der Austausch elektronischer Music-Venues und die Förderung europäischer Künstler:innen. Ursprünglich über drei Jahre geplant, mussten wir uns aufgrund der Pandemie die erste Zeit einschränken und auf Zoom-Calls ausweichen, bevor wir 2022 die ersten gemeinsamen Events ausrichten konnten. Dabei sollte jeder der drei Partnerclubs in abwechselnder Reihenfolge zweimal Gastgeber eines gemeinsamen Events sein, das die Community und Künstler:innen zusammenbringt und aus Konzerten, Performances, Workshops, Talks und Clubnächten bestehen konnte. Mittlerweile stehen nur noch wenige Veranstaltungen aus, darunter auch eine gemeinsame Abschluss-Event-Reihe im Spätsommer, die in Prag, Warschau und Berlin stattfinden wird. Aktuell planen wir die Fortsetzung des Projekts, eine erneute Bewerbung bei der EU und die Erweiterung des Netzwerks durch zwei neue Partner. Zusammen mit dem Amsterdamer Club Garage Noord und Mutant Radio aus Tbilisi wollen wir ab 2024 den Horizont von Gravity erweitern – auch über EU-Grenzen hinaus.

Zurück nach Berlin: Mit der Griessmuehle wurdet ihr selbst Opfer der Verdrängung aus der Innenstadt. Mittlerweile seid ihr in Schöneweide angekommen, wo sich viele Kulturinstitutionen niedergelassen haben – was sofort das Schreckgespenst der Gentrifizierung auf den Plan ruft. Wie geht ihr damit um?

Aktuell haben wir noch nicht den Eindruck, dass dieser Prozess in Schöneweide schon in vollem Gange ist. Es ist richtig, dass sich mehr und mehr Kultur in den Randbezirken vor allem im Südosten der Stadt ansiedelt und dass dank bezahlbarer Mieten gerade junge Menschen die Orte für sich entdecken. Doch damit steht Schöneweide allenfalls am Anfang. Für viele ist es immer noch JWD („janz weit draußen”, Anm. d. Red.), das merken wir auch. Wir als Kulturinstitution sind da natürlich zweigeteilt. Auf der einen Seite profitieren wir dadurch, auf der anderen Seite lässt es Erinnerungen hochkommen. Als wir die Griessmuehle eröffneten, war es rund um die Sonnenallee auch noch ruhig. Viel dagegen tun kann man nicht, doch wir sind durch unsere Erfahrungen nun viel sensibilisierter und plädieren für eine nachhaltige und moderate Entwicklung der Stadt, vor allem durch Maßnahmen seitens der Politik.

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