Mathias Götz, Posaunist aus dem Umfeld von The Notwist und in zahllosen Indie-, Pop-, Jazz- und Blasmusik-Projekten umtriebig, geizt in der jüngsten Auslassungen seines Soloprojektes Le Millipede ebenfalls nicht mit warmherziger Zuwendung. Das Doppelalbum Legs & Birds (Gutfeeling Records, 20. Januar) versammelt sogar 27 seiner freimütigen Improv-Songminiaturen. Und die sorgen quasi sofort für beste Laune mit milde melancholischem Überhang.
Was ähnlich für The Sensory Illusions gilt, das Duo der Tuba-Virtuosin Danielle Price und des schottischen Komponisten, Arrangeurs und Songwriters Bill Wells. Deren zweites Album The Sensory Illusions II (Karaoke Kalk, 3. März) braucht zwar noch ein paar Wochen, bis es endlich erscheint, die Mischung aus swingendem Wohnzimmer-Jazz und lässigem Pub-Songwriting ist allerdings mehr als zeitlos, hat also quasi schon immer Dienstagabends im Jazz-Pub in deinem Veedel gespielt, wenn es je eines gab. Dazu noch die höchst erfreuliche Information, dass Osaka Bridge (Karaoke Kalk, 10. Februar) eine korrekte Wiederveröffentlichung bekommt, dieses eine in der Tat legendäre Album von Bill Wells mit der Mutter aller beseelten japanischen Amateur-Blaskapellen, nämlich Tori Kudos Maher Shalal Hash Baz.
Dass Jazz und Ambient bestens miteinander können, wusste man in Skandinavien quasi schon immer. Ein jüngerer und vielfach aktiver Vertreter dieser besonderen Fusion ist der norwegische Trompeter Marius Gjersø. Der ist mit der Marching Band Blåsemafian assoziert, die sogar mal bei einem Eurovision Song Contest war (allerdings ohne ihn), beherrscht aber ansonsten neben großen Ensembles, Big Band und Blaskapellen nicht weniger gut die kleine, intime Form.
Besonders gelungen etwa auf der Soloarbeit Yûgen (NXN Recordings, 27. Januar) auf der er zartschmelzende Trompetenklänge in kongenial zarte elektronische Soundscapes einbettet, die die besondere Ästhetik des japanisches Naturerlebens in frei schwebende Klänge fassen möchte. Und das gelingt bestens, wirkt jederzeit leicht und warm.
Die norwegische Trompeterin Hilde Marie Holsen bewegt sich dagegen üblicherweise auf der eher avanciert-avantgardistischen Seite der Musikerzeugung und der kühl-kristallinen Sounds, kann aber auch anders. Zum Beispiel mit der belgischen Vokalistin Lynn Cassiers, mit der sie als Holsen & Cassiers einen ganz freundlichen, mikrotonalen, granularen Ambient macht, der von Cool Jazz und Elektroakustik gelernt hat, und diesen zu einem melancholischen wie reduzierten, aber von feinsten Texturen gezeichneten Sound herunterbricht. Walking In Circles (Stroom.tv / Matomah Records, 27. Januar) hat es nicht nötig, auf Virtuosität oder Effekthascherei zu setzen. Eine Feier der Stille.
Der in Berlin lebende Pianist Henning Schmiedt steht in seinem bevorzugten Genre, dem jazzig-folkigen bis neoklassischen Solopiano, ebenfalls für Leichtigkeit und Lieblichkeit. Und die 15 Stücke der Piano Miniatures (FLAU, bereits erschienen) bestehen aus nichts anderem als der flüchtigen Substanz von zugewandter Freundlichkeit. Kleines Klavier als Spielzeug, Neoklassik ohne Kunst oder Künstlichkeit, ohne Klassik, aber mit tief menschlicher Emotion dies- und jenseits von Kitsch. So einfach, so gut.
Sind die Feste gefeiert, die Tage zu kurz und die Nächte zu kalt geworden? Sind in musikalischen Äther getränkte Erdbeeren die korrekte Kur von lebensbejahend extrovertiertem Eskapismus? Nun, der experimentell schimmernde Dream-Pop von Alana Schachtel alias Lipsticism aus Chicago ist hier und heute genau das Richtige, die Musik für den Moment, der sämtliche Wut und Aggression in strukturelle Schönheit sublimiert und in fluffige Klangwolken zerstäubt. Das über drei Jahre entstandene Two Mirrors Facing Each Other (Earth Libraries, bereits erschienen) ist in aller Üppigkeit (und Reduktion der Mittel) eine definitive Sache und schon jetzt ein Motherboard-Favorit für das junge Jahr.
Was aber bei weitem nicht alles ist, denn Schachtel hat noch die Single Race For Titles feat. Lipsticism (Fire-Toolz, ebenfalls bereits erschienen) mit Universalmusikgenie Angel Marcloid alias Fire-Toolz produziert, einfach nur um den „New Age Emo” auf die Spitze zu treiben. So(n)g des Jahres.
Für das, was Tuva Hellum Marschhäuser mit ihrer mittlerweile zum Soloprojekt gewordenen Tuvaband macht, ist New Age Emo ebenfalls gar nicht so abwegig – zwei Oktaven tiefer gestimmt allerdings. Kein Zufall also, dass die norwegische Singer/Songwriterin auf der Basis ihres eigenwilligen gotischen Shoegaze aus reuelos melancholischem Pop problemlos mit Menschen wie dem legendären Dub-Produzenten Lee Scratch Perry arbeiten konnte und jüngst mit den avantgardistischen Drone-Metallern New Age Doom kollaborierte. Auf New Orders (Passion Flames, 20. Januar) sind ihre außerweltlich-experimentellen Ausflüge subtil, aber spürbar, geben den Vibe vor und werden doch gleichermaßen zu introvertierten Folkpop-Songs.
Kalifornisch-sonnige, minimale Vibes sendet das Indie Dance Duo abracadabra aus Oakland in den hiesigen Sparwinter. Knietief im Knatterbass, Space-Dub und Konsolensound ist der Mix von Hannah Skelton und Chris Niles auf Shapes & Colors (Melodic, 20. Januar) doch beachtlich wenig retro. Klingen die einzelnen Bausteine nach ESG, Yellow Magic Orchestra oder The Slits, jeweils circa 1981, ist das Gesamtbild zeitgenössisch und modern. Sanft-psychedelischer Slow-House, perkussiv klappernder Rauchwaren-Chill-Pop, der auch die finstersten Tage aufhellen mag, im gesellschaftlich-klimatischen Schmuddelwetter Hoffnung gibt, dass alles doch irgendwie noch besser werden kann.