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Festival-Roundtable: Der große Reality-Check (Teil 2)

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Ob das Geld aus dem privatwirtschaftlichen oder politischen Bereich kommt: Die Angst, sich abhängig zu machen, ist immer da.

Bernhard: Es wirkt sich aufs Festival aus, auch wenn viele der Besucher:innen den Unterschied nicht unbedingt bemerken. Jede Ausgabe startet mit einer Eröffnungsrede und Politiker:innen auf der Bühne. Das nimmt aber nicht überhand. Abhängigkeiten gibt es sicherlich, aber in der 19-jährigen Geschichte des Festivals ist es noch nie vorgekommen, dass unsere – vor allem in Anfangszeiten sehr links ausgerichteten – Programme kommentiert oder kritisiert worden wären. Das weiß ich sehr zu schätzen. Tatsächlich kommt, obwohl Graz mittlerweile eine kommunistische Bürgermeisterin hat, die meiste Unterstützung aus dem konservativen Lager. Allgemein zieht es sich aber durch alle akzeptablen Parteien, dass uns nicht in unser Tun hineingeredet wird.

„Es gibt Leute, die ihre Jobs als Banker:innen hingeschmissen haben, nachdem sie auf dem Garbicz waren!”

Fritz Windish

Die potenzielle Abhängigkeit ist natürlich auch eine wirtschaftliche: Förderungen sind in der Regel projektbasiert und dementsprechend zeitlich begrenzt. Und wenn im Folgejahr wider Erwarten der Antrag abgelehnt wird, war’s das mit dem Festival.

Fritz: Oft kommt das Argument, dass es sich bei den meisten Festivals doch um privatwirtschaftliche Unternehmen handele. Aber als sich in den Anfangstagen der Pandemie hier in Berlin meine Nachbar:innen beschwert haben, dass die Jugendlichen im Park so einen Lärm machen, wurde ihnen klar: Deshalb gibt es Clubs, die haben eine soziale Aufgabe! Es sind Safer Spaces, in denen sich Menschen treffen können – und anderen dabei eben nicht auf die Nerven gehen! Festivals sind die Sommervariante davon. Wir haben einen gesellschaftlichen und einen Bildungsauftrag. In Strukturen außerhalb der Zeit kommen Alt und Jung, Arm und Reich in einem Kontinuum zusammen, in dem sich alle von Mensch zu Mensch treffen, und zwar ohne das gesamte gesellschaftliche Drumherum. Da entsteht etwas, insbesondere für neurotisch gestörte Stadtmenschen, die von so einem Festival etwas mitnehmen. Es gibt Leute, die ihre Jobs als Banker:innen hingeschmissen haben, nachdem sie auf dem Garbicz waren! Männer in der Midlife-Crisis, die gerade nochmal die Kurve bekommen haben. Das kann der Rave auch leisten!

(Gelächter)

Fritz: Auch Eltern sollten lieber ihre Kinder zu uns schicken, als sie am Kotti oder in der Hasenheide zu verlieren. Wir sind Profis und wissen, was wir da tun. Europa muss verstehen, dass Festivals friedensstiftend sind. Wie viele Paare aus verschiedenen Ländern wir kennen, die auf Festivals zusammengekommen sind! In diesen Ausnahmesituationen passiert auch Liebe. Diese kontrollierte Ekstase ist gesund für die Gesellschaft. Wenn wir uns einen Kodex auferlegen, uns etwa zu Inklusivität verpflichten, und den überall kommunizieren, sollte eine Subventionierung für bestimmte Bevölkerungsgruppen doch möglich sein. Sonst wird die Preisspirale immer weiter hochgehen und das Publikum wird immer homogener. Und dann hat das keinen gesellschaftlichen Sinn mehr.

Die blaue Stunde auf den PollerWiesen (Foto: Nekame Klasohm)

Mitch: Das Hauptproblem ist das Kriterium der Förderwürdigkeit. Das ist natürlich sehr subjektiv. Einerseits wollen wir Zugang für alle schaffen. Das sehen wir ja bei Theatern und Opern sowie anderen Kultureinrichtungen: Die übernehmen einen staatlichen Bildungsauftrag und sind meistens staatlich, wie etwa die Philharmonie oder das Theater hier in Köln. Sie bekommen ein festes Budget und eine strukturelle Förderung. Ich mache viele Veranstaltungen im Stadtgarten, wo es einen Konzertsaal sowie einen Club gibt. Das Haus wird stark von öffentlicher Hand gefördert und in den letzten 30 Jahren hat sich eine enge Zusammenarbeit mit dem Kulturamt entwickelt. Der Aspekt der Förderwürdigkeit hat sich da historisch bewiesen. Aber wie verhält es sich mit den Leuten, die während der Pandemie illegale Raves veranstaltet haben und jetzt für eine Förderung anklopfen? Das ist etwas überspitzt gesagt, aber ich sehe auch die Probleme der anderen Seite. Über die Klubkomm wird schon angestrebt, dass mehr Einheitlichkeit geschaffen wird. Natürlich stimme ich Fritz zu, dass Raves und Festivals etwas Sinnstiftendes haben. Es wird aber auch kritische Stimmen geben, die sagen, dass sich auch auf der Kirmes Paare kennenlernen!

(Gelächter)

Bernhard: Die Frage nach den Kriterien ist eine sehr komplizierte. Die Antwort kann nur lauten, dass Expert:innen, die in irgendeiner Weise Teil der Szene sind, auf politischer Ebene bestimmte Empfehlungen und Beobachtungen kundtun. Das hat natürlich die Schattenseite, dass immer Begehrlichkeiten oder Animositäten mit reinspielen können. Der Bildungsauftrag, also etwa jüngeren Menschen beizubringen, wie man sich in einer solchen Masse und untereinander verhält, ist ein Aspekt. Das andere ist das Inhaltliche, das Qualitative. Wir können uns hier untereinander sicherlich darauf einigen, was wir hochqualitativ finden, aber Geschmäcker sind verschieden. Es gibt genug Veranstaltungen, die wir sicherlich banal finden, die aber genauso zu einem Community-Building beitragen und von netten Menschen betrieben werden. Wo verlaufen die Trennlinien? Das ist ein diffiziles Thema. Sicher ist eins: Es muss mehr Geld für diese Formen von Kultur her.

Beim ELEVATE in Graz spielt die Musik manchmal auch im Mausoleum (Foto: Johanna Lamprecht)

Mitch: In der Pandemie haben wir gesehen, wie viel Geld plötzlich zur Unterstützung der Kultur da war. Für die Zukunft sollten wir darüber nachdenken, wie selbst ein Bruchteil dieser Gelder dafür verwendet werden könnte, um auf faire Art und Weise innovative Kulturfelder zu fördern. Dazu würde ich Festivals, aber auch andere Konzepte zählen. Dazu brauchen wir einen Austausch wie diesen hier. Bernhard sprach schon davon, dass Festivals auf europäischer Ebene miteinander vernetzt sind, weil sie alle am selben Fördertopf hängen. In der Hinsicht sollten wir auch aktiv werden. Aber wir haben die Zeit und das Personal nicht, um uns da reinzufuchsen. Ich hatte dank der Pandemie zum ersten Mal in meinem Leben mit Förderungen zu tun. Das war keine Arbeit, auf die ich mich gefreut habe. Das war wie eine Steuererklärung zu machen!

(Gelächter)

Eine Organisation wie die LiveKomm, den Interessenverband der Musikspielstätten, gibt es für Festivals nicht.

Mitch: Mehr noch wurde in der Pandemie oft über die „Veranstaltungsbranche” gesprochen. Eigentlich waren damit aber nur die Verbände gemeint, in denen die großen Player sitzen, die wiederum noch größeren multinationalen Konzernen angehören. Die Unternehmen, die Arena-Tourneen organisieren und denen nebenbei noch die Hälfte der Arenen selbst gehören. Da haben wir gar nichts zu kamellen. Bernhard hat es schon gesagt: Es muss auf regionaler Ebene stattfinden. Als Kölner Veranstalter muss ich zum Kulturamt gehen und mit den Leuten direkt reden können.

„Ein Gesundschrumpfen wäre nichts weiter als eine kapitalistische Auslese.”

Mitch Kastens

Axel Ballreich von der LiveKomm sagte in Bezug auf die Spielstätten, dass er für das Jahr 2023 mit einer sogenannten „Marktbereinigung” rechne: Die Arenen bleiben offen, die lokalen Knotenpunkte auf dem mittleren und unteren Level könnten aber wegbrechen. Befürchtet ihr Ähnliches und wenn ja, wie würdet ihr das bewerten? Über die Pandemie hinweg wurde auch immer wieder gesagt, die Szene könnte sich nun „gesundschrumpfen”.

Bernhard: Die Hoffnung, dass manche Unternehmen pleitegehen, finde ich eher verwerflich. (lacht) Dass es eine Bereinigung geben wird, glaube ich aber trotzdem. In unserer wie auch in vielen anderen Branchen wurden viele Insolvenzen aufgrund des unerwarteten Geldsegens, wie es ihn zumindest in Deutschland und Österreich gab, verschleppt. Auch in der Hinsicht wird 2023 das Jahr des großen Reality-Checks. Prinzipiell aber sehe ich die Sache positiv. Das betrifft auch die schon seit langer Zeit behauptete Konsolidierung der Branche, also dass immer weniger und immer größere Player den Markt unter sich aufteilen. Das passiert zwar, aber wir sitzen hier in einer Runde, an der nun auch nicht die kleinsten Player teilnehmen. Es gibt noch genug klingende Namen, die unabhängig verwaltet und betrieben werden und ihren Kulturauftrag wahrnehmen. Das gibt mir Hoffnung für die Zukunft.

Das Garbicz (Foto: Iris Piers)

Mitch: Ein Gesundschrumpfen wäre nichts weiter als eine kapitalistische Auslese. Es wird aber zwangsläufig dazu kommen. Die Erfahrung zeigt, dass gerade die Programme, die am attraktivsten und liebevollsten gestaltet sind, kommerziell nicht gut funktionieren. Viele der nischigen Angebote werden es schwer haben. Ich bin aber nicht sehr pessimistisch. So eine Krise wie die Pandemie bringt es mit sich, dass alles durcheinandergewürfelt wird. Auch bei einem etablierten und älteren Player wie uns. Junge und neue Einflüsse kommen rein, Trends verändern sich. Einige Dinge haben sich beschleunigt, andere sind ins Stocken geraten, wieder andere werden wiederentdeckt, und seien es nur musikalische Genres. Es ist Bewegung da, und das finde ich immer positiv. Bewegung erzeugt Reibung, Reibung erzeugt Energie und daraus entsteht Neues. Ich glaube nicht, dass die Menschen nur noch die ganze Zeit vor TikTok hängen und nicht mehr ausgehen werden. Sie werden das reale Leben wiederentdecken. Es werden sich neue Formen der Freizeitgestaltung entwickeln, aber einige alte werden weiter Bestand haben. Ich spüre viel jugendliche Hoffnung.

Fritz: Wenn man etwas macht, dann macht man es eh. Und wer es des Geldes wegen macht, ist sowieso in der falschen Branche gelandet. In den Jahren 2017 und 2018 haben wir gemerkt, wie das ist, wenn plötzlich alle mit Festivals Geld machen wollen – nicht verdienen, sondern wirklich machen. Es gab zu viele Festivals, und keines davon war ausverkauft. Da schrumpft sich natürlich etwas gesund. Die, die es aus Leidenschaft machen, bleiben, die anderen machen ihr Geld in anderen Branchen. Das ist eine gesunde Entwicklung. Wir haben auch schon den Punkt erreicht, an dem wir übers Aufhören nachgedacht haben. Aber so geht das nicht! Jetzt ist ein neuer Wind drin – und wir gucken mal, wo wir landen.

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