Baldo – Ethereal Tubes EP (E-Beamz)
Baldo Gallego aus Barcelona steckt mit seinem Vertrieb Subwax hinter einer ganzen Reihe von Labels; die neue EP erscheint allerdings bei den Engländern von E-Beamz. Dort bemüht man sich vor allem um das Bedienen der angesagten Neunziger-Nostalgie, und so kommt auch die Ethereal Tubes EP mit ordentlich Trance und Rave-Anleihen daher.
Was auf dem Titeltrack dank einnehmender Melodie noch als gelungene Garage-House-Reiteration durchgeht, bleibt auf dem trancigen „Dreams of Glass” jedoch zu blass und vorhersehbar.
„Ex Machina (Trance Mix)” schafft es, mit glitchiger Acid-Line, scheppernden Oldschool-Drums und atmosphärischem Vocal überzeugend nach Plattenkisten-Fund von vor 25 Jahren zu klingen. Der sogenannte „Power House Mix” muss sich allerdings ob des Namens direkt am Output von Sheds Head-High-Alias messen lassen – und verliert im direkten Vergleich leider deutlich.
Der letzte Track „Drive” schließlich klingt endlich nach Baldo selbst – unverfälscht von Nostalgie-Hysterie. Diese ehrliche Mischung aus Acid und Tech-House ist genau das, was er eben am besten kann, und somit auch heimlicher Favorit einer ansonsten eher mittelmäßigen Neunziger-Hommage. Leopold Hutter
I-F – The Fetish Death (Viewlexx)
I-F steht ja bekanntlich für Interr-Ference. Weniger bekannt ist, dass Ferenc der klangvolle ungarische Name für Franz ist. Also im Grunde Interr-Franz. Funfact. Ein langerwartetes Lebenszeichen des holländischen Produzenten nach über zehn Jahren. Und es ist wie erwartet ein unverkennbarer I-F, Fälschung ausgeschlossen.
Diese verkrusteten, monochrom anmutenden Schichten rohester Maschinenklänge, trocken und verschwenderisch dick aufgetragen und seit Neuestem vom Modularsystem aufgenommen. Die Bassdrums bevorzugt rotzig, aber präzise übersteuert und verzerrt sind vielleicht nichts für strenge Vegetarier:innen. Den erzählerisch redundanten Rhythmusstrukturen zu folgen, ist, wie einer spannenden Geschichte aus der noch wilden Vorzeit zuzuhören, und macht einen archaischen Spaß, wie er direkter kaum sein kann.
„Choose how you live and choose how you die… I-F choosing the Fetish Death”, heißt es auf dem mitgelieferten Beipackzettel. Die Tracks können als ein rougher, aber dennoch äußerst eleganter Soundtrack zum ekstatischen Abgang von der Bühne, zum Beispiel mit abgeschnürter Latextüte auf dem übertrieben lächelnden Kopf, gelten. Holländische Meisterwerke, schon wieder. Richard Zepezauer
Narciss – Return of the Golden Funk EP (Eurodance Inc)
2022 war ein Sommer voller Emotion und Euphorie. Blicken wir zurück, ziehen vorm inneren Auge all die Momente vorbei, die wir erlebt haben. Dieses Jahr konnten wir endlich wieder richtig feiern auf den schier unzähligen Open-Airs und Festivals. Auf einmal waren sie wieder da, die verlockenden Möglichkeiten, es wieder krachen zu lassen. Mit dabei waren mit höchster Wahrscheinlichkeit die nun auf der Return of the Golden Funk EP erscheinenden Tracks der Berliner Hitmaschine Narciss, die diesen Sommer etliche DJs antesteten. Und so haben sich, ob wir das wollen oder nicht, diese Tracks schon längst in unsere Köpfen eingebrannt.
Bei allen Stücken gelingt es Narciss scheinbar problemlos, mit Gegensatzpaaren zu jonglieren und diesen in der Fusion zu neuem Schönklang zu verhelfen: funktional-emotional, groovy-melodiös, Sample-Synths. Verlass ist immer auf ein konstantes Four-To-The-Floor-Pattern, eine groovende Bassline, markante, ausgefeilte Zweitausender-Perkussion und mal mehr, mal weniger bekannte, catchige Vocals, die fast schon dazu zwingen, gute Laune zu haben.
Diese EP lässt den Sommer lässig ausklingen und gut gelaunt auf den anbrechenden Herbst zusteuern. Sehen lässt sich auch das Video zum Track „Power to the People”: In Lo-Fi-Optik gehalten schreit es vor Berliner Lebenslust. Es wird geskatet, gesoffen und geravet – und immer mit dabei: ein durchgängig grinsender Narciss. Vincent Frisch
Shiken Hanzo – Eternity Of Echoes (Incienso)
Shiken Hanzo ist besessen vom Phänomen des Samurais und dessen Geschichte. Das beginnt mit dem Pseudonym des Londoner Breakbeat-, Drum’n’Bass- und Industrial-Produzenten, der eigentlich Ryan Fearson heißt. Zu seiner Soundästhetik passte auf bisherigen Veröffentlichungen jeweils die unaufgelöste Spannung zwischen Aktion und Besinnung, zwischen Hell und Dunkel.
Auf der 4-Track-EP Eternity Of Echoes jedoch fällt er eine Entscheidung: Vom Anbeginn an, der hier „Darkest Entities” heißt, steht er auf der ungemütlichen Seite. Die Flächen dräuen wie böse Kampftiere in Fantasy-Verfilmungen, und selbst der rollende Breakbeat wirkt wie ein Flug in die Düsternis.
„Eightfold Blessing of Amaterasu” öffnet sich ein wenig dem Lichten, immerhin wird die Sonnengöttin in Japan „Amaterasu” genannt, doch bereits im folgenden Titelstück fauchen wieder die Snares, unken die Basslines von dunklen Ahnungen, werden Ketten geschmiedet. Der klingenscharfe Jumper „The Reaping” schließlich ist gut vorstellbar als Soundtrack einer koreanischen Neuverfilmung von The Shining. Dunkel, dabei exakt. Christoph Braun
The AM – Sexworker EP (Deeptrax)
Detroit verpflichtet. Die Musikerin Ann-Marie Teasley begann dort als klassische Geigerin, bevor sie sich für die Clubmusiktradition der Stadt entschied. Gute Entscheidung.
Auf ihrer zweiten EP als The AM begleitet sie die:den titelgebende:n Sexworker wahlweise mit eckigem Electro-Fundament oder teilt, wie in „Let Me Be Lonely”, mit Handclaps Peitschenhiebe aus, wobei sie durch wellenartig an- und abschwellende Synthesizerakkorde in nervöse Tanzbereitschaft versetzt. Entspannen ist bei The AM keine Option, dafür stimmt das Energielevel durchgehend.
Zum Abschluss gibt es noch, gemeinsam mit Scan 7, Techno auf strammer Bassdrumbasis. Was darüber geschieht, ist die Abstraktion von klassischem, futuristischen Detroit-Sound. Tim Caspar Boehme