Das Thermometer schwitzt, wir brutzeln für neun Euro auf Sylt. Weil an Hundstagen alle an Calippo Cola schlabbern und die Boombox bei 37 Grad im Schatten schlummert, deckt man sich nicht mit dem Bayern-Handtuch zu, sondern mit Tapes ein. Die funktionieren mit dem trendy Walkman von Tchibo auch mit Bluetooth am Badestrand – für einen Sommer ohne Noise Cancelling wie damals!
Henry Earnest – Dream River (s/r)
Für Tapes wie Dream River von Henry Earnest schlürft man das Eis aus dem Tonic. Ob Ambient, Hyperpop oder Trance – Earnest bleibt Earnest und gießt ein Album auf, das bei der PC-Music-Mafia Schutzgeld einbringt, weil: Das ist Mukke, die Spaß macht. Das darf nicht sein, brüllen bierernste Bewegungslegastheniker! Oder etwa doch? Henry Earnest hat die 250-Euro-Frage längst beantwortet. Sein Tape klingt wie die Explosion einer Zuckerwattefabrik. Alle haben was davon. Sogar Zahnärzte grinsen heimlich aus der S-Klasse, wenn der Typ aus Dublin seine Stimme in den 14. Stock pitcht und an der Gitarre zupft, als hätte ein blonder Engel für ein Halleluja gesorgt.
Bloomfeld – LARP OS (Lobster Theremin)
Der Mann schaut nicht nur aus wie ein Datendieb aus der Zukunft, er legt auch so auf – zum Beispiel in der Matrix zur Hasenheide oder bei der Klubnacht im Berghain. Außerdem hat Bloomfeld gerade sein Debüt bei den Londonern von Lobster Theremin veröffentlicht – ein Tape als TÜV für verstaubte Subwoofer, Beine aus Beton und den berühmt-berüchtigten Code 9. Denn: Bloomfeld checkt, wann Shorts schlackern und Booties bouncen müssen. Dafür zockt er zwischen Grunz-Grime, Feuerwehr-Footwork und Tomahawk-Techno die ärgsten Beats, für die man sogar am CTM ein paar Leute zum Däncen brächte. Wenn der Typ jetzt noch drüberrappt, extrahiert Bloomfeld zukünftig more d4ta!
Various Artists – WARCC03 (Warning)
Attenzione, aufgepasst! Die Labelcrew von Warning zieht ein Planquadrat und kontrolliert Jausenboxen. Die Pillen glitzern rosarot, der Weg zum Dancefloor führt über die Floorfreude. Für den ersten Labelsampler knackt man zusätzlich drei Kaugummiautomaten, denn: Was elf Produzent*innen zwischen Tbilisi, Kreuzberg und Belarus aus der gecrackten Abletonsoftware pressen, ist eine Visitenkarte für die Kieferorthopädie. Viikatory schmatzt auf der Regenbogenstrecke, Coco Cobra und Vicious Viper bekommen von Richter Nase drei Monate bedingt, Irene J. produziert den Sonnenaufgang vier Stunden vor Elbe 1. Alte Krimihasen wissen: Wenn man etwas genau weiß, ist es meistens zu spät. Deshalb könnte 3LNA auch die neue Variante des Coronavirus sein, bleibt aber das Klapphandy-Pseudonym einer Produzentin, die die Salamiparty von DJ Heartstring crasht.
DJ Finn – Everything Is Alright (s/r)
Die Kids sind eh alright. Für diese Erkenntnis muss man nicht zwei Dekaden an Spex-Jahrgängen auf dem Häusl bunkern, ein verstohlener Blick in den Club genügt. Alle tanzen zu Platten, die immer schon geiler waren als abgestandene Diskursfürze im sogenannten Underground. DJ Finn, ein Producer aus Manchester, hat ein Tape veröffentlicht, das elektronische Musik ist. Kickdrum, Melodie, Sample. House! Das hört sich easy an und ist es auch. Zu der Basic-Ausführung der Sommerkollektion schüttelt man sich schließlich seit dem zweiten Summer of Love auf Warehouse-Raves. Was zählt, ist der Effekt. Die Form folgt dem Herz. Und den bunten Smarties! Everything Is Alright macht uns deshalb nichts vor. Pille-Palle, neunmal pralle!
Bobby Would – STYX (Kashual Plastik)
Bobby Would wäscht die Rock’n’Roll-Geschichte mit Ariel Pink und fährt vor Alan nach Vegas. Für die Berliner Tapeheads von Kashual Plastik schmilzt der Wiener Gürtel-Cowboy außerdem die Masterbänder unter der Wüstensonne zu einem Erwin-Wurm’schen Amalgam aus Plastik und Pengpeng. STYZ, sein drittes Album, spult trotzdem in Tapedecks zwischen Mississippi und Maulburg. Die Klampfe richtet sich gen Süden, ist broke und back mountain. Die Stimme quengelt aus einem Wurlitzer in der Black Lodge, den Opa Lynch in den Sechzigern auf dem Dachboden entdeckt hat. Genau der richtige Vibe für die GHB-Gstanzln, die Bobby Would auf einer halben Stunde aus der Vergangenheit in die Gegenwart schleppt.
Schmitz & Niebuhr – The Greatest Hits (superpolar Taïps)
Schlingensief hätte seine Freude an superpolar Taïps gehabt. Das Kölner Tapelabel schreibt die Musikvergangenheit neu und füllt das Damals auf Discogs mit Geschichten, die vielleicht, unter Umständen und möglicherweise passiert sind. Eine geht so: Schmitz & Niebuhr, zwei Szenespezis aus dem Kölner Underground, eierten in den 2000ern an Glockenspielen und Drehscheibendingsbums rum. Später entdeckten sie das Feuer im Drumcomputer und beschenkten, gleich dem Prometheus’schen Heureka, die menschliche Zivilisation mit Musik für Zimmerbrunnen-Playlists und zarte Momente. Soll heißen: Bei Schmitz & Niebuhr sprudelt Saft aus Synthesizern, für den man sich nach der Klubnacht erst mal drei Gläser runterlässt. Für den Electrolyte-Haushalt, eh klar.
Dina Summer – Rimini (Iptamenos Discos)
Cabrio checken, Fenster runterkurbeln, Tape einlegen – das ist der Soundtrack für Dina Summer! Ja, ja! Alle Grammatikfaschos kriegen sich wieder ein, hier geht alles mit linken Dingen zu. Dina Summer ist das Badestrand-Projekt von Frittenbude Jakob Häglsperger und den beiden Düsterseelen von Local Suicide. Untertags atmet man Berliner Luft, am Abend laben sich die drei an sizilianischem Limoncello. Rimini, ihr Sehnsuchtsalbum, schmeckt trotzdem nach Calippo Cola und Urlaub in Italien. Dafür muss man 1986 nicht mit den Eltern unterwegs gewesen sein, sondern einfach ein Faible für Glitzer, Glanz und Gloria unter Dolce-Vita-Discokugeln haben.
laced – oko (Causal Chain)
laced ist Musikerin in Montreal. Dort hat sie die gesammelten Werke von Plaid, Aphex Twin und anderen Sonnenkindern wie Autechre oder Squarepusher eingeatmet. Aus ihrem Drumcomputer sprudeln deshalb Beats, die sich krümmen und kreiseln, als hätte Oma Beimer die falschen Pillen geschluckt. Klar, man hat sich schon für weniger am Aspirin vergriffen. Schuld sind aber nicht die Beats, sondern das Zuckerwasser, in dem sie laced auflöst. Die Melodien auf oko, ihrem ersten Tape auf dem eigenen Label Casual Chain, klingen nicht ohne Grund wie die Morning Show auf NTS: picksüß! Eingewickelt in eine Schicht aus heißer Liebe, Kitsch und Luftpolsterfolie wäscht man sich mit diesem Privat-ASMR auf zwei Tapeseiten das Schmalz aus den Ohren.
En Rie – Nowadays (Wimbleheim)
Das Rhodes wabert, der Bass schlumpft – das Flensburger Label Wimbleheim reitet mit dem neuen Release von En Rie auf der Sonntag-Morgen-bleib-ich-länger-liegen-Welle. Alles easy, alles cheesy. Flying Lotus verdrückt ein Tränchen, weil: Nowadays ist eine Liebeserklärung an die Couch und andere Vorzüge des Lebens. Die acht Tracks stocken schneller als ein Omelette auf dem Gasherd. Sie könnten locker als Beattape durchgehen. Schließlich sind schon Stücke auf Chill&Relax-Playlisten gelandet, die sich lange nicht so weit nach hinten lehnen wie En Rie. Der Producer marschiert nicht, er flaniert über Prachtstraßen des Nordens. Vielleicht hat er deswegen genügend Zeit, um nebenbei seine Labelbuddys von Wimbleheim auf Whatsapp anzuhauen. Baronski, Von Wegen, bxris bekka, Ufa Palava, Roboti Niro. Wenn Flensburg anruft, sagt niemand nein. Das Ergebnis ist kein Blockbuster, aber ein Tape, für das man nach Sonnenuntergang noch eine halbe Stunde länger den Badeteich beschallt.