EOS Compilation 01 (EOS)
Seit 2021 sendet EOS Radio aus Frankfurt – mit Shows von Künstler*innen aus der ganzen Welt. Nun veröffentlicht das Team um Oliver Hafenbauer und Pascal Mungioli auf eigenem Label die erste Compilation. Darauf finden sich bekannte Namen aus dem EOS-Umfeld wie Paramida, O-Wells (ehemals Orson Wells), Belia Winnewisser, Kassem Mosse, DJ Slyngshot und aufregende Talente wie das koreanische Duo Salamanda. „Eve Ann” von KGA klappt an Hundstagen den Laptop zu und tiefseetaucht in Drexciya-Manier nach Atlantis. Dort schnorchelt mit n9oc schon ein anderes Talent, das man sich hinter die Lauscher schreiben sollte. Die Frankfurterin produziert Ambient-Techno, für die man sich bei 38 Grad in der Tiefkühltruhe versenkt. Wer trotzdem lieber in der Sonne brutzelt, findet mit Paramida die heißeste House-Nummer des Sommers – „Omen” drückt Basslines von der Panoramabar bis über die Spree aufs Tempelhofer Feld. Mit ihrer ersten Compilation bringt EOS, was diesen Sommer ausmacht: Versonnenheit, Hoffnung und die Erwartung, dass sich nach fünf Mai Tais unter Plastikpalmen alles zum Guten wenden wird. Caroline Whiteley
Contre tout, toutes et tous, la terre demeure (Mama Told Ya)
Anetha, Labelchefin von Mama Told Ya, trommelt auf Contre tout, toutes et tous, la terre demeure ihre Zöglinge zusammen. Passend dazu sind im beigefügten Artwork alle Künstler*innen mit ihren Kindheits-Bildern abgebildet. Neben Tracks von nischigen Acts wie Onleash oder Nebuchandnez mischen sich die Stücke von bekannteren Talenten wie Paul Copping, Mac Declos oder Gutkein. Auch die Kopenhagener Acts Schacke und Ida Engelhardt sowie Luca Eck – junges Gesicht der Berliner Partyreihe Durch – haben zum Release beigetragen. Anetha geht es um das klangliche Experiment und eine Vision, wie die Zukunft klingen könnte. Die Produktionen leben von diesem progressiven Ansatz, gleichzeitig zeigen nur wenige Stücke neue Wege auf. So ist der Release ein Abbild dessen, was sich in den letzten zwei Jahren in elektronischer Musik getan hat: Moderne Techno-Produktionen haben sich inzwischen mit einer Selbstverständlichkeit die Psytrance-Bassline einverleibt – eine notwendige Folge der immer schneller gewordenen BPM. Man merkt: Es geht nicht mehr darum, einzelne Bassdrums von enormer Wuchtigkeit zu produzieren. Wichtig ist, die Zwischenräume mit einem antreibend monotonen Bass zu füllen. Neben dieser Veränderung im Produktions-Stil leben viele der Stücke von einem zukunftsweisenden Vocal-Cutting, die futuristischen Produktionen von Vladimir Dubyshkin oder François X in nichts nachstehen. Vincent Frisch
Rare SSR Electronica 1988-94 (Crammed Discs)
Als in den auslaufenden Achtzigern die erste Welle so rau-hypnotischen wie futuristischem Techno und House aus amerikanischen Städten wie Detroit, Chicago oder New York an die europäischen Küsten und über die europäischen Underground-Dancefloors brandete, da spitzte auch Marc Hollander, Gründer des belgischen Spezialitäten-Labels Crammed Discs die Ohren.
Bekannt nicht zuletzt für die Label-Releases avantgardistischer Elektronik (etwa von Tuxedomoon oder Hollanders eigener Band Aksak Maboul mit dem Proto-Techno-Stück „Saure Gurke”) erkannte er sofort das experimentelle, zukunftsweisende Potenzial dieser neuen Musik. Geschwind war das Crammed-Sublabel SSR gegründet, wo in Folge nicht nur Platten von Musikern wie Carl Craig oder dem 4-Hero-Duo erschienen, sondern auch zahlreiches heimgewachsenes Material. Denn natürlich war Hollander nicht der einzige, bei dem diese neue Musik einschlug wie eine buchstäbliche Ecstasy-Tablette – von Belgien über Schweden bis ins hochnördliche Norwegen war da plötzlich einiges los in den Schlafzimmer-Studios angehender Produzenten. Und da Crammed Discs dieses Jahr seinen 42. Geburtstag feiert, ist das doch ein schöner Anlass für eine umfassende Retrospektive.
Deren erste Phase liegt nun mit diesem dicken Brocken vor, einer 24 Tracks umfassenden Compilation, die sich mit Crammeds, respektive SSRs ersten Schritten auf den innereuropäischen Dancefloor befasst – genauer gesagt mit den Jahren von 1988 bis 1994. Und ein abwechslungsreicher Rundumschlag ist das geworden, der gleichzeitig stellvertretend steht für die frühen Entwicklungsphasen elektronischer Tanzmusik. So ist der Beginn (repräsentiert hier zum Beispiel durch DJ Morpheus’ und Per Martinsens Projekt The Gruesome Twosome) noch stark EBM-lastig. Mr Big Mouse oder +(Positive) erforschen dann, was ein Sampler so in Verbindung mit Electro-Beats kann. Und bei Geir Jenssens Biosphere-Vorgänger Bleep zeigen sich erste Acid House-Einflüsse. Und so nimmt der musikalische Fluss seinen Lauf. Es folgen Techno und House von Photon, Hans G oder YBU, Breakbeat-lastige Electronica von Alegria (aka Bjørn Torske), ein bekifft verschwurbelter Move D-Remix, psychedelischer Goa-Acid von Solar Quest oder Ambient-House von Avalon. Für jeden Geschmack ist hier etwas dabei, die Qualität dabei gleichbleibend auf hohem Niveau. Und, wie bereits erwähnt, das ist nur der Anfang. Nicht nur, dass Crammed die zu den einzelnen Tracks der Compilation zugehörigen EPs auch wiederveröffentlicht, bis zum Herbst 2023 folgen noch die Phasen Zwei, Drei und Vier dieser Jubiläums-Offensive mit 80er Global Pop, Electronica bis 2001, B-Seiten-Sammlungen und weiteren Neuauflagen rarer EPs. Es bleibt also spannend. Tim Lorenz
Silberland Vol. 1: The Psychedelic Side of Kosmische Musik (Bureau B)
Eine Blütenlese des Genres, das unter der unglücklichen Bezeichnung Krautrock in die Annalen der Popmusikgeschichtsschreibung eingegangen ist, präsentiert Bureau B mit der Compilation Silberland. Vol. 1 deutet auf eine geplante Reihe hin, der Untertitel deutet „The Psychedelic Side of Kosmische Musik” auf den Fokus dieser mit großer Expertise zusammengestellten Anthologie. Denn Silberland. Vol. 1 kann auch als Querschnitt der enthusiastischen und unermüdlichen Reissue-Arbeit der Hamburger gehört werden: Alle der 20 Tracks finden sich auch auf den Bureau-B-Wiederveröffentlichungen der vergangenen eineinhalb Dekaden wieder. Oder wurden, wie Heiko Mailes „Nachtspaziergang (Tape 40)”, das eine experimentellere Seite des Camouflage-Keyboarders zeigt, gleich dort erstveröffentlicht. Das Etikett Krautrock wirkt hier auch deshalb deplatziert, weil hier anstelle von Rock meist die Synthesizer-Elektronik im Vordergrund steht. Auch Kraut passt nur bedingt, vielmehr könnte man, wie der Grafiker des Cover-Artworks, vielleicht an Pilze denken.
So bilden die zwischen 1972 und 1986 entstandenen Aufnahmen ein überraschend breites Spektrum dieser Musik ab. Neben als Pionieren allgemein anerkannten Künstlern wie Moebius, Roedelius, Conrad Schnitzler und Harald Grosskopf stehen hier auch weniger geläufige Artists wie Rolf Trostel, Michael Bundt, Bernd Kistenmacher und Günter Schickert im verdienten Rampenlicht. Tatsächlich ist der Solokünstler hier die Regel, Duos wie Tyndall oder You sind die diese bestätigende Ausnahme. Liegt der Schwerpunkt gefühlt noch zwischen Mitte und Ende der Siebziger, ragt einiges wie der funky Dub „Scharfer Schnitt No. 1” der Berliner Formation Populäre Mechanik oder der fabelhafte Opener „Strahlsund” von Die Partei, die hier im Jahr 1981 New Age mit Industrial rückkoppeln, schon weit in die New-Wave-Epoche hinein. Aufgrund der epischen Spielzeit mancher Originale taucht die Hälfte der Tracks hier in einem „Bureau B-Edit” auf. Insofern ist Silberland ein exzellent kuratierter Einstieg, ein Portal zu einem musikalischen Kosmos, der von Paradigmenwechseln geprägt ist und intensive Beschäftigung reich verlohnt. Bemerkenswert, dass sich diese Geschichte auch ganz ohne Can und Neu! erzählen lässt. Okay, fast ganz ohne: Mit der Phantom Band hat es zumindest ein Jaki-Liebezeit-Projekt doch auf die Playlist geschafft. Harry Schmidt
The Juice Volume 1 (Juicy Gang)
DJ Mell G zündelt an der Boombox – und die Bootys bouncen! Für den ersten Labelsampler ihrer Juicy Gang Records drippen elf Tracks von der Clubdecke. Wer die neuen Nike-Kicks einschweißeln will, sprüht sich mit Axe ein und flext zu Gangbang-Electro auf dem Dancefloor. Zwischen Acid-Schmatzereien und Überholspur-Beats drückt man anschließend die Eisen durch. 150 Sachen und es geht noch schneller, weil: Links geblinkt ist halb geparkt! Temposchwelle: nix da! Ob man den Beton bei schnuckeligen „90 Grad” im Schatten mit CcC anmischt oder sich mit YAZZUS im Schutz der Finsternis verkriecht: wurscht! In exzessiven Nächte versprühen DJ Sekt und Yung Secco sowieso nur Prosetscho aus der Viertelliterklasse. Außerdem: Catlaine versucht, ihr Selbstvertrauen ins Geldbörserl zu stecken. Dabei schmeißen P.Vanillaboy und 3LNA wieder Molly und feuern die 303 im Görli durch. Halleluja, Heiterkeit – was auf The Juice Volume 1 in der Rekordbox rotiert, fetzt für fünf Veröffentlichungen. Kaufen, spielen, Nachbarn nerven! Christoph Benkeser