Das Komplex – Pillow Stories (Internasjonal)
DJ Marcin Łukaszewicz alias Das Komplex ist ein polnischer New-Disco-Produzent, der in den letzten Jahren mit metrischen und mainstreamfunktionellen Sample-Edit-Releases auf Labels wie Love On The Rocks oder auch DJ Harveys Compilation Mercury Rising auffiel.
Sein Sound bedient sich der vollen Bandbreite der etwas zu oft gehörten Discotrain-Revival-Klaviatur („ONOMATOPEJA”). Richtig originell sind die überkomprimierte Ableton-DAW-Loop-Struktur und die allzu bereinigten Frequenzgänge seiner Tracks nicht, dafür aber eben massentauglich stampfbar („By The Hand”) und recht harmonisch. Allerdings muss im Bezug auf das Nu-Disco-Genre diese kühle Sauberkeit nicht zwangsweise stören. Zwischendurch landet Łukaszewicz auch mal einen etwas psychedelischeren, Italo-Disco-beeinflussten Balearic-Gitarrenhit („Gdziekolwiek”). Leider klingt der Reverb im Break dann doch wieder nach einem digital-sterilen, ungroovenden Steinberg-Standard-Plugin aus der Logic-Version 7. „NAWET” erinnert mittels hinkend-schleifendem Bass-Groove und einem leichten Paperclip-People-Detroit-Disco-House-Touch anfänglich an Carl Craigs klassisches Label um das Jahr 2000. Dann jedoch biegt die Nummer leider nicht in die rohe, kratzende Analog-Synth-Dirt-Minimalismus-Paranoia-Ecke ab. Die Garageband-Preset-90s-UK-House-Electropianokeys wirken zu offensichtlich und wie digitale Beliebigkeit. Danach kann sich „Paranawy” einfach nicht entscheiden, ob es lieber bei Moroders Scarface-Soundtrack oder doch bei „Sharevari” von A Number Of Names schoppen soll.
Egal! Die neuen, unverbrauchten und unwissenden Edit-Jäger*innen finden Pillow Stories auf Prins Thomas’Internasjonal wie jede andere Kissenschlacht-Discoloop-Generation vor ihr sicherlich großartig. Als älteres Semester kann beim Anhören hervorragend wegdämmern. Mirko Hecktor
DJ Physical – Mortal Dance EP (1Ø PILLS MATE)
Über die letzten Jahre hat sich 1Ø PILLS MATE auch abseits von britischen Ecstasy-Enthusiast*innen den Ruf einer sicheren Bank für Dancefloor-Killer am Puls der Zeit erarbeitet. Das Lobster-Theremin-Sublabel fördert, ähnlich wie die große Schwester, mehr und mehr die boomende, trancebetonte Seite von Techno und weiß immer wieder mit stilsicheren Newcomer*innen zu überzeugen. Nun gibt der Franzose Loyce Demellier alias DJ Physical mit der Mortal Dance EP sein Labeldebüt.
Doch wer aufgrund von Künstlernamen und EP-Titel auf kompromisslose Vollkontakt-Musik hofft, wird zunächst enttäuscht. Natürlich sind die Anspielstationen durchweg tanzbar und clubtauglich, jedoch prägt die stets omnipräsente Melancholie den Sound und verleiht der Platte emotionales Gewicht. Demellier selbst bezeichnet seine Musik als rohe Poesie, und auch wenn diese Kategorisierung ein wenig elaboriert wirkt, so fasst sie den Sound im Grunde doch treffend zusammen. Trotzdem sei an dieser Stelle auf den durchaus originellen Umstand verwiesen, dass der selbsternannte elektronische Rohdiamant auf einem Label veröffentlicht, das sich nach dem ironischen Abusus von kiefermahlenden Insulaner*innen benannt hat.
Auf den insgesamt fünf Anspielstationen mischt sich tranciger Weltschmerz mit klaren Breaks und kurz aufblitzenden Electronica-Elementen. Insgesamt ist der Sound erstaunlich variabel, und während der Opener „Not So Human” noch ziemlich technoid daherkommt, flirren auf „Sex Club” die Breaks über den Floor. Spätestens der Titeltrack „Mortal Dance” zaubert dann herrlich aufgeräumten Trance, der genau im Sweetspot zwischen Emotionalität und Kitsch sitzt. Zum Abschluss zieht „Easy Dancer” das Tempo nochmal gehörig an, bevor der*die geneigte Hörer*in mit Three-6-Mafia-Samples auf „Go Further” in den nebligen Sonnenaufgang entlassen wird. Till Kanis
GREAZUS – Phantasia EP (Defrostatica)
Hört man GREAZUS’ Phantasia EP, klingt das fast genau so, als hätte Koop, DJ im Kultfilm Human Traffic, in der berühmten Plattenladen-Szene einen seiner Jungle-Schätze hervorgeholt und seinen Rave-Kumpanen vorgespielt. Fast alle eher kurz gehaltenen Tracks grooven über der 160-BPM-Marke und graben tief in der Sample-Schatztruhe von UK-Hardcore, Electro und Jungle. Dabei verbinden die aus Vancouver kommenden Musiker HxdB & Patrik Cure alias GREAZUS eigene Raveimpressionen mit zeitgemäßem Sounddesign. Beide Musiker gestalten schon seit mehr als zwei Jahrzehnten Vancouvers Raveszene aktiv mit. Ausgehend vom eigenen Label mit eigenen Partyreihen legen sie selbst auf und arbeiten seit 2015 an ihrem gemeinsamen Projekt.
Bereits der Titeltrack spielt mit der gut funktionierenden Kombination aus erfrischenden Chords und gesampleten Breaks und einem durch den Flanger verzerrtem Vocal. Dazu gesellt sich eine ravige Acid-Line. Das Stück „WTF” hingegen verbindet einen schnellen Electro-Beat mit einer ebenso ravigen Acid-Line. Hier setzen die Chords, die das harmonische Zentrum des Tracks bilden, jedoch erst später ein. „Retro Active” beginnt weitaus entspannter mit flächigen Pads, zuckersüßen Vocals und einer melodischen Piano-Phrase, was in seiner Gesamtheit sehr an Tracks von D’n’B-Pionier LTJ Bukem erinnert. Der letzte Track „Raverz” verbindet viele der bereits vorgestellten Motive und trifft zu Beginn perfekt die melancholische Stimmung, die einigen alten Jungle und D’n’B-Scheiben innewohnt. Im Kontrast dazu ertönt auch hier ein messerscharfer Electro-Beat, bis dieser von den bereits angesprochenen Pads abgelöst wird.
Der Ansatz dieser EP, neue Ideen mit bereits funktionierenden Schemata und Sounds zu verbinden, geht auf und wird bei so manchem DJ als wirkungsvolles Tool in der Rekordbox-Collection landen – oder natürlich auf den Plattenspielern der Rave-Nation. Vincent Frisch
Om Unit – Acid Dub Versions (Om Unit)
Eine der besten Veröffentlichungen des vergangenen Jahres schaffte es, Jahrzehnte nach dem Aufkommen der ikonisch gewordenen Acid-Sounds dem Genre noch etwas Neues abzugewinnen. Dass diese Platte allerdings nicht aus den USA oder Berlin, sondern dem britischen Bristol kommen sollte, war eine gelungene Überraschung. Gerade dem aus dem Hardcore Continuum entsprungenen Produzenten Om Unit gelang es in eleganter Kompaktheit, auf seinen Acid Dub Studies die Tropen jamaikanischer Bassmusik mit ähnlich altehrwürdigen Acid-Riffs zu verbinden.
Auf der jetzt erscheinenden Remix-Platte dürfen mehrere seiner Lieblingskünstler zu Wort kommen, um so das Spektrum dieser akustischen Explorationen noch zu erweitern. Deadbeat aus Kanada nimmt die vielleicht eingängiste Melodie des Albums neu auf und ummantelt sie mit dicken Dub-Wattebäuschen; dazu noch eine dynamische 4/4-Kick, und schon geht es ab nach vorne, mit Stil. Die VIP-Version des Tracks „Ghosts” von Seekersinternational bleibt dem Original weitestgehend treu, taucht dabei in neue Dimensionen von Tiefe und Immersion. Das Bristol-Duo Dubkasm hingegen macht aus dem ursprünglichen Album-Closer „Struggle” gleich zwei rundum erneuerte Dancehall-Versionen; beide mit gehörig scheppernder Dub-Perkussion. Ebenfalls zwei Remixe desselben Originals liefert Echospace-Detroit-Gründer Stephen Hitchell alias cv313, dessen in statisches Rauschen gebettete Dub-Exkursionen jeweils in epischer Rekordlänge von über zehn Minuten ausfallen. Ganz ohne rhythmische Strukturen beschließt sein Rework von „Rolling Stock” diese Platte in einem atmosphärischen Bad aus Noise und Echo. Leopold Hutter
Saoirse – Two Bruised Egos EP (trUst)
Die Irin Saoirse verdeutlicht mit ihrer zweiten Veröffentlichung Two Bruised Egos, worum es ihr in ihren Produktionen geht: Dancefloor! Es muss pumpen, ähnlich wie in ihren DJ-Sets. Saoirses Basslines sind von einer atzigen Coolness, prädestiniert für den anstehenden Festivalsommer. Die vorab veröffentlichte Single „Gentle Romance” ist eine dramatische, tranceinspirierte Nummer, tiefer Didgeridoo-Sound inklusive. „Can’t We Just Have Fun” ist bis auf einen ekstatisch ansteigenden Ton eher ein bassig angehauchtes Tool. Introvertierter wird es auf der B-Seite mit „Chubby”. Die Basis klingt ähnlich wie bei „Gentle Romance”, nimmt sich jedoch eine Spur zurück und wirkt so wie eine Brücke vom Peak-Teil eines DJ-Sets zu einem ausgeglicheneren Plateau. Alles zwischen 135 und 140 BPM, versteht sich. Cristina Plett