Nation of Gondwana (Sämtliche Foto: Pia Senkel)

Zum 28. Mal fand am vergangenen Wochenende die Nation of Gondwana statt. 10.000 Menschen suchten im 500-Seelen-Ort Grünefeld, keine Autostunde von Berlin entfernt, nach einer Parallelwelt. Wie man sie finden konnte und was an drei Tagen Realitätsflucht sonst noch passierte, hat unsere Autorin Pia Senkel erfahren.


Es ist früher Nachmittag. Die Sonne steht hoch. Tausende Menschen strömen auf den Campingplatz. Schwitzend bauen sie ihre Zelte auf. Manche haben Pavillons mitgebracht, die sie mit Wandteppichen und Lichterketten verzieren. Andere parken ihren Campingbus. Einige Motivierte hüpfen schon in den See, während im Hintergrund die ersten Viervierteltakte marschieren. Was auffällt: Im Gegensatz zum letztem Jahr muss auf der Nation diesmal niemand Maske tragen – ein negativer Coronatest und ein Ticket reichen aus, um aus der Realität zu droppen.

Das Gelände lädt dazu ein – keine Häuser, keine Straßen, nur Natur. Der Wald, der das gesamte Festivalgelände und teils auch die Bühnen einschließt, sorgt für Schatten, um sich zwischen dem Tanzen eine Pause zu gönnen. Während das Thermometer bei 30 Grad im Schatten schwitzt, wirbeln nicht nur Bässe den Sand vor der Mainstage auf. Viele Festivalbesucher*innen stampfen bereits barfuß zum Set von Rødhåd. Zwischendurch suchen immer wieder Leute im kleinen See nach Abkühlung.

Am Samstag prasselt Regen auf die Zeltdächer. Die Subwoofer schnaufen durch. Am Campingplatz wummert es trotzdem – mitgebrachte Sound Systems der Festivalbesucher*innen laden mit Techno zum Regentanz. Als die Tropfen aussetzen und erste Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke blitzen, kommt es zum Highlight des Festivals: Der Grünefelder Frauenchor, seit Jahren Kult auf der Nation, sorgt für eine Stimmung zwischen Sonntagsmesse und Woodstock. Kein anderer Act zieht mehr Leute an, bei keinem anderen Auftritt ist die Stimmung so ausgelassen wie beim Grünefelder Frauenchor.

Während die Sonne hinter Baumwipfeln verschwindet, sucht die Nation nach dem nächsten Superstar. Vier Stunden schwingen Stimmbänder beim Karaoke der CerrYO!kie Dance Party. Backgroundsänger*innen bügeln manch falsche Töne aus. Sie haben an diesem Abend viel zu tun. Wer nicht selbst zum Mikro greift, versinkt im Set von Marrøn im Tribal-Takt – oder kramt den Pulli raus. Die Wetter-App zeigt neun Grad. Im Rhythmus der Kickdrum trotzen trotzdem tausende dem Kälteeinbruch.

Neben guter Musik, einem verwunschenen Gelände, leckerem Essen und dem staubigen Campingplatz entdeckt man auf der diesjährigen Nation eine neue Besonderheit: die Sauna. Mitten im Wald können Festivalbesucher*innen in der Nomad Sauna schwitzen. Neben der Saunalandschaft befindet sich außerdem ein Massagezelt. Dort lässt man sich ausnahmsweise nicht vom Wumms der Subwoofer, sondern von Händen massieren.

Am Morgen des letzten Festivaltags hängt der Geruch von Sonnencreme in der Luft. Ein paar Early Birds gründeln bereits im Teich. Die Schattenplätze werden den ganzen Tag begehrt sein. Anders als bei vielen anderen Festivalsonntagen treibt die Musik allerdings nicht melodisch-entspannt zum Comedown. Harter Techno verwandelt das Wald-und-Wiesen-Festival der Nation in einen Open-Air-Rave. Insbesondere das Set von Monika Kruse schiebt noch mal an. Wer nicht zum Ausstampfen in der Nachmittagssonne herumhüpft, schnappt sich einen Snack. Die Feuerwehr brutzelt Bratwürste, manche Anwohner*innen bringen selbstgebackenen Kuchen. Sogar Käsespätze und veganen Döner kann man unter Sonnensegeln schlemmen.

Auch wenn der letzte Track nicht lang genug sein kann – irgendwann zieht auch die Nation den Stecker. Nach drei Tagen Realitätsflucht und Parallelwelttourismus kehrt im kleinen Dorf Grünefeld langsam Ruhe ein. Das Wummern verschwindet, die Festivalbesucher*innen auch. Ein Blick auf den Campingplatz, in die verschwitzten und glücklichen Gesichter der Menschen zeigt: Die Nation of Gondwana 2022 war ein voller Erfolg. Veranstalter*innen, Anwohner*innen, Helfer*innen und 10.000 Parallelwelttourist*innen haben alles gegeben – und der Welt zumindest für ein Wochenende eine Alternative aufgezeigt.

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