burger
burger
burger

SHDW & Obscure Shape: Der wiedergefundene Spaß

- Advertisement -
- Advertisement -

SHDW & Obscure Shape (Alle Fotos: Marc Schäfer)

Aus dem heimischen Studio auf die ganz großen Bühnen der Technowelt – ausverkaufte Gigs, ein eigenes Label und gefeierte Veröffentlichungen. Seit ihrem Debüt im Jahr 2015 haben sich Marco Bläsi und Luigi Urban alias SHDW & Obscure Shape nicht nur in die Line-ups der großen Festivals, sondern auch in die Herzen von Raver*innen auf der ganzen Welt gespielt. Ihr düster-reduzierter Techno-Entwurf traf gegen Ende der 2010er wahrhaftig den Nerv der Zeit, und nachdem die Groove sie 2016 zum Newcomer-Act des Jahres kürte, folgten Gigs auf dem ADE, dem Awakenings oder im Boiler Room.

Die Musik der beiden brilliert dabei durch die dancefloorwirksame Symbiose von sinistrer Unterschwelligkeit und akzentuierten Glanzmomenten, die in ihrer Kombination ein durchaus deepes, aber vor allem hundertprozentig ravetaugliches Klangkorsett schnüren. Am Wochenende bereiste man zwecks Auflegen die Welt, während man werktags unablässig an neuer Musik arbeitete. Parallel dazu wurden mit From Another Mind das eigene Label etabliert und die gleichnamige Partyreihe gehostet.

Doch bekanntermaßen wurden die stetig rotierenden Zahnräder der Musikindustrie 2020 aus heiterem Himmel gestoppt, und SHDW & Obscure Shape hatten von jetzt auf gleich, wie so viele andere auch, die ungekannte Zeit, zu reflektieren und sich neuen Projekten zu widmen. Unser Autor Till Kanis sprach mit dem DJ- und Produzenten-Duo über die Zwangs-Auszeit vom Touring-Alltag, die damit einhergehende Selbstreflexion, ein neues Label und die schwäbische Heimat.


Wenn sich die Sonne nur einmal in der Woche blicken lässt und die stechende Januarkälte draußen ihr Unwesen treibt, ist man fast froh, dass man sich in pandemischen Zeiten zum Interview nicht mal mehr vor die Tür bewegen muss. Heutzutage wird sich einfach per Zoom ins World Wide Web eingewählt, und schon steht die Verbindung von Berlin ins Schwabenländle. Pünktlich lichtet sich der schwarze Bildschirm und Marco und Luigi alias SHDW & Obscure Shape lächeln mir vor der Kulisse des heimischen Weihnachtsbaumes freundlich von der Mattscheibe entgegen.

Bereits im kurzen Vorgespräch wird klar: Die beiden haben einiges zu erzählen, und das tun sie auch gerne. Die Begeisterung in ihrer Sprache lässt die Passion für das eigene Schaffen greifbar werden, und vor allem Marco muss sich des Öfteren bremsen, um nicht in interviewsprengende Monologe abzuschweifen.


Fluch und Segen

Zwar wirkt der Gesprächseinstieg in Form der omnipräsenten Pandemie zunächst wie ein leidiges und obligatorisches Thema, doch genau dort setzten die neueren Entwicklungen im Hause SHDW & Obscure Shape an. Luigi beschreibt die coronabedingten Einschränkungen als „Fluch und Segen”. Er berichtet vom Touralltag, von endlosen Wochenenden in verschiedenen Städten in 62 Stunden und von ihrer Südamerika-Tour im September 2019, bei der er irgendwann am liebsten gar nicht mehr in den Flieger gestiegen wäre. Dann kam plötzlich die Pandemie, und das öffentliche wie kulturelle Leben stand still: „Ich war froh, dass sich die ganze Welt eine Auszeit nimmt.” Es sei befreiend gewesen, endlich wieder mehr Zeit für Familie und Freunde zu haben.


„Wir waren nicht mehr zufrieden mit uns selbst. Unser Sound hat uns nicht mehr aus der Seele gesprochen.”

SHDW & Obscure Shape

Mitten im Lockdown nutzte das Duo besagte Zeit, um sich auf künstlerischer Ebene in ungeahnter Weise selbst zu reflektieren. Dabei erfolgte die schlichte wie brisante Erkenntnis: „Wir waren nicht mehr zufrieden mit uns selbst. Unser Sound hat uns nicht mehr aus der Seele gesprochen. Wenn du so viel spielst, verfällst du in Muster. Du spielst dann auch mal den Track, weil du weißt: Der funktioniert! Bei unseren Big-Room-Shows, also Awakenings oder Time Warp, haben wir uns zu sehr angepasst, und das haben wir jetzt eine Weile mit uns herumgetragen.” Diese für ein international erfolgreiches und etabliertes DJ-Duo durchaus kritische Situation zwang Marco und Luigi zum handeln.

„Wir haben einfach den Sound geändert”, lautet die kurze Version der Reaktion auf besagte Problematik, doch der Prozess, der dahinter liegt, geht sehr viel tiefer. Gemeinsam haben es die beiden geschafft, ihre Passion für Techno neu zu entfachen und den Spaß an der Sache wiederzufinden. Besonders ihre gigantischen Plattensammlungen, die zusammen 4000 bis 5000 Tonträger beinhalten, scheinen eine tragende Rolle dabei gespielt zu haben. „Wir haben richtig viele Oldschool-Techno-Platten von Mitte der Neunziger bis 2006. Also Musik, die es teilweise gar nicht digital gibt”, berichtet Marco mit leuchtenden Augen. „Wir legen auch wieder mit Vinyl auf und haben jetzt mehr Groove und Tiefe in unserem Sound – mehr Soul.”

Es wirkt so, als ob SHDW & Obscure Shape ihre Liebe für ein lange vergessenes Handwerk neu entdeckt haben. Doch nicht nur an den Plattentellern wird wieder analog Hand angelegt, sondern auch die beiden Studios wurden einer Rundumerneuerung unterzogen und mit frischen Maschinen bestückt. „Am Ende des Tages macht es mehr Spaß, an den Geräten rumzuspielen, zu jammen und einfach zu gucken, was dabei rumkommt. Wir haben uns angeschaut, wie die Leute früher gearbeitet haben, und uns von diesen Oldschool-Produktionsweisen inspirieren lassen.” Und so fließt die Inspiration aus den frühen 2000ern nicht nur in die Mixe, sondern auch in die aktuellen Produktionen ein und verleiht dem neuen Sound einen gewissen Feinschliff. Parallel arbeitet das Duo noch an einem Live-Setup, das vermutlich im Sommer Premiere feiern wird.

Konkret ist der angesprochene Soundwandel marginal wie eklatant zugleich. Zugegeben es ist immer noch Techno, und es ist natürlich nach wie vor tanzbar, aber im Detail lässt sich deutlich die Abkehr vom trancigen Peaktime-Geboller erkennen. Stattdessen wird sich wieder hingebungsvoll der Plattensammlung zugewandt und der Fokus dementsprechend auf verhexte Grooves von Mitte der Neunziger bis Mitte der 2000er gelegt. Eine Kostprobe von diesem modifizierten Sound bietet das Vinyl-Only-HÖR-Set des Duos aus dem letzten Jahr. Hier sitzen nicht nur die Grooves an den richtigen Stellen, sondern auch der wiedergefundene Spaß am Auflegen ist deutlich sichtbar. 

Nun könnte man natürlich die neue Soundausrichtung und die angesprochene Freude daran nehmen und die Alltags-Maschinerie wieder wie gewohnt anlaufen lassen. Doch wahrscheinlich ist es die während des Gesprächs oft betonte schwäbische Mentalität, die das Duo antreibt, weiter über sich hinauszuwachsen und neue, unbekannte Ufer anzusteuern. So gründete man kurzerhand, zusätzlich zu From Another Mind, ein weiteres Label, um darauf den neuen Sound sowie erstmals auch andere Künstler*innen, die in eine ähnliche Richtung gehen, zu veröffentlichen. Mutual Rytm lautet der Name des Imprints, der zum einen Bezug auf den Elektron-Analog-Rytm-Drum-Synthesizer nimmt und zum anderen auf die inhaltliche Ausrichtung des Labels verweist. „Wir sind allgemein sehr inspiriert von skandinavischem Oldschool-Techno, und eine unserer Lieblingsmaschinen ist eben die Analog Rytm. Im Prinzip ist der Name eine Hommage an die Art von Techno, die wir lieben und die uns geprägt hat. Also Musik von zum Beispiel Adam Beyer, Patrik Skoog oder Henrik B.”

Der gemeinsame Rhythmus

Dabei soll Mutual Rytm mehr sein als bloße Veröffentlichungsmaschinerie. „Da geht es nicht nur um die Musik, sondern auch um das Menschliche. Dieser Family-Gedanke ist etwas, das uns bei anderen Labels gefehlt hat – das wollen wir besser machen.” Und so stehen SHDW & Obscure Shape nicht nur mit ihrem Namen für die kommenden Veröffentlichungen, sondern haben sich bereits ein Labelroster aus jungen aufstrebenden Künstlern aufgebaut, für die sie gleichzeitig als Ansprechpartner fungieren wollen. „Viele jüngere Artists sind sehr hungrig und machen deshalb Fehler, die wir auch schon in unseren Karrieren gemacht haben. Zum Beispiel sollte man gerade am Anfang viel selektiver sein und nicht jedem seine Musik geben – Qualität über Quantität. Für solche Fragen wollen wir den Jungs mit unserer Erfahrung zur Seite stehen. Die können jederzeit auf uns zukommen und uns um Rat fragen.” Konkret gehören neben den beiden Hausherren Lars Huismann, Alarico, Chontane und Chlär zum festen Labelkreis.


„Wir wolten von Anfang an verschiedene Generationen an Künstlern zusammenbringen. (…) Wir verbinden Oldschool mit Newschool und erzeugen so Synergieeffekte.”

SHDW & Obscure Shape

Doch auch abseits der genannten Sechs finden weitere Künstler, die den gemeinsamen Rhythmus teilen, auf dem Imprint statt. Auf dem Label-Erstling, der Compilation Federation Of Rytm, die am 11. Februar erschien, sind zum Beispiel Invexis, Pär Grindvik und André Walter alias Stigmata vertreten – alles Schlüsselfiguren des grooovigeren Technos der frühen 2000er. „Für uns sind das richtige Legenden! Wir wollten von Anfang an verschiedene Generationen an Künstlern zusammenbringen.”

Überhaupt scheinen Marco und Luigi ziemlich gut vernetzt zu sein, was prägende Künstler*innen jener Zeit angeht. „Wir stehen zum Beispiel mit Marc Broom, DJ Shufflemaster, The Advent oder Gaetano Parisio in Kontakt. Die schicken uns tolle Musik und finden die Idee hinter dem Label super. Wir verbinden Oldschool mit Newschool und erzeugen so Synergieeffekte – zeitlose elektronische Musik mit einem einzigen Rhythmus.” Konkret bedeutet das zehn geplante Releases alleine 2022, alle auf Vinyl. Außerdem sollen, sobald es die pandemische Lage erlaubt, diverse Labelshowcases folgen.

Bei der Fülle an Plänen, die Mutual Rytm betreffen, vergisst man schnell, dass SHDW & Obscure Shape mit From Another Mind seit 2014 noch ein zweites Label betreiben, auf dem sie ausschließlich Tracks von sich selbst oder Remixe ebenjener veröffentlichen. Doch trotz der immensen Anzahl an geplanten Veröffentlichungen auf MR soll das alte Label ganz normal weiterlaufen und wie gewohnt Musik veröffentlichen. „Das ist nach wie vor unser Baby”, stellt Luigi lächelnd klar. 

Vom Schwabenländle aus auf die Dancefloors der Welt

Im Verlauf des Interviews kommt mehrmals die schwäbische Heimat des Duos zur Sprache. Sei es durch den dezent anklingenden Dialekt oder die bereits erwähnte schwäbische Mentalität, SHDW & Obscure Shape machen keinen Hehl aus ihrer Heimatverbundenheit und brechen bei jeder Gelegenheit eine Lanze für das Ländle im Süden der Republik. Im Gegensatz zu den meisten anderen ihrer Kolleg*innen sind sie nicht etwa nach Berlin oder London gezogen, sondern leben nach wie vor im Großraum Stuttgart. Marco ist sogar im beschaulichen Plochingen geblieben und lebt dort mit seiner Oma und dem Rest der Familie unter einem Dach. „Wir werden vermutlich niemals wegziehen, hier haben wir unsere Familien und unsere Freunde, außerdem ist die Natur wunderschön. Sowohl der Schwarzwald als auch die schwäbische Alb liegen direkt vor der Tür. Die Großstadt wäre uns auch viel zu stressig. Wenn wir das ganze Wochenende in den Metropolen der Welt auf Tour sind, sind wir froh, danach an einen ruhigen Ort zurückzukommen.”


„Wir werden vermutlich niemals wegziehen.”

SHDW & Obscure Shape

Nun ist Stuttgart nicht gerade bekannt für seine florierende Technoszene. Die Clubs sind klein, wenig an der Zahl, und auch die bürokratischen Hürden für große Partys oder neue Locations sind in Baden-Württemberg wesentlich höher als beispielsweise in Berlin. Trotzdem sind Marco und Luigi gerne Teil dieser Szene, gestalten sie aktiv mit und treiben sie voran. „Wir möchten eine neue Version von Techno ins Ländle bringen. Die Clubs hier buchen gerne Shureshots. Also Acts, bei denen man weiß, dass der Laden voll wird. Wir sind da risikofreudiger und wollen Stuttgart etwas Neues bieten. Seit wir 2014 mit der From-Another-Mind-Partyreihe angefangen haben, war es uns immer wichtig, darauf zu achten, dass wir Künstler*innen abseits des Mainstreams buchen. Wir schauen da nicht auf Klicks oder Likes, sondern nur auf die Musik.”

Eine Bühne für diese neue Vision hat das Duo im relativ jungen Stuttgarter Club Fridas Pier gefunden. Die Location liegt ein wenig abseits des Zentrums im Bauch eines 80 Meter langen Schiffs, das auf dem Neckar vor Anker liegt. „Fridas Pier ist echt etwas Einzigartiges für Stuttgart, das ist der Club, den wir gesucht haben. Dadurch, dass er nicht direkt im Zentrum liegt wie alle anderen, gibt es dort ein szenekundigeres Publikum. Keine Laufkundschaft, sondern Leute, die extra für die Location, die Party und die Musik kommen. Das sorgt natürlich für einen einzigartigen Vibe.”


Somit sind Marco und Luigi nicht nur Musiker und Künstler, sondern lassen sich ohne weiteres auch als Szeneaktivisten bezeichnen, die versuchen, die schwäbische Technolandschaft mit Innovationen zu versorgen. „Wir leben dafür und sind immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen! Gerade aus diesen Projekten, die nicht direkt mit der Musikproduktion zu tun haben, ziehen wir viel Inspiration. Ohne würde uns schnell langweilig werden.”

Es mag abgedroschen klingen, doch es ist erfrischend, dass es da draußen überaus erfolgreiche Künstler*innen gibt, die in mehrerlei Hinsicht ihren eigenen Weg bestreiten und diesen bei Bedarf in eine andere Richtung korrigieren – sei es nun aus geografischer oder musikalischer Sicht. SHDW & Obscure Shape wirken, als würden sie rundum gestärkt und trotzdem hungrig aus der Pandemie hervorgehen. Gestärkt mit neuen Plänen, neuem Label und neuem Sound, doch hungrig danach, selbigen endlich wieder auf den Tanzflächen der Welt an die Raver*innen zu bringen.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Marrøn: „Ich bin als DJ auf der Tanzfläche geboren”

Für Marrøn ging es vom Parkett auf die Tanzfläche – uns hat er unter anderem erzählt, warum er seine Profisportlerkarriere gegen die DJ-Booth eintauschte.

A100 in Berlin: Nie wieder Autobahn

Berliner Clubs und Initiativen haben wieder gegen den Ausbau der A100 demonstriert – wir haben uns vor Ort umgehört.

Waking Life 2024: Der Schlüssel zum erholsamen Durchdrehen

Das Waking Life ist eine Anomalie in der Festival-Landschaft, was programmatischen Anspruch und Kommerzialität anbetrifft. Wir waren dabei.