Coco Cobra b2b Hanna Baertig – Diffuse Reality Podcast 111 (Diffuse Reality)
Coco Cobra ist Resident des Hannoveraner Clubs Weltspiele und Mitglied des ebenso in der niedersächsischen Hauptstadt ansässigen Kollektivs soft spot, Hanna Baertig Teil des Berliner Kollektivs Aller Ende Anfang. Beide Künstlerinnen stehen stellvertretend für einen Sound, der die oft beschworene Genrelosigkeit hochhält, ohne ins Ironische oder Trashige abzudriften, sich situativ aber durchaus das ein oder andere Späßchen erlaubt.
Für die 111. Ausgabe der Podcast-Reihe des portugiesischen Labels Diffuse Reality haben sich beide zusammengetan, um 68 Minuten an stilistisch diversem Material aneinanderzureihen. Los geht’s mit einem dubbigen Skee-Mask-Stück, das an die frühen Autechre erinnert, weitere musikalische Tiefe bringt etwa Forest Drives Wests „Cut and Run” nach etwas über einer Viertelstunde in den Mix, ehe dessen sphärische Breaks erstmals im Ravekanal münden. Zwischen diesen beiden Extremen, schwelgerischer Atmosphäre und mehr oder weniger greller Abfahrt, pendelt der Mix und zeigt, dass diese sich sehr wohl vereinen lassen, für die optimale Stimmung auf kontemporären Dancefloors vielleicht sogar einander brauchen. Besonderes Highlight nach einer Stunde: „Showreel Pt. 3” von Djrums nach wie vor genialem Album Portrait With Firewood von 2018 und der anschließende Übergang von Ambient Gabber zu organischem Rausschmeißer-Drum’n’Bass inklusive Backspin. Maximilian Fritz
DJ Travella – Fact Mix 862 (FACT)
Bei unseren essentiellen Alben im April 2022 stach das Debüt des 19 Jahre jungen DJ Travella aus Daressalam, Mr Mixondo, zum Glück weit genug heraus. Auch dank Nyege Nyege, die meist mitmischen, wenn im Großraum Uganda und Kenia der Boden zittert. Hamadi Hassani, so DJ Travellas richtiger Name, kreiert in für Fact einen angenehm überfordernden Mix in typischer Singeli-Manier. Bei dem in den 2000ern entstandenen Genre oder Performance-Style werden bei besonders hoher Geschwindigkeit verschiedene Samples aus Rave, Trap, R’n’B oder Dembow in einen Teilchenbeschleuniger geworfen, auf Lichtgeschwindigkeit gebracht und zusammengesmashet. Für Nicht-Physiker*innen: Das ist ultraschnell und ballert.
Im Unterschied zum penibel geplanten Ablauf, der ein Vakuum für Grundlagenforschung zur Folge hat, reißt Travella mit seinem improvisierten Auftritt sämtliche Grundlagen der elektronischen Musik ein. Sowieso bewegen sich Füße und anhaftende Körper bestenfalls so schnell, dass der Floor nur noch metaphorisch vorhanden ist. Sein musikalisches Hilfsmittel: Ein Bluetooth-Keyboard. Eine Tracklist ist nicht wirklich vorhanden, doch hangelt er sich in seinem von ihm selbst als MR MIXONDO MX SICK FACT MIX genannten Werk am eigenen Debüt entlang, remixet dabei aber wie ein Tier und zeigt, dass es vor allem der manische Live-Prozess ist, der seine Kunst so spannend macht. Gequietsche, Drums, Bass-Boost, Shaker und Synthies mit zuckrig-süßen Melodien ergeben einen erfrischenden Sound. Lutz Vössing
EVES120 – 99CAST 011 (Kollektiv99)
eves120 ist DJ und Resident im Club Objekt klein a in der Dresdener Neustadt. Im Rahmen einer Kollektiv99-Podcast-Session droppt sie ein einstündiges Set und spiegelt damit exakt die wohligen Emotionen wider, die man im engsten Kreis seiner Liebsten verspürt. Ihre Mixtur aus House, Disco und lauschigen Rap-Tunes schließt in vertraute Arme und entfacht den Freudentaumel, der in den ersten lauen Sommernächten des Jahres immer wieder aufs Neue überwältigt.
Verträumte Piano-Samples des House-Songs „Playa On Playa” versetzen die Gedanken nach dem ersten Viertel des Sets in Hypnose – ein euphorisches Kopfkino-Szenario wird entfacht: Funkelnde Sonnenstrahlen glitzern auf den Wellen, kleine Tropfen bilden sich am Glas der Sektflasche, ein sandiger Windstoß wirbelt die Haare queer durchs Gesicht, der Qualm einer frisch angezündeten eves120 folgt dem Weg der warmen Sommerbrise.
Die Geschwindigkeit orientiert sich dabei stets an der schwingenden 140-BPM-Marke und lädt zu erquickenden Schaukel-Tanz-Kapriolen in solidarischem Ambiente ein. Die Tracks harmonieren aber nicht bloß im Tempo, denn auch die Stimmungen der einzelnen Songs sind in ihrer Totalität gekonnt aufeinander abgestimmt. Zweifelsohne ist in der Auswahl dieser Song-Kollektion einiges an Herzblut der jungen eves120 geflossen, und ihre Passion fürs Auflegen wird dabei mehr als deutlich. Celeste Lea Dittberner
The Fear Ratio – Bleep Mix #237 (Bleep)
In Form einer Kassette und als Mix bei Bleep gibt es Neues und Ungehörtes von The Fear Ratio. Das Duo, bestehend aus den beiden UK-Technoproduzenten Mark Broom und James Ruskin, recycelte dafür angefangene Projekte, die es mit der Öffentlichkeit geteilt hat. Broom und Ruskin ordneten Sketches, Loops und halbfertige Beats zu einem einstündigen Mixtape mit beeindruckender Bandbreite.
Nachdem abstrakte Klangformen die Ohren eingestimmt haben, übernehmen sphärische Hip-Hop-Tracks den Mix. Absonderliche Drumpatterns, gepaart mit detailliert ausproduziertem Sounddesign und breitflächigen, melodiösen Synthesizer-Motiven, bilden die erste Hälfte des Mixtapes. Die zweite Hälfte sorgt mit IDM-Produktionen ähnlicher Beschaffenheit für Hörgenuss im gehobenem Tempo. Konstant sorgen behutsame Übergänge für Rhythmus- und Stimmungswechsel, ohne die Geschlossenheit des Mixtapes zu stören. Felix Gigler
Leeza – HOTSHOT (Institut für Zukunft
Zu einer Zeit, in der viele DJs und Produzent*innen ihren Tempomat auf 150 BPM eingestellt haben, ist es schwer, aus der Masse an Trance-Kitsch und Bootleg-Trash herauszustechen. Die HOTSHOT-Reihe im Institut fuer Zukunft in Leipzig schafft es trotzdem, Spannung auf die Autobahn zu bringen. Eine der fünf Hosts heißt Leeza. Ihr Beitrag zur ersten HOTSHOT-Ausgabe war ein Closing-Set im Trakt 1 des Leipziger Clubs. Sie ist außerdem noch bei der Partyreihe Halftime im Conne Island dabei und Mitglied des Kollektivs G-Edit.
In ihrem Set kristallisiert sich ein passender Mix aus Trance-Subgenres raus. Harte wie acidlastige Klänge greifen ineinander. Leezas Trackauswahl bedient eben nicht nur die Trance-Säge – bei ihr treffen eher Kitsch-Anklänge aus hochgepitchten Vocal-Samples auf seriöse Acid-Basslines wie in „Don’t Care (Ft. Ruby)” von trillosta zum Ende des Sets. Melodiös-verspielt darf es trotzdem sein, wie der Track „Phonky Tribu” von Funk Tribu mit deutlichen 2000er-Anleihen zeigt. Insgesamt ein wilder, verspielter Mix, der den langsam festgefahrenen Trance-Wagen von hinten anschiebt. Malte Scheibe