In den Neunzigern hat der Pariser DJ und Produzent George Issakidis den notorischen Überwältigungssound von French House vordefiniert und mitgeprägt, unter anderem mit dem Duo The Micronauts. Solo veröffentlicht hat er aber nur höchst sporadisch. Sein erstes Album Karezza erschien vor ziemlich genau zehn Jahren, also lange nach jedem Hype und abseits von jedem Mitnahmeeffekt. In der lange nach Minimal Techno noch minimalen und deutlich zurückhaltenden Mischung von Electro-Techno und Noise-Ambient in ikonischem Glasglockencover wurde das Album zu einem komplett aus der Zeit gefallenen Klassiker, zumindest in ein paar eher undergroundigen Zusammenhängen.
Nur konsequent in dieser Hinsicht bietet Navigating The Kali Yuga: Volume 1 (Optimo Music, bereits erschienen) einen nochmal ganz anderen Trip durch die psychedelischen Unterwelten der indischen Mythologie im „Zeitalter des Streites”, was „Kali Yuga” übersetzt ungefähr bedeutet. Von Techno und House sind noch Spuren zu entdecken in einem Album, das ansonsten zu einer ungemein frei aufspielenden polyelektronischen Arbeit jenseits aller Genres geworden ist.
Wenn in Electronica, oder besser: generell bei nicht ausschließlich clubfunktional gedachten Songtracks und Beats versucht wird, andere Wege zu gehen, gibt es typischerweise zwei Fluchtlinien, um das Ganze speziell und eigen zu machen. Einerseits weg von der Handarbeit hin zu modernster Technik, die eine Abstraktion der Persönlichkeit erlaubt, oder andererseits gerade in das Persönliche, in eine gelebte, gefühlte oder erfundene Vergangenheit und Tradition einzutauchen, um etwas Eigenes daraus zu machen.
Der kanadische Schlagwerker Debashis Sinha folgt beiden Inspirationspfaden auf der Doppelveröffentlichung Adeva_v000_04 und Brahmaputra (beide: Establishment, bereits erschienen). Um die frei improvisiert dengelnden und klöppelnden und doch unmittelbar körperlich verständlichen Tracks zu produzieren, hat Sinha im ersten Album Algorithmen zu Hilfe genommen, um seine ganz und gar analog erzeugten Percussion-Sounds generativ zu strukturieren, während im zweiten Album die indische Folk-Tradition und Klassik eine hörbare Rolle einnimmt. Beide Arbeiten sind übrigens gleichermaßen von Theater und Filmmusik inspiriert wie daraus entstanden. Was eben dazu führt, dass nichts an dieser Musik abstrakt, abgehoben oder unverständlich ist, und dennoch kein exo(tis)tisches Verständnis von World Music reproduziert.
Ein nochmal anderer, kopfstarker, aber überhaupt nicht verkopfter Versuch, Jazz und Elektronik in freier Improvisation in Einklang zu bringen, war das um die Jahrzehntwende mutmaßlich kurzlebige, aber immens einflussreiche Trio Groupshow aus den Nichtjazzern Hanno Leichtmann, Andrew Pekler und Jan Jelinek. Ihre Greatest Hits (Faitiche, 27. Januar) sind entgegen der Suggestion des Album-Namens praktisch durchweg neue oder neu aufgenommene Stücke, bieten aber tatsächlich einen Überblick über das, was derart profilierte Künstler heute leisten können und wollen. Vorstellungen und Erwartungen, die aus den Soloarbeiten und anderen Bandprojekten der Groupshow-Mitglieder eventuell erwachsen mögen, etwa streng durchkonzipierte Klangkunst im Duktus akustischer Hörspiel-Soundart zu kreieren, setzen die drei ein sehr lässiges Och, nö entgegen. Stattdessen machen sie lieber munter vor sich hinblubbernde Synthesizer-Improvisationen mit gelegentlichem Schlagzeugzischeln und Basswubbern. Wie die elektronische Feierabend-Jazz-Combo von nebenan – nur halt viel besser.