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Festival-Roundtable: Der große Reality-Check (Teil 2)

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Mitglieder dreier in drei verschiedenen Ländern aktiven Festivals, die unterschiedlicher kaum sein könnten und verschiedenen Generationen angehören, setzten sich mit Kristoffer Cornils und Maximilian Fritz an einen Tisch.

Nachdem im ersten Teil des großen Festival-Roundtables Schulden aus Pandemiezeiten, steigende Gagen und die Entwicklung des jeweiligen Publikums Thema waren, blicken Fritz Windish und Ewa Tomko vom polnischen Garbicz, Bernhard Steirer vom österreichischen Stadtfestival ELEVATE und Michael „Mitch” Kastens von den PollerWiesen in NRW in Teil 2 gemeinsam aufs anstehende Festival-Jahr, äußern sich zu staatlichen Förderungen und zeichnen ein Bild von der Zukunft der Festivalkultur.

GROOVE: Wie bereitet ihr euch auf eure Ausgaben im Jahr 2023 vor?

Bernhard: Bezüglich des Vorverkaufs waren wir unsicher, der allerdings lief im letzten Jahr überraschend gut. Ich hätte es total nachvollziehen können, wenn es im Herbst und Winter im Publikum gewisse Ermüdungserscheinungen gegeben hätte. Heizung, Strom, alles wurde teurer. Eine Zurückhaltung war aber nicht zu spüren. Die größte Herausforderung für uns war, dass uns einige Monate zur Vorbereitung fehlten, weil das Festival im Vorjahr außerplanmäßig erst im Juli und nicht wie gewohnt im März stattfand. Was das Programm betrifft, gestalteten sich einige Dinge erstaunlich einfach. Wir sind prinzipiell guten Mutes und freuen uns auf das Festival [Der Roundtable fand vor dem ELEVATE, das vom 1. bis 5. März über die Bühne ging, statt, d.Red.], obwohl mit zwei, drei bösen Überraschungen immer zu rechnen ist, vor allem hinsichtlich der Kosten.

So sah es beim Grazer ELEVATE im vergangenen Jahr aus (Foto: Lupi Spuma)

Mitch: Die auf uns zukommenden Kostensteigerungen mussten wir auf die Eintrittspreise umwälzen, so weit, wie es uns vertretbar schien. 2022 wussten wir bis Anfang März nicht, ob wir das Opening im April stattfinden lassen können. Es war unglaublich schwer, damit zu planen. Das haben wir für die kommende Ausgabe anders machen können. Unser Vorverkauf läuft seit drei Monaten und wir sind schon seit geraumer Zeit im Gespräch mit unseren Dienstleister:innen. Es fühlte sich im Vorjahr ein bisschen so an, als hätten wir nochmal komplett neu angefangen, und wir haben uns im Team noch einmal neu aufgestellt. Wir haben eine stärkere Struktur. Im letzten Jahr gab es ein paar unvorhersehbare Rückschläge wie Unwetterwarnungen und andere Dinge, das kann natürlich zermürbend sein. Aber wenn die Zuständigkeiten klar sind, hilft das.

„In Garbicz findet gerade ein Generationenwechsel statt.”

Fritz Windish

Fritz: In Garbicz findet gerade ein Generationenwechsel statt. Insgesamt tut sich viel, um das Festival auf starke und professionelle Beine zu stellen und die Abhängigkeit von einzelnen Charakteren zu lösen. Wenn eine Person wegbricht, klafft von heute auf morgen eine große Wissenslücke, und niemand kann aushelfen. Wir arbeiten jetzt stattdessen mit Doppelspitzen. Wir stecken mehr Energie in die Struktur. Letztes Jahr haben wir weniger Kunst und Installationen angeboten, weil wir schwer mit den Kosten kalkulieren konnten, und haben stattdessen auf Performances gesetzt. Jetzt haben wir aber ein Sägewerk auf dem Gelände und sind unabhängiger. Das Line-up besteht zu Teilen noch aus dem Programm, das für das Jahr 2020 geplant war. Wir arbeiten bestehende Verträge ab, und bei einem Event pro Jahr dauert das seine Zeit. Insgesamt sind wir guter Dinge und die Produktion ist schon weit fortgeschritten. Wir agieren mit einem Kredit, den wir über den Holzmarkt bekommen haben, damit wir durch unsere Liquiditätsengpässe kommen. Der Ticketverkauf läuft, und mit dem eingehenden Geld können wir arbeiten.

Mitch: Zuletzt wurden in den Niederlanden viele Unternehmen aufgekauft [zum Beispiel die DGTL-Marke, Anm. d. Red.]. Habt ihr ähnliche Angebote erhalten, nachdem ihr eure finanzielle Situation öffentlich gemacht habt?

Fritz: Ja, aber sie wurden alle ausgeschlagen. Die Möglichkeiten gibt es, aber dann möchten solche Firmen auch eine Bühne gestalten oder sich anderweitig einbringen, was sofort ein Qualitätsproblem erschafft.

„Das Sponsoring ist extrem rückläufig.”

Bernhard Steirer

Mitch: Das ist auf kreativer Seite schwierig.

Fritz: Ich hoffe, das Festival bleibt davon verschont, aber es werden womöglich andere Events auf dem Gelände stattfinden. Das können wir derzeit noch nicht mit Sicherheit sagen. Das Problem liegt darin, dass der Weg aus dem Schuldenstrudel heraus ein langer sein wird. Deshalb sprechen wir oft darüber, wie lange wir das Garbicz noch machen wollen oder können. Leider wissen wir auch jedes Jahr bis kurz vor Festivalbeginn nicht, ob wir die Genehmigung erhalten, und es entstehen riesige Gerichtskosten, um das sicherzustellen. Das muss sich ändern.

Die PollerWiesen in Köln (Foto: Nekame Klasohm)

Mitch: Auch bei uns findet erst kurz vorher eine Bauabnahme statt und erst dann wird die endgültige Genehmigung erteilt. Das ist hier normal, weil der Aufbau jedes Jahr aufs Neue geschieht und überprüft werden muss. Eure Aufbauten sind aber noch größer. Wie funktioniert das?

Fritz: Es sind fliegende Bauten. Wir haben ein Haupthaus und eine Küche, die behördlich abgenommen sind. Die Bühnen und alles andere, was auf Publikumssicherheit überprüft werden muss, werden nach Festivalende ab- und im Monat vor Beginn der nächsten Ausgabe wieder aufgebaut. Das ist aber gar nicht so sehr das Problem. Eher geht es um Lokalpolitik.

„Machen wir jetzt Firmenveranstaltungen auf dem Garbicz-Gelände, damit wir die Ticketpreise subventionieren können?”

Fritz Windish

Förderungen waren innerhalb der Szene immer umstritten, sind in den letzten Jahren allein dank Überbrückungshilfen und Neustart Kultur aber immer mehr zum Thema geworden. Verbände wie der VUT fordern sogar umfassende strukturelle Förderungen für Musikunternehmen. Bernhard, das ELEVATE finanziert sich zum Teil durch Förderungen. Wie sind eure Erfahrungen?

Bernhard: Wir finanzieren uns jeweils zur Hälfte aus beispielsweise Ticketing und Einnahmen aus der Gastronomie sowie Sponsoring und zur anderen durch öffentliche Gelder. Insbesondere EU-Projekte sind an viele Bedingungen geknüpft und mit viel bürokratischem Aufwand verbunden. Das Positive daran ist, dass sich belastbare Beziehungen zu den einzelnen Partner:innen aufbauen lassen. Da entstehen langjährige Freundschaften. Die EU-Gelder machen aber noch nicht den Hauptteil der Förderungen aus, die wir erhalten. Wir bekommen hauptsächlich von Stadt, Land und Bund Unterstützung. Das alles ist möglich, weil wir ein Diskursprogramm anbieten, das für eine breitere Öffentlichkeit gesellschaftliche und politische Themen aufgreift. Zusätzlich spielt bei uns die Second-City-Thematik mit rein: Große Städte, die nicht die Hauptstadt eines Landes sind, setzen oft auf Leitprojekte, die über die Stadtgrenzen hinausstrahlen und neue Menschen anziehen. Eine Aktivierung des Standorts, in wirtschaftlichen Begriffen gesprochen. Nach dem Motto: So groß wie Wien werden wir niemals sein, aber wir sind eine Festivalstadt. Das hat viel mit der regionalen Identität zu tun. Österreich ist ein reiches Land, das kommt uns zugute. Es wären meiner Meinung nach alle hier vertretenen Festivals förderwürdig, weil sie ein Kulturangebot und noch viel mehr als nur das schaffen.

„Warum sollte ein Autohersteller zu uns kommen, wenn er seine Karren nicht auf unserer Bühne abstellen darf?”

Bernhard Steirer

Mitch: Wir sind alle Überzeugungstäter:innen. Wir sind ja nicht hier, weil wir die dickste Potte machen wollen, sonst wären wir in ganz anderen Branchen tätig. Neustart Kultur war ein tolles Programm, auch weil da Leute aus der Branche saßen beziehungsweise immer noch sitzen [Neustart Kultur läuft nur noch bis Juni 2023, Anm. d. Red.]. Die Struktur ist da. Was es braucht, ist das Geld.

Ewa: Förderungen sind möglich, und es gibt viel Geld dafür in Polen, aber es ist schwer zu finden und es dauert. Vielleicht bekommen wir 2024 etwas, aber für dieses Jahr ist es zu spät.

Fritz: Ich finde es sehr gut, dass das ELEVATE gefördert wird. Bei uns sind die strukturellen beziehungsweise infrastrukturellen Kosten sehr hoch. Wir setzen aber auch auf Nachhaltigkeit. Auf unserem Gelände steht kein einziger Generator mehr! Das sind Sachen, die gefördert werden könnten. Wir möchten auch ein Publikum haben, das jünger ist, das es sich vielleicht aber nicht leisten kann. Wenn die Preise nicht bezahlbar sind, brauchen wir Subventionssysteme, die einfach zugänglich sind. Historisch gesehen war es schon so mit Oper und Theater: Die Karten waren zu teuer, da saßen nur noch Schnösel rum und das Volk hat gewettert, dass es auch reinwollte. Dann wurde sich dafür entschieden, das zu subventionieren. Festivals sollten darüber mit der Politik in Dialog treten. Mit Sponsoren arbeiten wir gar nicht, müssen das aber derzeit in Betracht ziehen: Machen wir jetzt Firmenveranstaltungen auf dem Garbicz-Gelände, damit wir die Ticketpreise subventionieren können?

Das Garbicz (Foto: Iris Piers)

Ewa: Sponsoring-Budgets in Polen betragen gerade nur 40 Prozent von dem, was vor der Pandemie erhältlich war. Es ist zu unsicher, in Veranstaltungen zu investieren.

Bernhard: Das Sponsoring ist extrem rückläufig. Für uns war das schon immer ein schwieriges Thema. Natürlich kamen viele Sponsor:innen auf uns zu und wollten gerne ihre CEOs auf unsere Panels setzen. Mittlerweile gibt es viele Marketing-Konferenzen, die sich einen kulturellen Anstrich geben, indem sie etwa ein Rahmenprogramm mit Musik anbieten und „weltverbesserische” Themen diskutieren. Wer bei klarem Verstand ist, durchschaut das natürlich sofort. Warum also sollte ein Autohersteller zu uns kommen, wenn sie ihre Karren nicht auf unserer Bühne abstellen dürfen, auf solchen Events aber schon? Auch Sponsor:innen, die aus einem stifterischen Gedanken heraus agieren, wie das im hochkulturellen Bereich oft der Fall ist, finden sich in der Musik keine.

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