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Motherboard: April 2023

Die Freude an Kollaboration und Kontamination hat Sam Shackleton in zahllosen höchst diversen Duos und Bandprojekten bereits ausnehmend vorgestellt. Wobei von Indie-Rockern bis Free-Jazzern und einem Opernsänger praktisch alle denkbaren Genres mit Shackletons haut- und hirnerweichender Tribal-Behandlung durchgespielt wurden. Ein Gegenüber wie den Rapper und Beatmacher Scotch Rolex aus Kampala City, Uganda, hatte Shackleton allerdings bisher noch nicht. Wie schön, dass beide gerade in Berlin leben und so ein ganzes Album sumpffiebrigster Dub- und Subbass-Psychedelia produzierten. Düster, aber mit Humor, Death By Tickling (Silver Triplet, 31. März) halt.

Die hochauflösenden Drum’n’Bass-Exegesen des französischen Belgiers Circular Square liegen nicht ganz so que(e)r – also genau im Post-Internet-Zeitgeist, aber vielleicht passt die jüngste Ausgabe der stilkonformen wie -sprengenden EP-Reihe des Berliner Labels Crux Axul dennoch gut in die heutige Zeit. Allein die Tatsache, dass Crux III: 3-HT-(xon) an keiner Stelle langweilig ist, sagt ja schon sehr viel, wenn nicht alles, wir sprechen hier ja immerhin über Drum’n’Bass.

Vaporwave selig hat die schlimmste (und beste) Nostalgie der Kindheitsflashbacks der verlorenen GenX für spätere Generationen konsumkritisch aufbereitet und damit konsumierbar gemacht – aber meta. Was danach kam, war zunehmend verfeinert und originell, was den akzelerationistisch-antikapitalistischen Intentionen des frühen Vapor eventuell entgegenlief, letztlich aber den Vektor von Vapor in Richtung Zukunft umdrehte. Was dabei glücklich verloren gehen durfte, war die Einordnung in einen bestimmten Zusammenhang, in eine Szene. Was einen aktuellen Hybrid-Sound wie dem des Argentiniers Pablo Betas alias Bungalovv einen deutlich vergrößerten Möglichkeitsraum liefert, zudem ein breiteres potenziell interessiertes Publikum. Bungalovvs Visited By Strangers (Genome 6.66Mbp, 31. März) hat ebenso von Post-Vapor-Stilen wie Hardvapor und Dreampunk gelernt wie von aktuellen Club-Not-Club-Hybriden. Als Ganzes ist das topaktuelle, verdammt gut klingende Electronica, wie es sie schon immer gegeben hat und noch nie.

Der Effekt des Hybriden als hibbeliges Beinahe-Zusammenkommen und Beinahe-Auseinanderfallen lässt sich aber ebenso gut durch skrupulöse kompositorische Feinarbeit strukturelle Komplexität in instrumenteller Präzision erreichen. Wenn etwa das kanadische Aventa Ensemble die Kompositionen von Christopher Butterfield spielt, klingt die sogenannte Neue Musik aus alter serieller Avantgarde plötzlich verspielt und leicht und ist keine Welten von den Klangvisionen Angel Marcloids entfernt. Butterfield nennt dieses Prinzip des wohlorganisierten Eben-doch-nicht-Chaos nach John Cage ein „koreanisches Unisono” – wenn alle Instrumente wie in der koreanischen Klassik ungefähr dasselbe spielen, aber praktisch immer haarfein daneben liegen. Sowieso hat auf Souvenir (Redshift Music, 15. März) der Zufall immer eine (genau kalkulierte) Chance.

Wenn Neue Musik ganz alt klingt und dennoch ganz neu sein kann, stehen die Chancen ziemlich gut, dass die zugehörigen Komponisten aus der kanadischen Jazz-Szene stammen. Wie zum Beispiel das Quartett Stranger Still. Die vertonen auf The Songs Which Are (All-Set! Editions, 14. April) die Natur-Lyrik von Alden Nowlan, einem Dichter des mittleren 20. Jahrhunderts, der die Einsamkeit des kanadischen Nova Scotia in Worte setzte. Das klingt einerseits wie Acid-Folk der Sechziger, wie psychedelisch gewendete keltische Folklore, aber eben auch nach aktueller Vokal-Improvisationskunst. Also weltvergessen innerlich wie extrovertiert neu.

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