Eliza Rose & M4A4 – Shades of Red (Lobster Theremin)
Lobster Theremin veröffentlicht die 100. Platte. Wer seit 2013 Cuts des Londoner Labels aufgelegt hat, weiß: Das ist der Shit von der Insel, wenn es um UK House, Techno oder die kleinen Flecken im In-Between geht. Fürs runde Jubiläum auto-pairen sich Eliza Rose und M4A4 – eine britisch-irische Dancefloor-Beziehung, für die man neue Kicks auspackt, um in 2-Steps für neuzeitliche Bodenbeläge zu sorgen. Rose, die mit Garage und Billie Holiday aufwuchs, und deshalb fließend Soul spricht, slidet mit Shades of Red in die späten neunziger Jahre zwischen Salford und Soho. M4A4 klingt nach der Typenbezeichnung einer semi-lethalen Waffe, dabei hat der Typ bisher auf Labels wie Hot Haus Recs oder Distant Horizons Dancefloor-Bänger veröffentlicht. Soll heißen: Er streut die bunten Pillen prophylaktisch auf der Unisex-Toilette aus. Seine Beats sind Melancholie auf zwölf Inch, eine Hommage an Minor-Chords, priceless Peaktime-Pumpen! Weil Rose über seine Abletonprojekte drübersäuselt, lassen sich die Tracks auch zum Fünf-Uhr-Tee bei den Schwiegereltern aufgießen. Nur „Trouble Maker“ wird von der Nacht verschluckt. Wer die B2 zur richtigen Zeit auflegt, reißt damit nicht nur Tanzflächen auseinander, sondern fickt jeden Raum. Christoph Benkeser
Jana Rush – Dark Humor (Planet Mu)
Es gibt diese Stücke mit gesampeltem Lachen als Hook-Element – bestes Beispiel bleibt wohl für immer und ewig Josh Winks „Don’t Laugh“. Der eine Teil dieser Tracks nervt spätestens nach dem zweiten Hören und hat noch nie zum Mitlachen animiert, während der andere Teil – ihr wisst schon: Den kann man immer wieder hören und muss ab einer bestimmten Stelle oder Wiederholung einsteigen ins kollektive Gegickel. Jana Rushs „Suicidal Ideation (Aural Hallucinations Mix)“ gehört tendenziell zur letzteren Kategorie, obwohl weder der Titel noch der Track vom Arrangement her nach Humor und guter Laune schreien oder gar die seelische Komfortzone bedienen. Aber das führt uns genau auf die Spur zum Titel der EP, denn der Taktzahl der Katastrophen, die seit einigen Jahren die Menschheit in Atem hält, kann in manchen Situationen nur noch mit schwarzem Humor und krasser Reaktion (respektive Kunst) begegnet werden. Im nächsten Moment kann solches Reagieren natürlich auch als nervig und anstrengend empfunden werden, aber das liegt in der Natur des Anlasses. Anstrengend im musikalischen Sektor wird immer wieder auch Jazz empfunden, und natürlich kommt in jeder Besprechung einer Veröffentlichung von Jana Rush früher oder später das J-Wort ins Spiel – so auch hier.
„Jazzig“ ist ihre Musik aber nicht deswegen, weil sie regelmäßig Samples aus Jazzaufnahmen beinhaltet, sondern weil Rush Musik jenseits vorgegebener Muster denkt, komponiert, produziert. Weil Jazz bei ihr weder gut abgehangene Coolness noch ein institutionalisiertes „Free“ in eng gesteckten und längst zum Gegenteil von Freiheit geronnenen Genre-Grenzen bedeutet. Es würde bestimmt Spaß machen, das Publikum eines arrivierten Jazzfestivals zu beobachten, das ihre Musik präsentiert bekäme. Don’t laugh? Jetzt gerade! Mathias Schaffhäuser
Heavee – Audio Assault EP (Hyperdub)
„Ich stehe für Chicago, mit allem, was ich tue: Damit, wie ich mich kleide, mit der Musik, die ich mache – ich bringe die Stadt immer mit mir!“, schreibt Heavee auf seiner Webseite. Musikalisch klingt vor allem Footwork bei den Tracks des Produzenten durch, der Stil aus der Windy City, der in der Tradition von House in seinen vielseitigen Spielarten steht. Wie andere Protagonistinnen von Footwork, beispielsweise die der Teklife-Crew, auf dessen Label Heavee 2018 ein Album veröfftlicht hat, arbeitet er mit Highspeed-Percussion und hyperaktiv pulsierenden Bässen. Dadurch entsteht ein irres Flimmern, dem Tänzer*innen mit faszinierend schneller Beinarbeit begegnen.
Auf seiner EP Audio Assault rückt Heavee statt, wie oft bei Footwork, hackigen Vocal-Samples ausformulierte Synthesizer-Melodien in den Mittelpunkt. Dadurch wirken die Tracks weicher, runder, aber nicht weniger kraftvoll. Warme Flächen werden von quietschigen Melodielinien durchlaufen, was immer wieder an Video Game Music erinnert. Der Track „Time to Rave“ lässt sich in dieser Hinsicht auch mit Instrumental Grime zusammendenken, -hören und -spielen, wo die Sounds und Melodiegestaltung von VGM auch immer wieder eine Rolle spielen. Die sechs Tracks der EP bieten eine Bandbreite an Stimmungen, von zurückgelehnter Atmosphäre bis zu manischer Aufregung, die sich auch in Feinheiten der Rhythmen spiegeln. Alle verbindet eine musikalische Sprache, die in der Verwendung der Synthesizer zusammenläuft. Wenn Heavee mit der Audio Assault EP seine Heimatstadt Chicago repräsentiert, demonstriert er nebenbei auf eindrucksvolle Weise ihre musikalische Vielfalt. Philipp Weichenrieder
Mars89 – Night Call (Sneaker Social Club)
Mars89 ist mittlerweile bekannt für seinen Sound. Seine Releases wirken stets gleichermaßen als berauschende Ambient-Erfahrung sowie als antreibendes Tool für abendliche Fluchtgelüste auf dem Dancefloor. So strukturiert sich auch die Night Call EP. Der in Tokio ansässige Künstler kreiert erneut ein sehr kohärentes Klangbild, das zwischen somnolenter Inszenierung und vordringendem Bounce changiert. Die Tunes kommen allesamt geheimnisvoll gedämpft daher und versuchen sich nach außen zu kämpfen, während die allgegenwärtigen knisternden Bandgeräusche eine Art dunklen Wachtraum suggerieren. In „Night Call“ klopfen beispielsweise wummernde, sich zersetzende Schläge an die Bewusstseinspforten und zusammen mit den halligen Sirenengeräuschen werden so auch schnell cineastische Assoziationen zum ein oder anderen Lynch-Film präsent. Die Atmosphäre wirkt trotz aller Düsternis jedoch niemals beklemmend – im Gegenteil: Man will immer weiter neugierig vordringen, eben weil die Produktionen so überdurchschnittlich gut sind und deshalb in der Lage Wesentliches zu streifen. Lucas Hösel
Robert Hood – Toxin 12 EP (M-Plant)
Robert Hood veröffentlicht einen selten gehörten Klassiker wieder. Die Toxin 12 EP kam damals unter dem The-Vision-Moniker auf seinem Hardwax-Label heraus, und man hört bei jedem Track geradezu beispielhaft heraus, was zum Zeitpunkt seiner ersten Veröffentlichung 1992 das Grundgerüst bei den sich noch formierenden Techno-Tracks war.
Kurze, raue Synth-Pattern, repetitiv, stehen gerne nur einen Takt lang als sogenanntes „Ravesignal“ im Mittelpunkt und erzeugen so etwas wie eine hypnotische, oft polyrhythmische Hookline. Die Soundauswahl ist rough und industrial, Assoziationen an Fabrikhallen, in denen Menschen mithilfe von Maschinen in Serie andere Maschinen zusammenbauen, steigen auf. Die Drums natürlich straight 909. Alle vier fantastischen Tracks sind Lehrstücke, was Techno 1992 im Kern war und bis heute im Kern geblieben ist. Sehr zu empfehlen und zeitlos schön. Richard Zepezauer