Annabel Ross (Foto: Shannyn Higgins)
Ursprünglich sollte die freie Journalistin Annabel Ross das diesjährige Movement Festival in Detroit besuchen, um eine Rezension der Veranstaltung für das Mixmag zu schreiben. Einige Tage vor dem Festival erhielt Ross die Nachricht von ihrem Redakteur, dass sie nicht über das Festival berichten dürfe. Das erklärt die Autorin in einem Blogbeitrag, in dem sie von den Vorfall aufarbeitet.
Headliner der diesjährigen Detroit-Love-Stage war Carl Craig, der als einer der bekanntesten Detroit-Techno-Künstler gilt und seit den frühen 2000ern fester Bestandteil des Movement-Line-ups ist. Als Craig erfuhr, dass Ross über das Event schreiben soll, stellte er dem Festival ein Ultimatum: Entweder sie oder er.
Carl Craig ist ein enger Freund von Techno-Pionier Derrick May. Ross publizierte in den letzten beiden Jahren zwei Artikel über May, in denen sie Vorwürfe verschiedener Frauen gegen May aufgrund von sexuellen Übergriffen und Belästigungen aufführt.
Zwar wurde Ross verboten, über das Festival zu berichten, besuchen konnte sie die Veranstaltung trotzdem. Nach einem Gig von Omar S. (Omar Smith) ließ sie sich mit dem Musiker gemeinsam fotografieren. Smith war zu dem Zeitpunkt nicht bewusst, mit wem er auf dem Foto posierte, bis Derrick May ihn darauf aufmerksam machte.
Als Reaktion darauf machte Smith ein Screenshot des Fotos, retuschierte das Gesicht von May in das Foto hinein und ergänzte folgende Bildunterschrift: “These Ladies Support Derrick May guys!!”. Carl Craig tat es ihm gleich und teilte dasselbe Foto, ähnlich bearbeitet, mit der Unterschrift: “‘i support n**gaz and i support n**gaz from Detroit.’ J.A.N.”
Annabel Ross kritisiert die patriarchalen Strukturen der Szene, fordert mehr Solidarität mit den Opfern sexualisierter Gewalt und denunziert die derzeitigen Verhältnisse als vernichtende Demonstration toxischer Männlichkeit in einer Szene, in der Frauen, Trans- und nicht-binäre Menschen stetig diskriminiert und ungehört bleiben: „It’s the brotherhood that makes men stay quiet after witnessing or hearing about abuse, fearing repercussions in the form of losing bookings or record deals or simply being ostracised from the community. It’s the brotherhood that makes it possible for men in the industry to abuse women while continuing to collect fat paychecks. It’s the brotherhood that encourages the men around abusers to turn a blind eye to bad behaviour, especially when they’re also making profits.”
Gleichzeitig könne die Journalistin zwar verstehen, dass Craig seinem Mentor beisteht, schließlich habe er ihm einen großen Teil seines Erfolges zu verdanken. Allerdings könne sie sich nicht vorstellen, dass er nach 40 Jahren Freundschaft nichts von Mays Übergriffen auf Frauen wisse.
Ihrer Meinung nach sei es sehr wohl möglich, Detroit Techno zu lieben und gleichzeitig Rechenschaft von den Personen einzufordern, die ihre Machtpositionen missbrauchen. Eines dürfe man aber keineswegs: Ignoranz zeigen. Die drei Musiker haben sich bis jetzt noch nicht geäußert, auch seitens des Festivals gibt es noch keine öffentliche Stellungnahme.
Ihren Appell richtet sie ebenso an die Fans von Craig, May und Smith. Auch wenn sie selbst ihr Leben lang viel mit deren Musik verbunden hat, macht sie auf folgendes aufmerksam: „I can tell you that the women who claim to have been abused by May can’t hear “Strings of Life” without being reminded of their trauma.”