Auf dem Symposium EOS-05 unter dem Schlagwort PERSPEKTIVEN diskutieren Vertreter*innen aus der elektronischen Musik über Digitalisierung, Cultural Engineering und Zusammenhalt innerhalb der Clubkultur und erörtern gemeinsam den dadurch entstandenen Umbruch, dessen Konsequenzen und mögliche sozioökonomische sowie nachhaltige Zukunftsaussichten. Um einen Vorgeschmack zu geben, haben wir drei der Panelists vorab ein paar Fragen gestellt: Daniela Seitz (Creamcake, 3hd), Oliver Baurhenn (CTM) und Pascal Mungioli (EOS-Radio).
Für den Anfang: Welche Herausforderungen hatten eure Projekte, Festivals und Veranstaltungsreihen – CTM, Creamcake, 3hd, EOS Radio – in den letzten Jahren zu bewältigen? Wie sind sie durch die Pandemie gekommen?
Pascal Mungioli: Wir hatten uns wegen des Stillstands der gesamten Kulturlandschaft zusammengetan, um in Frankfurt Clubkultur auch außerhalb von Clubs stattfinden zu lassen. Mit neuen pandemiebedingten Fördermöglichkeiten konnten wir das finanzieren. Wir wollten etwas Nachhaltiges für die Szene schaffen, das bleibt. Im Prinzip hat uns die Pandemie vor viele schwierige Herausforderungen gestellt und oft niedergeschlagen, allerdings auch eine einmalige Möglichkeit geboten.
Daniela Seitz: Als interdisziplinäre Plattform aktivierte Creamcake insbesondere Performance und hybride Ausstellungsformate. So haben wir versucht, trotz Clubschließungen mögliche Räume mit unserer Gemeinschaft zu generieren und gleichzeitig die Festivalgelder während einer Pandemie verantwortungsvoll zu verteilen. Als Knotenpunkt von verstreuten digitalen Gemeinschaften entwickelten wir mit 3hds UNHUMANITY Mikrobegegnungen mit lokalen Künstler*innen im Freien, um neue ökologische Denkprozesse innerhalb der Clubkultur zu initiieren. Das dezentralisierte Begleitprogramm mit dem Namen ECO-centers umfasste die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Organisationen wie Montez Press Radio, NAVEL oder AQNB weltweit. Über die Entfernung hinweg fanden gemeinsame Auftragsarbeiten, Radioshows und Gespräche über ökologische Systeme und Nachhaltigkeit statt. Auf diese Weise konnten wir die jeweiligen lokalen künstlerischen Netzwerke näher zusammenbringen und gemeinsames, doch ortsunabhängiges Arbeiten in Zeiten einer Pandemie erproben. Wie so viele mussten wir in den letzten zwei Jahren permanent anpassen und neu verhandeln. Bei aller nachvollziehbaren Frustration waren die Lektionen darüber, wie wir unser Publikum im Internet ansprechen und wie wir in der freien Szene ständig Ungewissheit und Wandel ausgesetzt sind, durchaus bereichernd. Aber schließlich ist Berlin eine internationale Stadt mit einer vielfältigen lokalen Gemeinschaft, die viel Erfahrung mit fluidem Arbeiten hat. Da befanden wir uns in guter Gesellschaft.
Oliver Baurhenn: Die große Herausforderung war natürlich die Frage, wie wir als Festival unserem Auftrag gerecht werden konnten, die spannendsten Entwicklungen im Bereich der experimentellen Musik zu präsentieren. Bis zu unserer 21. Ausgabe im Januar und Februar 2020 haben wir in fast ausschließlich physischer Kopräsenz der Künstler*innen, Mitarbeiter*innen und Besucher*innen diese Aufgabe erfolgreich und mit Freude bewältigt. Für das Jahr 2021 standen wir vor der Herausforderung, diese Dichte, den Austausch und die Qualität des Programms in Formaten zu gewährleisten, in denen wir nicht heimisch waren. Das gesamte Team musste also eine ungefragte Fortbildung im Bereich Streaming und Online-Programmpräsentation bewältigen. Es ging aber nicht nur ums technische Know-How, sondern auch um die Begleitung der Künstler*innen und aller Beitragenden auf ihrem Weg in eine digitale Sphäre, die kaum jemandem in unserem Bereich Heimat ist. Im Endeffekt haben wir es sehr gut geschafft, die Pandemie zu bewältigen, aber ehrlich gesagt war uns nach der digitalen Ausgabe 2021 allen sehr bewusst, dass das eher die Ausnahme als die Regel sein sollte, da der Kulturbereich und seine Förderinstrumente in vielerlei Hinsicht nicht auf diese Situation eingestellt waren.
Welche negativen Erfahrungen habt ihr mit der Abhängigkeit von und der aufmerksamkeitsökonomischen Verknappung durch soziale Medien gemacht?
Mungioli: Die Nutzung der großen Tech-Plattformen mit ihren Algorithmen und der Nähe zu politischen und gesellschaftlichen Gegenspieler*innen ist das Hauptproblem. Wenn wir Clubkultur als eine Subkultur und Gegenkultur verstehen, ist es eine ständige Anstrengung, selbstbestimmt und unabhängig zu agieren und zu bleiben.
Seitz: Es ist einfach harte Arbeit und gesellschaftliche Realität im Hyperkapitalismus.
Baurhenn: Es sind die großen Unternehmen wie Youtube, Facebook, Google und Co., die das Geschehen bestimmen und uns ein einfaches digitales Leben bereiten, was zu einer Art von Faulheit und Missverständnis bei allen Beteiligten Usern wie Programmierern führt. Nämlich zu der Annahme, dass das die Normalität sei. Das Missverständnis liegt darin, gar nicht zu sehen, wie viel Geld und Arbeitskraft diese Unternehmen investieren, um uns ein sorgloses digitales Leben zu ermöglichen. Wenn dann etwas nicht so reibungslos funktioniert, weil es mit viel weniger menschlichen und finanziellen Ressourcen realisiert wurde, scheint schnell eine harsche Kritik zu folgen. Oder das Gefühl, dass die erbrachte Leistung ungenügend sei.
Habt ihr Strategien entwickelt, um euch von sozialen Medien zu emanzipieren? Wenn ja, welche?
Mungioli: Ich versuche ständig, mich irgendwie selbst zu ermächtigen. Es wäre allerdings auch interessant, zu fragen, wie man sich von den großen Tech-Plattformen emanzipiert, nicht aber vom Medium an sich.
Seitz: Sich von sozialen Medien und einer Vernetzung unserer Lebens- und Arbeitswelten zu emanzipieren oder gar auf deren Nutzung zu verzichten, um so eine Form subversiver Haltung zu präsentieren, scheint für Creamcake und ihr international verstreutes Publikum mit digitalem Mindset derzeit nicht relevant. Wir nutzen gerne die vielfältigen Zugänge von sozialen Medien und entdecken darüber spannende Projekte, neue Narrationen und Ästhetiken in der Szene. Aber natürlich sind die Zeiten, in denen die Digitalisierung als demokratisierendes Medium gefeiert wurde, längst Geschichte. Wir befinden uns eher in einer kollektiven Überforderung und einem permanenten Informations- und Datenrausch, der vermehrt Achtsamkeit erfordert. Dennoch sind wir bei Creamcake darauf angewiesen, in die Cloud zu kommunizieren, damit unsere Gemeinschaft auch an unseren Formaten teilhaben kann und Sichtbarkeit hergestellt wird. Die direkteste wie auch nachhaltigste Kommunikation ist dafür eben online.
Mit Creamcake versuchen wir, uns mit künstlerischen Mitteln einzumischen, eine kritische Haltung zur Technosphäre zu vermitteln und ein eigenes visuelles Vokabular zu präsentieren. Was machen digitale Technologien und algorithmisches Design mit uns als Gesellschaft und wo liegt das utopische Potenzial? In unserer Arbeit interessieren wir uns für Künstler*innen, Kollektive und deren Projekte, die an den Schnittstellen und Szenen zwischen Musik, Kunst und Technologie operieren. Da ist oft die Frage, wie wir unsere Freiräume konstruieren und welche alternativen oder noch nicht gelebten Welten und Fiktionen wir uns mit Hilfe eben dieser digitalen Technologien vorstellen können. Unser eigener Kanal 3hdTV ist außerdem ein Versuch, die Zugänglichkeit des virtuellen Raums für ein Publikum zu nutzen, das bei Live-Besuchen sichtbaren und unsichtbaren Barrieren ausgesetzt wäre.
Baurhenn: Einen eigenen Server aufzusetzen haben wir schnell als Gedanken verworfen, dies wäre zu teuer gewesen.
Abhängigkeit, die Zweite: Die Tagung thematisiert auch Corporate Sponsorings. Wie nehmt ihr wahr, was sich in diesem Bereich in den letzten Jahren getan hat? Würdet ihr sagen, die Lage verschlimmert sich zusehends?
Mungioli: Auf jeden Fall hat sich in Bezug auf Cultural Private Partnerships und Corporate Sponsorings vieles verändert in den letzten Jahren, viele Big Player sind invasiv und mittlerweile für clubkulturelle Geschichtsschreibung mitverantwortlich. Sie sind sogar, und jetzt lehne ich mich aus dem Fenster, die Co-Produzent*innen von Clubkultur und dementsprechend: Ja, die Lage verschlimmert sich zusehends.
Seitz: Creamcake arbeitet an den Blind Spots. Dennoch beobachten wir Märkte und Trends in unterschiedlichen Bereichen. Im Moment fallen uns vielfältige Partnerschaften entlang der Fashion-Musik-Achse auf. Im kürzlich erschienen Video von FKA Twigs und Shygirl sind die beiden Pop-Avantgarde Musikerinnen komplett in der Luxusmarke Burberry gekleidet. Für die deutsche Luxusmarke MCM ist Coachella das passende Szenario, um Generation Y und Z anzusprechen, und auch auf der kürzlich eröffneten Biennale in Venedig zeigt sich das Sponsoring der Kunst durch die Fashionindustrie. Kunst ist nicht nur Musik, Subkultur, Empowerment, Kollektivität und Hedonismus, sondern auch als Entwicklung in Richtung Mainstream, Konsumkultur und mit einer gewissen Dekadenz zu sehen, die parallel zum Fortschreiten von Digitalisierung und Globalisierung und immer stärker sichtbaren Verteilungsungerechtigkeiten abläuft.
Baurhenn: Gute Frage. Das CTM ist nicht wirklich interessant für Corporate Sponsoring respektive nur in geringem Maße. Unternehmen, die unsere Inhalte benötigen, sind interessiert, wie zum Beispiel Wall AG für seine Werbescreens, was sehr gut ist. Andere versuchen natürlich, von unserem kulturellen Kapital zu profitieren, aber derweil konnten wir der Versuchung widerstehen, beispielsweise Sondereditionen der Textilindustrie zu präsentieren.
Was versprecht ihr euch von der EOS-Tagung? Welche Erwartungen habt ihr an die Diskussion?
Mungioli: Ich freue mich darauf, mit Menschen an einem Tisch zu sitzen, mit denen ich Erfahrungen, Ideen und Wünsche austauschen kann. Ich sehe die Veranstaltung als großen think tank, sie kann uns alle nur weiterbringen.
Seitz: Ich freue mich auf die persönlichen Treffen und die Gemeinschaft ums EOS Radio und das Institut für Klangforschung.
Baurhenn: Es ist immer wichtig und gut, sich auszutauschen, sich zu solidarisieren und gemeinsame Strategien zu begutachten, zu entwickeln oder auch zu verwerfen. Was die einen ausprobiert haben, muss vielleicht nicht mehr erprobt werden. Ebenso gibt so eine Tagung einen breiten Überblick über die Haltungen, Ansichten und Strategien in der Kunstsparte Musik.
Ich freue mich sehr, Teil dieser Diskussion zu sein, und hoffe, einiges Neues lernen zu dürfen. Ganz grundsätzlich freue ich mich über einen physisch ko-präsenten Austausch mit Menschen, die in einem ähnlichen Bereich arbeiten. Dies hat die Pandemie gut verhindert, und jetzt ist die Zeit angebrochen, auch hier voneinander zu lernen, wie wir unsere Initiativen, Organisationen, Solidarität, unsere Anliegen sicher und gut durch äußerst herausfordernde Zeiten manövrieren können.