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Die Platten der Woche mit Credit 00, Pugilist, Shinra Knives, Yør Kultura und Zvrra

Credit 00 – No More Sad Trance! (Uncanny Valley)

Auf Youtube und Spotify, ach überall, wo gestreamt wird, kann man jede Menge Sad Trance finden. Ob damit bald Schluss ist? Der Leipziger Produzent Credit 00 jedenfalls spricht ein Machtwort und steuert seinen eigenen Rekonstruktionsentwurf der Neunziger bei. Auf No More Sad Trance! bringt er die besten Argumente gleich selbst vor.

Im Titeltrack mit hochgepitchten Stimmensamples, in der Instrumentalversion naturgemäß ohne, dazu mit straff angezogenem Beat und entschlossen blubberndem Bass, dass es, nun, eine wahre Freude ist. Und ihm geht es längst nicht allein um euphorischen Trance. „Bring Back the Hoover” ist ein Tribut an Human Resource mit einem ausführlichen Zitat aus deren Techno-Klassiker „Dominator”: „I‘m bigger and bolder and rougher and tougher, in other words sucker there is no other”, dazu synkopenträchtige Breakbeats und selbstverständlich die eingeforderten Hoover-Sounds. Für Nachdenkliches sorgt abschließend „Save the Forest!” mit etwas, das so klingt wie, ähm, Sad Trance. Doch nach dem Adrenalinschub der ersten drei Nummern ohne Schutzmaßnahmen wieder aus der EP zu entlassen, wäre auch etwas unverantwortlich gewesen. Tim Caspar Boehme

Pugilist – Negative Space (Of Paradise)

Auf Negative Space offeriert der unter dem Pseudonym Pugilist operierende Australier Alex Dickson vier exquisite Bass-Music-Tracks. Dass er ein fähiger Produzent ist, hat er mit Veröffentlichungen auf Labels wie Banoffee Pies oder Martyns 3024 bereits ausgiebig bewiesen.

So auch hier. Dabei sind die beiden A-Seiten-Stücke mehr nach vorn gerichtet, oszillieren irgendwo zwischen technoidem Drum’n’Bass und Dubstep-Hybriden der frühen Zehnerjahre. „Misanthrope”, ein minimalistisches Drummachine-Workout, wie auch das ruhige, hypnotische „Micro-Dose” auf der B-Seite dagegen gehen mehr in die Tiefe. Wobei Tiefe, im Sinne der Bassfrequenzen, auf allen vier Tunes Trumpf ist. Eine tiefschürfende, abwechslungsreiche Angelegenheit also, die Tanzboden wie Gehirnfrequenzen in Schwingungen versetzt. Tim Lorenz

Shinra Knives – Protect Me From What I Want (YUKU)

Noch nicht lange ist der aus St. Louis stammende Produzent Ian Jones aka Shinra Knives auf der Bildfläche des internationalen Clubgeschehens aktiv, schickt sich aber dennoch jetzt schon an, mit seinem heftig dekonstruierten Sound für verdrehte Köpfe zu sorgen – zumindest bei denen, die auf hybriden Trap, Drill’n’Bass und die hyperaktiven Spielarten neuerer elektronischer Musik stehen. Das war letztes Jahr bei dem durchgeknallten Mixtape „You Will Never See Heaven“ so, und das ist nun bei „Protect Me From What I Want“ nicht anders. Via des Prager Experimental-Label YUKU veröffentlicht, behandeln die drei Tracks der Maxi das Dilemma einer Person, die sich in eine andere suchtkranke Person verliebt und diese nur durch ihre Zuneigung am Leben hält. Etwas, das viele klassischerweise als toxische Beziehung bezeichnen würden, findet ihre eine tonale Entsprechung in zerstörerischen Drill-Beats, die etwas an Aaron Funks Schaffensphase aus den frühen 2000ern erinnern, allerdings weniger ausgeklügelt. Nichtsdestotrotz dominieren hier komplexe Rhythmusstrukturen unter einem vage dramatischen Tenor, der irgendwie andeutet, was das Konzept hinter diesem Release ist: der Teufelskreis in dem sich Menschen befinden, die anderen helfen wollen und sich dabei selbst nur allzu leicht aufgeben. Daher auch der Titel. Insgesamt keine schlechte Idee, doch hätte sich so etwas wohl besser als Konzept für eine längere EP oder gar für ein Album geeignet. So stehen die drei Tracks eher neben dem Konzept aber für sich und zeigen, dass Shinra Knives durchaus Produktionsskills besitzt, die es braucht, um im Bereich Deconstructed Club etwas zu reißen. Nils Schlechtriemen

Yør Kultura – Heimdall (Permanent Vacation)

Auf der EP Heimdall des Rotterdamer Trios Yør Kultura gehen zwei der vier Breakbeat-Stücke etwas mehr zum Floor hin, während die anderen beiden es bei einem sehr mittigen Klangbild belassen.

Das Titelstück beginnt mitten im Fluss des funky Breaks und variiert sich durch verzerrte Keys, sphärische Streicher und von weit her ins Ohr flatternde Samples aus Menschenstimmen. Acht Minuten am Schnürchen. Die Breakbeats auf „Wishlist” klingen statt dessen komprimierter und malen mit langsam weghallenden Pianos und Möwengeschrei ein Seestück. „Sören” choppt vor sich hin und lässt sich in seinem Summen auch durch wiederkehrende Störgeräusche wie etwa das Granulat alter Klavierklänge nicht aus der Ruhe bringen. Am Ende erklingt eine andere, steppenhafte Weite, gemacht aus den Marimba-Sounds der Bassline, hölzernem Glöckeln und Rascheln sowie dem leichten Lallen des Keyboards. Eine auf enstpannte Weise gelungene EP. Christoph Braun

Zvrra – Hadal EP (30D)

Neben EPs und Alben für Labels wie Avian oder White Sepulchre veröffentlicht Zvrra seit Jahren quasi quartalsweise einen Release nach dem anderen auf Soundcloud und versucht sich dabei in unterschiedlichsten Stilrichtungen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich in ihrem Unterfangen, sind die Arbeiten dennoch stets von einer gewissen Lust am Experiment geprägt, die sie auch auf der „Hadal“-EP auslebt. Dieses Mal nicht im dekonstruierten Clubbereich, nicht in der Minimal- oder Techno-Abteilung, sondern metertief im düster dröhnenden Ambient-Territorium, in das sie sich hie und da auch zuvor schon gewagt hat. Die vier Tracks, die auf so klangvolle Kopfkinotitel wie „Hydrogen Shore“ oder „Uninhabitable System“ hören, sind dabei eher zurückhaltend und auf die Beschwörung einer Atmosphäre fokussiert, die sich hervorragend in einer gelungenen Fortsetzung der Alien-Reihe machen würde. Die Isolation im Kosmos, kaum zuzuordnende Geräuschkulissen von Steuerkonsolen, das ferne Dröhnen von Belüftungsanlagen prägen diese rund 16 Minuten. Als Hintergrundbeschallung für einen Film wäre das, wie gesagt, ganz passend – als alleinstehende EP ist es etwas wenig. Nils Schlechtriemen

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