Basic Rhythm – Cool Down the Dance (Planet Mu)
Bei Drum’n’Bass ist ja längst nicht mehr die Frage, wie sinnig die Neubelebung des Genres ist, sondern wie lebensfähig die neuen Beiträge im Einzelnen sind. Beim Label Planet Mu dominiert seit jeher das Interesse an innovativer Fortschreibung gegenüber dem bloßen Bestandserhalt, was schon mal eine günstige Voraussetzung ist.
Und der Londoner Produzent Anthoney J Heart alias Basic Rhythm tritt auf seiner EP Cool Down the Dance an, dem Anspruch in Bass und Beat gerecht zu werden. Nostalgisch einerseits, der Zukunft zugewandt andererseits. Im Titeltrack macht er das mit extra wicked Breaks, die statt abzukühlen vielmehr alles anfachen, was da zu entzünden ist. Im Loxy-Remix wird das Tempo etwas zurückgefahren, was der komplexen Wucht der Rhythmen aber nichts von ihrer Energie nimmt. Und das abschließende „Satt” ist eine langsam zersplitternde Abrissbirne, die außer Beat-Partikeln und Subbassfundament kaum mehr braucht, um die eigene Umlaufbahn am Kreisen zu halten. Abstrakt’n’Bass von größter Durchschlagskraft. Tim Caspar Boehme
Bitter Babe & Nick León – Delirio EP (Club Romantico)
Kein Sound dominiert die Dancefloors sowie die globalen Popcharts aktuell wie lateinamerikanisch angehauchte Rhythmen. Die in Miami ansässigen DJs und Produzenten Bitter Babe und Nick León, der mit Producer-Credits auf dem aktuellen Rosalía-Album Motomami zu finden ist, gehören zu zwei den aufregendsten Vertreterinnen der Latin-x-Diaspora in den USA.
Mit ihrer jüngsten EP Delirio, gefolgt von ihrer 2020 erschienenen Clandestino EP, landet das Duo nach einem Remix von Isabella Lovestorys „Fuego” wieder auf Club Romantico, dem Label des Produzenten Florentino aus Manchester. Delirio arbeitet die Verschmelzung verschiedener globaler Einflüssen bestens heraus, zwischen Neuinterpretationen des kolumbianischen Guaracha, Raptor House aus Venezuela und dem sprudelnden Bubbling-Stil von De Schuurman, der dem hochenergetischen Track „Gøce” seinen eigenen Touch verleiht. Wo das Original technoider, mit tieferen Basslines durchbraust, flattert der Remix auf einer höheren Luftlinie, verliert dabei aber nie die ursprüngliche roughness des Tracks. Ähnlich schwebend ist auch der „Delirio”-Remix von DJ Python, der mit seinen Soundeffekten fast an ein Flugzeug erinnert, das nach Miami abhebt. Caroline Whiteley
DJ Chrysalis – What Came First An Why Does It Matter (Public Possession)
Auf der Public-Possession-Compilation Chill Pill II war Christopher John Ellis mit dem Downbeat-Dub-Track „Cushion” eine der Entdeckungen einer jungen, frischen Garde australischer Producer. Mit What Came First And Why Does It Matter legt DJ Chrysalis nun seine Debüt-EP auf dem Münchner Imprint vor.
Während der Titeltrack den Charakter einer Introduktion hat, formuliert „I Want To Dance” ein eindeutiges Anliegen, phasenverschoben prozessiert. Allen fünf Tunes ist eine eigentümlich lichte, luftige Helligkeit zu eigen, was selbst auf einen Acidtrack wie „Melodie” zutrifft. Ähnlich wie bei den 100%-Silk-Acts vor einer Dekade liegt der Schwerpunkt auf – mitunter digitalen – Synthesizersounds, aber auch Microhouse-Producer wie Luomo scheinen Eindruck hinterlassen zu haben. Dazu kommt ein aktueller wirkender Cosmic-Touch. Im Fidget-Dub „Spag East” sind, neben mancherlei anderem Material – getrockneten Hupen, Pfeifen, Stimmen – auch kurze Samples, die nach Didgeridoo klingen, zu hören. Augenzwinkernde Ironie oder ernstlich Outback-House? Möglicherweise beides zugleich. Harry Schmidt
SND & RTN – Chain Reaction EP (Planet Rhythm)
Bei SND & RTN kann man leicht auf die falsche Fährte geraten. Denn mit dem britischen Duo SND haben SND & RTN musikalisch wenig gemein. Keine zerfließenden Zeitmaße oder Computer-Cut-ups, dafür solider gerader Beat und fein abgestufter Hall: Hier wird ein fast klassischer Dub-Techno-Ansatz gepflegt.
Und das mit Stil. Wobei der Klang bevorzugt transparent ist, in trüben Wassern nach tiefen Bässen Fischen gehört nicht zum Tätigkeitsfeld dieses Projekts. Übersicht bewahren scheint wichtiger. Wenn im letzten Track zum Auftakt ein zischendes Becken erklingt, ist das sogar ein wenig irritierend. Dominiert doch ansonsten ein trocken-sparsam programmierter Drumcomputer. Details wie diese bewahren den Dub-Techno von SND & RTN davor, zu einer reinen Fortsetzung tradierter Clubriten zu werden. Es sind kleine Details. Tim Caspar Boehme
WTCHCRFT – Drugs Here (I Love Acid/Balkan Vinyl)
WTCHCRFT rührt an der Basstrommel. Der Producer aus Brooklyn quetscht sich eine 303 zwischen die Pobacken, schnallt fünf Kompressi unter die 808 und pfeift damit die ärgsten Bänger zwischen Big Apple und Bad Kleinkirchheim raus. Natürlich ist Drugs Here keine Platte, die man zum Fünf-Uhr-Tee bei den Schwiegereltern auflegt. Drugs Here ist eher eine Einstellungssache. Auf dem Dancefloor. Zur Peaktime. Im Rauschen.
Weil WTCHCRFT weiß, wie sich eine Kickdrum aufblasen lässt und etwas für den Schmatzsound der alten Roland-Maschine übrig hat, muss man dafür nicht erst den Kaugummiautomaten plündern. Die Füße wollen auch so auf der Stelle marschieren. Dabei spuckt man sich bei „Drugs Here” noch in die Hände, bevor „No Time To Lose” im Vocal-Limbo aufs Tempolimit scheißt. Für „Uhmm” gräbt Truss sein MPIA3-Geballer wieder aus und „Run It Bak Attak” schlabbert frühmorgens vor dem Club am Reparaturbier. Wer da nicht an die AceMoma-Buben denkt, hat seinen Beckenboden schon länger nicht gespürt. Anyhow. Die Balkan-Vinyl-Maschine läuft warm, das Label droppt den Bums – eh klar – auf roten oder blauen Platten. Wir alle wissen, welche Farbe wir zu wählen haben! Christoph Benkeser