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Motherboard: November 2022

Zum Album von HAAi habe ich im Mai schon mal vorsorglich mal ein kleines Big-Beat-Revival ausgerufen. Die Signale wurden gehört, vor allem in Großbritannien, wo Eliot Paulina Sumner (ja genau, Sumner wie in Sting) mächtig nachlegt. Das zweite Album von Sumners HAAi phonetisch und typografisch so ähnlichem (nicht mehr so anonymen) Alias VAAL bewegt sich erstaunlich weit weg vom eher schlanken und tiefen Techno, den sie in den vergangenen paar Jahren mit Tale Of Us produzierte. Es geht jedenfalls ohne Gnade, ohne Pause in die Vollen: orchestrale Samples, Stimmsamples, Hardrock-Samples, Feedbackgitarre und Synthesizer-Fanfaren über und unter dichtestem Breakbeat-Geboller, als wäre der Second Summer of Love in Manchester real gewesen, als wären The Prodigy nie passiert. Dicker Rave, dicke Hose und großer Spaß.

Wie selten das doch ist, so ein konsistent und durchgehend gutes Techno-Pop-Album, das die Balance zwischen Mainstream, Podcast, Streaming, (Internet-)Radiotauglichkeit und Festival-Peak-Qualitäten halten kann und dabei halbwegs schlank und elegant produziert ist; das sich ohne ein Übermaß an Kompressor auf den Signalen noch eine gewisse Subtilität, ein Leise-Sein-Können leistet. In dieser Kolumne kommen durchaus öfter Produktionen vor, die diese (zugegeben sehr individuellen) Anforderungen in manchen Aspekten oder in einzelnen Stücken erfüllen, aber auf LP-Länge passiert es nicht oft, dass alles für alle vielen so gut passt. Die Debüt-LP Sant Jordi (None Of The Above, 4. November) der Berliner Produzentin und Sängerin Joplyn kann genau das richtig gut.

In ein anderes kürzlich vermutetes Revival des Cornering-House und Abhäng-Techno spielt Expanding Abundance (URSL Records, 2. Dezember) des Hamburger-Berliner Labelmachers und Produzenten Nayan Soukie alias Amount. Lässige, aber fette Beats in unteren BPM-Bereichen zwischen instrumentalem Trip-Hop und bassig-moderatem Techno in hypertrasnsparenter, bouncender Produktion. Extra Credits für das hübsch collagierte Video.

Der Berliner Don des Mittzehner-Slow-Techno Rampue lässt sich da nicht lumpen und bringt mit Tragweite (Hold Your Ground, 25. November) ebenfalls ein introvertiert in die Vollen gehendes Electronica-Album mit geraden Beats und ordentlich bassigem Punch. Experimenteller als zuvor und mit dem Herzen des Techno-Melancholikers, der allein in der Menge, isoliert und doch zusammen mit anderen erst ganz bei sich ist.

Der Schweizer Album-Debütant Mehmet Aslan sucht den goldenen Schnitt zwischen Instrumental Hip Hop, House, Dub Rock und allerlei balearischen Beats. Das lässige Understatement der Produktion und die unverkrampfte Vermittlung zwischen diversen Stilen und Zeiten deutet schon darauf hin, dass Aslan kein unbeschriebenes Blatt ist. Seit zehn Jahren legt er als passionierter Cratedigger zwischen Basel und Berlin in maximal unverkrampfter, stilistisch offener Weise auf und hat als MMT mit Edits türkischer Popmusik ein paar mittelgroße Underground-Hits für aufgeschlossene House-Floors veröffentlicht. All das kommt auf The Sun Is Parallel (Planisphere Editorial, 11. November) sofarockend zusammen. Einer der ambientesten (und schönsten) Tracks des Albums nennt sich „There is No Such Thing As Herkunft”, wie weise und wahr.

Der Schwede Mikko Singh alias Haleiwa versteckt seine auf Größe und Euphorie ausgelegten Songs nach bester Shoegaze-Art hinter einer verwaschenen Lowest-Fi-Produktion. Die Sound-Waschküche kann aber keineswegs verbergen, dass sich auf Hallway Waverider (Morr, 25. November) grandiosester Surf-Pop, zartelektronische Soft-Psychedelia und ausgewachsene Indie-Rock-Stomper die Hand reichen. Smells Like Teen Spirit.

Das Berliner MELT Trio hat nicht unwesentlich zum aktuellen weltweiten Jazz-Boom beigetragen. Durch unermüdliches Touren rund um den Globus, unzählige Live-Auftritte und Workshops in Kombination mit einer klugen, zurückhaltenden Veröffentlichungspolitik, die nur circa alle drei Jahre ein Album herausgelassen hat – eben dann wenn am Bandsound wirklich alles stimmte. Weil sie zudem im altehrwürdigen Jazz-Format des Gitarrentrios (das natürlich auch ein Rock-Format ist) einen breitenwirksamen wie multipel konsensfähigen Sound entwickelt haben, der Modern Jazz und Siebziger-Fusion mit Math-Rock, Prog, Siebziger-Funk und elektronischen Strukturen auf eine Weise kontrastiert und vermengt, die sämtliche Genrekonventionen, in denen sie sich bewegen, deutlich herausfordert und darin eben wieder richtig frisch klingt. Ihr viertes Album Consumer (Fun In The Church/Bertus, 4. November) bringt diese DIY-Perfektion auf den Punkt. Jazz als Indie und umgekehrt. Demnächst oder irgendwann sicher wieder auf allen Festivalbühnen, nur vermutlich nicht mehr nur auf den Bühnen von Jazz-Festivals.

Das Berlin-Hamburger Quartett Norlyz hat möglicherweise sogar noch mehr Potenzial (und Ambition), eine zeitgenössische Art von Fusion-Jazz auf die Festivalbühnen zu transportieren. Mit der organischen Verbindung von großem Techno oder Kleiner-Beats-Electronica mit akustischen Instrumenten wie Cello, Trompete, Saxofon legt ihr Albumdebüt First Dawn On Planet B. (Norlyz Music, 18. November) jedenfalls mächtig vor. Absolut herausragend ist die transparente, raumgreifende Produktion der Stücke. Obwohl die Elektronik mächtig wubbert und bollert, hat jedes akustische Instrument seinen dezidierten Platz, wird weder bedrängt, noch in eine Wall of Sound eingepflastert. Hier hat sich die immer hörbare Sorgfalt, das Zeitnehmen und ausdefinieren noch der kleinsten Elemente definitiv gelohnt.

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