Vor 18 Jahren lieferte John Tejada. Nicht, dass der Producer aus Los Angeles das vorher nicht getan hätte und nicht noch immer tut. 2004 jedoch veröffentlichte er gleich zwei Tracks, die seine Laufbahn nachhaltig verändern sollten: „Mono On Mono” orchestriert mit seiner roughen Hookline die Sehnsucht, die Mensch-Maschine endlich zu knacken. Und „Sweat (On The Walls)” dokumentiert inmitten des Bermudadreiecks aus Bassdrum, Acid und Spoken Word genau den Moment, dem wir noch heute auf dem Dancefloor Nacht für Nacht zwischen gewolltem Realitätsverlust und von zuckenden Synapsen begleiteten Zweifeln entgegenfiebern. Fast zwei Dekaden später hat sich GROOVE-Autor Thaddeus Hermann von Tejada die Entstehungsgeschichte von „Sweat (On The Walls)” erzählen lassen.
Das Jahr: 2004. Der Ort: Los Angeles. John Tejada kommt von einer ausgedehnten DJ-Tour quer durch Europa zurück nach Hause. Das Kontinent-Hopping und die so immer wieder provozierte Landung in unterschiedlichen Erzählungen der elektronischen Musik gehören zu diesem Zeitpunkt für den Produzenten schon längst zum Alltag.
„What do you wanna take tonight? / Where do you wanna go tonight? / How do you feel?”
„Los Angeles war zu diesem Zeitpunkt alles andere als ein Melting-Pot der vor allem europäisch geprägten Techno-Kultur. Ich spielte zwar regelmäßig in Europa, aber das waren immer nur kurze Schlaglichter. Diese Bubble, das konstante Konfrontiert-Sein mit neuen Ideen und Richtungen haben mich in meiner Musik nicht beeinflusst. L.A. war einfach L.A. In Musik übersetzt: sehr, wirklich sehr deep-housig. Ein bisschen zu deep für mich, um ehrlich zu sein. Oder eben superhart und kompromisslos. Ich machte im Studio immer mein eigenes Ding”, erinnert sich Tejada im Sommer 2022 in ebendiesem. Der Schwenk der Webcam zeigt ein durchdachtes Setup mit viel Hardware. Damals, 2004, sah das ganz anders aus. „Hardware war passé. Wir arbeiteten alle fast ausschließlich in the box, also am Rechner.”
Aber eins nach dem anderen. „Sweat (On The Walls)” ist einer dieser Tracks, die dem Dancefloor identitätsstiftende Relevanz zurückgeben. Mit assoziativem Storytelling in Sounds und Lyrics. In Europa stellte sich die Szene mit übertriebener Minimal-Huldigung selbst ein Bein. Und in Los Angeles fegte Tejada die initiale Energie – die Basis – zusammen, verpackt in knapp sechs Minuten elegante Abfahrt, die nicht nur bedient, sondern auch reflektiert. Mit modern klingenden und modern arrangierten Oldschool-Einfachheiten. Reduziert und on point.
Egal, ob in der New York atmenden, bis zur Unkenntlichkeit reduzierten Melodie, die im Laufe des Tracks gleich mehrfach ihre Kleider wechselt, um dann wieder auf dem Catwalk des Hedonismus Schau zu laufen, den rollenden Beats, die gerade noch genug Historizität abstrahlen, um wiedererkennbare Patina zu abzubilden, oder in den Lyrics von Susan Langan, die die Essenz der Nacht immer wieder ein- und ausatmen.
Im Studio war John Tejada zu dieser Zeit wieder einen Schritt zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Die Monomachine und die Machinedrum des schwedischen Herstellers Elektron gaben den Puls für „Sweat (On The Walls)” vor – weg vom Rechner, hin zur Hardware, mit der ursprünglich alles begonnen hatte, wenn auch mit neuen Impulsen. „Die beiden Maschinen waren die Basis des Tracks. Ich hatte sie erst seit kurzer Zeit im Studio und sie kamen praktisch in allen Tracks dieser Zeit zum Einsatz. Die 303-Bassline habe ich jedoch tatsächlich mit einem Plug-in gemacht. Ich erinnere den Namen der Software nicht mehr, sie hat auch nie den Sprung in die Jetztzeit geschafft. Das Plug-in klang nicht mal wirklich wie eine 303. Das muss ich damals irgendwie interessant gefunden haben, denn das Hardware-Original stand zu dieser Zeit noch bei mir im Studio.”
„Music / Acid all over the place, and in between / It was fun / Acid / Music / How much future do you have?”
„Sweat (On The Walls)” erschien Ende 2004 – nicht auf Tejadas eigenem Label, sondern in Hamburg bei Poker Flat Recordings. „Die Zeit war damals so. Erstens hatte ich noch nicht viel auf anderen Labels veröffentlicht. Und weil ich regelmäßig in Europa unterwegs war, traf ich dort auch immer neue Menschen, zum Beispiel Steve Bug. Er fragte mich nach Tracks, und ich schickte ihm dann unter anderem „Sweat”. Hätte ich damals nur geahnt, welchen Runden das Stück drehen würde! (lacht) Ich habe in den vergangenen Jahren meine ganz eigene Theorie dazu entwickelt.”
„Die Tracks von mir, die bei den Leuten besonders gut ankommen, sind die, die ich eher weird finde, die mich auf gewisse Weise nackt erscheinen lassen. Weil sie weniger Referenzen meiner Einflüsse und prägenden Phasen aufweisen, sondern einfach nur das spiegeln, was ich in diesem Moment gefühlt habe. Ich konnte mir zu diesem Zeitpunkt einfach nicht vorstellen, dass sich der Track zu etwas Größerem entwickeln würde. Klar, er hat ein Riff und Vocals, aber davon abgesehen? Ich hatte dieses Gefühl immer wieder. „The End Of It All” hätte ich auch fast nicht veröffentlicht. Das ist natürlich ein Lernprozess. Oft mögen Labels den Track besonders, den die Künstler:innen einfach noch mitschicken”
„And the roof opened up”
Irgendwann lagen die Fakten auf dem Tisch. Nummer 1 in den Charts dieses Magazins („Mono On Mono” zeitgleich auf Platz 3) und in den deutschen Dance-Charts (of all places) noch vor Depeche Mode. Tejada beschreibt diesen Moment heute als „interessant” und zeigt sich dankbar, dass er nicht live dabei war, wie der Track in Europa rauf und runter lief. In Los Angeles interessierte sich abseits von ein paar DJs praktisch niemand für das Stück. „Ich lebte hier wie auf dem Mond. Das war vielleicht auch ganz gut so.” Heute weiß er, dass das Stück sein goldenes Ticket war. Neue Bookings, mehr Bookings, andere Bookings. Alle erfolgreichen Künstler:innen können in ihren Karrieren auf solche Momente zurückblicken und speichern sie als wichtige Episoden ab. Wer weiß schon, ob er ohne den Erfolg von „Sweat (On The Walls)” heute einen Lehrauftrag am California Institute of the Arts hätte, immer noch Album nach Album veröffentlichen würde oder gemeinsam mit Reggie Watts das Projekt WAJATTA aus der Taufe gehoben hätte.
„Mir ist es tatsächlich auch ein bisschen egal, wie der Track heute gesehen und gehört wird – wenn überhaupt! Einige meiner Student:innen, die im Studienjahr 2022/23 bei mir in den Kurs kommen, wurden 2004 geboren. Die Platte sah ich tatsächlich zum ersten Mal in Paris. Ich war mit Cabanne unterwegs und das Vinyl war gerade in einem Plattenladen angekommen. Also haben wir sie uns angehört. Eigentlich gehe ich davon aus, dass die meisten Menschen das Stück nicht mehr auf dem Zettel haben. Aber ich mag mich täuschen. Die Remixe haben ja faktisch nie aufgehört.”
Das erste Remix-Paket erschien 2010 – ungewöhnlich spät für einen Hit. Wenig Gemelke. Das blieb nicht so. Immer noch werden Remixe veröffentlicht, was vor allem mit einer Lizenzierung des Tracks an ein ehemaliges Schwergewicht der Dance-Music-Kultur zu tun hat. „Ich tue mich mit Remixen meiner eigenen Arbeit generell schwer. Ich mag das Geschäft, arbeite immer wieder mit Plaid zusammen – in beide Richtungen. Aber bei ‚Sweat’ gab es schon ein paar Momente, in denen ich mir wirklich nicht mehr sicher war, was das alles soll. Eigentlich hätte ich alle neuen Mixe absegnen müssen. Aber natürlich läuft es manchmal doch anders. Ich nenne mal lieber keine Namen. Egal: Es gibt auch Mixe, die mir bis heute viel Freude machen, zum Beispiel der Remix von SOPHIE für Sonikku, bei dem sie einfach Snippets meines Tracks mit reingenommen hat. Das war und ist total cool. Vielleicht sind aber selbst neuere Remixe ok. Musikalisch bedeuten die mir wenig bis gar nichts, sie bieten jüngeren Menschen aber immerhin die Möglichkeit, das Stück wie auch immer zu entdecken.”
„Sweat (On The Walls)” lebt derweil auch in Tejadas eigenem Universum weiter. Gemeinsam mit Reggie Watts hat er eine neue Version aufgenommen, die die beiden bei Gigs regelmäßig spielen. Ob sie jemals veröffentlicht wird? Unwahrscheinlich, was der Lizenzierung des Originals an das ehemalige Schwergewicht der Szene geschuldet ist. Wer wirklich will, findet diese Version online, speichert sie ab und gibt sie nie wieder her. Denn bei „Sweat (On The Walls)” ging es nie um Berechnung, Monetarisierung und Verwertung.