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Perel: Messages aus anderen Dimensionen

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Perel (Foto: Helen Perez)

Der Club ist für viele ein fast schon heiliger Ort, denn der Dancefloor schafft transzendente Momente. Für Perel war er daher seit ihrem 2018 erschienen Debütalbum Hermetica der perfekte Ort, um über pumpenden Basslines über die großen Fragen der Welt zu philosophieren. Mit dem Nachfolger Jesus Was An Alien liefert sie jetzt ein außerirdisches Konzeptalbum. Denn die Inspiration dafür kam von ganz oben.


Perel schwebt zwischen den Welten. Zwischen DJ und Live-Performerin. Zwischen Berlin und New York. Zwischen 80s-verliebtem Wave-Pop und Panorama-Bar-House. Und manchmal, da ist das mit dem Schweben zwischen den Welten ganz wörtlich gemeint. „An manchen Tagen fühl’ ich mich komplett entwurzelt oder losgelöst von dieser Welt”, sagt Annegret Fiedler nachdenklich bei ihrem Besuch in der GROOVE-Redaktion.

„Ich’ hab oft das Gefühl, wie soll ich es sagen, ohne dass es lächerlich klingt?” Sie stockt für einen Moment. Streicht sich fast nervös die blonden Haare unter ihrem schwarzen Kapuzenpullover hinters Ohr. Dann lacht sie kurz über ihr eigenes Zögern. „Das klingt jetzt wirklich komisch – aber ich sag’ das jetzt einfach: Ich hab’ erst in den letzten Jahren bewusst wahrgenommen, dass ich wie so eine Art Medium fungiere. Also, das heißt: Ich krieg’ ganz viele Messages aus anderen Dimensionen.”

Die Dimension” hieß auch Perels erster Hit. Als Vorabsingle zu ihrem Debütalbum Hermetica veröffentlicht, eroberte die mitreißende Wave-Nummer 2018 die Herzen einiger DJ-Größen. Âme und Dixon spielten den Track, ebenso wie Jennifer Cardini. Letztere holte Perel für eine Kollaboration mit Curses auf ihr Label Dischi Autunno. Die EP Karlsson erschien auf Uncanny Valley, Star auf Gerd Jansons Label Running Back. Mit ihrem Debüt Hermetica wurde Perel quasi über Nacht von der Newcomer-Hoffnung zum Szene-Liebling.

Perel (Foto: Helen Perez)

Ihre energetischen Sets ergänzt Perel oft durch exzentrische Gesangsimprovisationen, die ihr wahlweise schon den Vergleich mit Nina Hagen oder Hildegard Knef einbrachten. Ihre melodischen Produktionen schaffen die perfekte Balance zwischen nostalgischer 80s-Disco und abseitigem Soundexperiment. Perels Alleinstellungsmerkmal bleiben aber die poetischen, stellenweise philosophischen Texte, mit denen sie die großen Fragen der Menschheit mal eben auf dem Dancefloor verhandelt. 

„Wo will ich hin? Wo darf ich sein?”, fragt sie sich auch auf ihrem neuen Album Jesus Was An Alien. „Matrix” heißt der Track und ist – natürlich – eine Anspielung auf den 1999 erschienen Filmklassiker. Hier wird Hacker Neo vor die Wahl gestellt: Nimmt er die blaue Pille und kehrt zurück in sein bisheriges Leben, die computergenerierte Traumwelt der Matrix? Oder will er die rote Pille und die Wahrheit über die Matrix erfahren? Neo entscheidet sich für die rote Pille. Perel nicht. „Ein Anruf aus der Matrix – es wird spät, komm’, hol’ mich rein”, sprechsingt sie in ihrem charakteristischen, dunklen Stimmtimbre über einem discoiden Housebeat: „Welcome to the Matrix, welcome to your home!”

Realitätseinbruch in der Matrix

In einer Traumwelt fernab der Realität zu Hause zu sein, so müssen sich die letzten vier Jahre für Annegret Fiedler angefühlt haben – sollte man zumindest meinen. Schließlich war Hermetica auf dem renommierten New Yorker Label DFA Records erscheinen. „Mein absolutes Traumlabel!”, sagt Perel. Labelchef James Murphy und seine Band LCD Soundsystem seien ihre Helden gewesen, als Newcomerin direkt in eine Traditionslinie mit Größen wie Hot Chip, The Rapture oder Hercules and Love Affair gestellt zu werden: ein Ritterschlag. Perel unterschreibt einen Exklusivdeal mit DFA für insgesamt drei Alben – ein unwahrscheinlicher Glücksfall für eine Newcomerin. Während der Pandemie zieht sie nach New York, macht sich als DJ und Performerin auch international einen Namen und schreibt ihr zweites Album. Doch dann kommt einen Monat vor Release der ersten Single alles anders.

Bei DFA gibt es interne Verwerfungen zwischen James Murphy und seinem langjährigen Labelpartner Jonathan Galkin. Murphy soll Galkin ohne Vorwarnung aus dem Label geworfen haben – so erzählt es Galkin in einem Interview letzten Herbst. Perel hatte eng mit Galkin zusammengearbeitet und steht plötzlich vor dem Nichts. Denn mit Galkins Weggang von DFA platzen auch ihre Albendeals. Für Perel bricht eine Welt zusammen. „Ich bin eine Person, die sich absolut committed für was. Und das war schon eine ziemlich – auf Deutsch gesagt – beschissene Situation für mich. Und da musste ich erst mal für mich emotional klarkommen.”

Perel und Marie-Davidson auf dem Cover der Single „Jesus Was An Alien” (Foto: unbekannt)

Doch es dauert nicht lange, bis Kompakt bei Perel anklopft. Das Kölner Traditionslabel, das gleichermaßen für die Minimal-Entwürfe von Wolfgang Voigt wie für den Schlager-House Jürgen Paapes steht, scheint mit seinem hybriden Ansatz genau die richtige Adresse für Perel zu sein. Richtig darüber freuen kann sie sich in diesem Moment aber noch nicht. „Das hat erst mal gedauert, weil das einfach ein Schock war. Und ich hatte das Album ja auch ganz speziell für DFA produziert, so dass ich erst mal davon Abstand nehmen musste.”

Also geht Perel zurück ins Studio, schreibt die Songs um oder nochmal ganz neu. Zu 80 oder 90 Prozent, wie sie sagt, sei die zweite Version des Albums komplett anders als die erste. „Im Endeffekt bin ich auch dankbar dafür. Es passiert am Ende des Tages alles genau so, wie es sein soll. So, dass ich glücklich damit bin. Ich hab’ da ein tiefes Vertrauen ins Universum.” Das Universum, das spielt in Perels Kunst und Leben ohnehin eine nicht unwesentliche Rolle. Womit wir wieder zwischen den Welten wären. Einer der wenigen Tracks, die auf der zweiten Version des Albums verbleiben dürfen, ist der Titeltrack „Jesus Was an Alien”, den sie in Kollaboration mit Marie Davidson geschrieben hat und der auch als Vorabsingle herauskommt.

Über einer cineastisch schwebenden Synthfläche erklingt Davidsons Stimme engelsgleich verhallt, als würde sie aus dem Himmel herabsprechen. „My eyes fixated on the sky. Dreaming, in loneliness. I tried to find a meaning to this life. Without any moral obligations. And I asked myself if somehow angels could redefine something within in us?” Pereltypisch entfaltet sich über einer treibenden Disco-Bassline ein düster-verträumter Wave-Banger, der diesen Sommer garantiert wieder für einige ekstatisch-verspulte Dancefloor-Momente sorgen wird. Nicht umsonst steht Perels Merch unter dem Motto: Hits, Hits, Hits!


Im Hintergrund sieht man die Erde, Perel schwebt madonnenhaft im Weltraum und säugt dabei ihr Neugeborenes, das silbergraue Alienbaby Jesus, an der nackten Brust.


Und vielleicht ist das auch das Geheimnis von Perels Musik: Sie zwingt sich nicht auf. Wie bei allen guten Popsongs sind ihre Lyrics bewusst anschlussfähig und offen für Interpretationsspielraum. Man kann sich wohlig in den Sound hineinfallen und von der Emotionalität wegtragen lassen. Oder genauer hinhören. Und dann merkt man, dass Perel hier nicht nur schönklingende Floskeln aneinanderreiht. Ihre Musik hat eine Message. Und die empfängt sie laut eigener Aussage aus anderen Dimensionen.

„Ich merk’ ganz klar, dass es Zeiten gibt, wo ich in einer ganz anderen geistigen Welt zu Hause bin, als hier in dieser Dimension. Ich hab’ ein Buch, wo ich mir Messages von anderen Menschen aufschreibe. Und viele fließen dann auch in meine Musik ein.” Perel ist klar, dass sie mit solchen Aussagen nicht bei allen Menschen auf Verständnis stößt. Denn auch wenn Clubs nur allzu gerne als „Techno-Tempel”, DJs als „Hohepriester” und die Tanzenden als „Jünger” oder „Pilger” bezeichnet werden, auch wenn viele auf dem Dancefloor in transzendentale Zustände kommen und den Club als spirituellen Ort empfinden – das Thema Glaube ist für die meisten dann doch eher ein eher schwieriges. Perel hat das Thema daher bislang bewusst eher zwischen den Zeilen versteckt. Denn nicht erst seit Querdenken hat das Thema Esoterik oft einen etwas faden Beigeschmack.

Humorvolle Spiritualität statt Eso-Kitsch

„Da hat man dann diese ganzen Esoteriker-DJ-Sets vor Augen, Burning Man und sowas. Das ist ja überhaupt nicht mein Ding. Ich bin nicht so der Schamenentyp, ich mach’ weder Eso-Mucke, noch bin ich Feuerspuckerin mit Glöckchen am Handgelenk. Sorry, das war jetzt sehr stereotyp”, sagt sie und muss dann selbst lachen. „Ich will über diese Themen sprechen, weil es meine Überzeugung ist. Und am Ende sind wir doch alle ein bisschen eso mittlerweile.” Perel selbst ist in einem protestantisch-christlich geprägten Background in der sächsischen Provinz aufgewachsen. Ihre ersten musikalischen Gehversuche macht sie ganz klassisch im Kirchenchor. Jesus Was in Alien ist aber mitnichten eine bibeltreue Reflexion über den Sohn Gottes. Denn Perel hat ihre ganz eigene Vorstellung von Jesu weltlicher Geburt, Sterben, Auferstehen und Wiederauffahren in den Himmel.


Man merkt, dass Perel schon seit einiger Zeit in New York lebt.


„Wenn man davon ausgeht, dass das Universum unendlich ist, liegt es relativ auf der Hand, dass es unheimlich viele andere Zivilisationen da draußen gibt. Und in der Literatur- und Kunstgeschichte tauchen immer wieder Indizien auf, dass andere, außerirdische Kulturen uns maßgeblich begleitet haben. Und vielleicht sind wir ja sogar selbst alle ein bisschen hybrid!” Eine dieser außerirdischen Himmelspersonen, die auf die Erde kamen, könnte Perel zufolge Jesus gewesen sein. Der Bibel nach wurde er schließlich gesandt, um die Menschen von ihren Sünden zu befreien. Er heilte Kranke, vollbrachte Wunder, predigte Vergebung und Nächstenliebe. Und dann war da ja noch die Sache mit Auferstehung und Himmelfahrt. Für Perel ist die Sache klar: Jesus muss ein Alien gewesen sein.

„Jésus, oh Jésus. Dis-moi: Mais d’où viens-tu?” (Jesus, oh Jesus. Sag mir: Woher kommst du?), fragt Marie Davidson in „Jesus Was an Alien“ und nennt ihn „voyageur sacré” – den heiligen Reisenden. „Dass Jesus gestorben und in den Himmel aufgefahren ist, ist für die meisten Menschen überhaupt kein Thema. Dieses Phänomen ist absolut akzeptabel. Aber wenn man behauptet, Jesus sei ein Außerirdischer gewesen, da gehen die Leute total nuclear!”

Perel auf dem Cover von „Jesus Was An Alien” (Foto: Nora Heinisch)

Man merkt, dass Perel schon seit einiger Zeit in New York lebt. Immer wieder schleichen sich englische Slangwörter in ihre Ausführungen ein. In emotionalen Momenten blitzt ab und zu noch ihr leicht sächsischer Akzent auf. Auch in ihren Lyrics finden sich immer mehr englische Passagen. „Nuclear” dürften fundamentalistische Christ*innen wohl auch gegangen sein, als sie das Coverartwork zu Jesus Was an Alien gesehen haben. Darauf inszeniert sich Perel in einem enganliegenden, blauen Raumanzug als spacige Marienfigur. Im Hintergrund sieht man die Erde, Perel schwebt madonnenhaft im Weltraum und säugt dabei ihr Neugeborenes, das silbergraue Alienbaby Jesus, an der nackten Brust. Nicht ganz ohne Augenzwinkern, aber doch eine bewusste Provokation – nicht nur für Bibeltreue.

„Es gibt immer noch so viele Debatten um das öffentliche Stillen. Frauen dürfen keine Nippel zeigen, aber ich bin permanent mit Brüsten von Männern umgeben. Egal wo ich im Sommer spiele, quetschen die sich mit ihren feuchten Oberkörpern an mir vorbei. Da dachte ich mir: Wenn schon, denn schon!” Und es gibt noch mehr feministische Botschaften auf Jesus Was an Alien.

„Kill the System” ist der reduzierteste Track des Albums. Eine trockene Bassline, über der sich ein bedrohlich zuckendes Acid-Arpeggio immer giftender in Rage schraubt. Keine Melodie, keine Synthesizer. „Im Zentrum der Nacht erklingt ein Lied. Es verkündet das Ende der Patriarchie”, verkündet Perel mehr, als sie es singt. „Das ist einer der wenigen Songs ohne Melodie. Einfach, weil ich wütend war. Es gibt noch viel Ungerechtigkeit in der Szene. Hinsichtlich der rein männlichen Line-ups. Oder der Art und Weise, wie Künstlerinnen manchmal immer noch präsentiert werden – so sexistisch, wo du dich echt fragst: Checkt ihr’s nicht?”


Fiedler ist es aber wichtig, zu betonen, dass Perel ganz klar ihre Bühnenfigur und Kunstpersona ist.


Perel erobert sich neben DJing und Producing außerdem noch ein Feld zurück, das Frauen viel zu oft abgesprochen wird: Humor. Sie schreibt Songs über ihren fetten Kater, postet Fotomontagen von Modern Talking und Britney-Memes auf ihrem Instagram-Kanal oder Fotos von sich selbst in einem „Father-Son-Holy-Spirit”-Bikini. Überhaupt ist ihr Insta-Channel ein eher chaotisches Sammelsurium aus Memes und ironischen Spiegel-Selfies als das durchkuratierte Zurschaustellen des eigenen Jetset-Lifestyles, wie man es von vielen anderen DJs kennt. Das wirkt auf sympathische Art erfrischend und irgendwie authentisch. Fiedler ist es aber wichtig, zu betonen, dass Perel ganz klar ihre Bühnenfigur und Kunstpersona ist.

Perel (Foto: Helen Perez)

„Was ich in unserer elektronischen Musikszene vermisse, ist so der arty effect. Manchmal ist mir zu viel personality dabei, da fehlt mir ein bisschen der Abstand.” Für sie selbst sei dieser Abstand zu ihrer Person, den sie durch Perel herstellt, eine Überlebensstrategie. Eine Art Schutzschild in einer Szene, die sie als hypersensiblen Menschen schnell mal an die Grenzen ihrer eigenen Belastbarkeit bringt. Gerade, weil ihre Liveshows auch immer sehr intensive Erlebnisse sind. „Wenn ich auf der Bühne bin, dann ist Perel da. Und – das klingt jetzt total Mutter-Teresa-mäßig – aber ich hab’ halt wirklich gemerkt, dass ich zu einem Verbindungselement werde. Wie so ein Medium. Dass ich auf einer ganz anderen Frequenz schwinge und mit den Leuten eine Verbindung eingehe.”

Perel schwebt also auch auf der Bühne zwischen den Welten. Fernab des Rampenlichts brauche sie hingegen ganz viel Zeit für sich, um ihre Akkus wieder aufzuladen. Das DJ-Jetsetlife sei für sie daher eigentlich kaum durchzuhalten. Ironischerweise habe sie festgestellt, dass kleinere Clubgigs für sie tatsächlich viel anstrengender sind als die großen Festivalbühnen, weil es ihr dort leichter falle, die Distanz zum Publikum zu wahren und sich nicht komplett zu verausgaben. Für ihre anstehende Tour spielt sie daher auch nur einige ausgewählte Shows, weniger typische Clubgigs als hybride Live-Performances.

„Das Wichtigste, was ich für mich herausgefunden hab’, ist, sich nicht permanent dafür zu rechtfertigen, dass man Dinge anders macht, als der Rest der Welt.” Oder sollte man in Perels Fall eher sagen: als der Rest dieser Welt?

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