Coffintexts – 8700 (Club Qu)

Coffintexts–8700(Club.Qu)

Die Pandemie macht es allen, die im Bereich von Clubkultur aktiv sind, schwer. Zum Glück entstehen trotzdem immer wieder neue Labels, Ideen und Tracks. Ein Beispiel dafür ist das Label Club Qu. Im Jahr 2020 ist es aus dem Projekt Club Quarantäne hervorgegangen, das Partys in digitalen Räumen gestartet hat, als es in den fassbaren Clubs aufgrund von Beschränkungen nicht möglich war.
Die vierte EP des Labels kommt von Coffintexts aus dem US-amerikanischen Miami. Die Produzentin und DJ greift die Dance-Tradition ihres Wohnorts mit Miami Bass auf. Das Genre, das Mitte der 1980er als Inspiration aus Electro-Funk entstanden ist, war vor allem mit seiner Hip-Hop-Anknüpfung kommerziell erfolgreich. Gleichzeitig entstanden Spielarten, die eher in Richtung House und Techno gingen. Hier knüpft die Musik von Coffintexts an. Die schnellen Tracks arbeiten mit sparsamen Vocal-Samples, die über variantenreiche Breakbeats hinwegfliegen. Mal klingt das nach Electro, mal nach Jungle, immer druckvoll, rau und ravy. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, egal, ob digital oder im Club, die Tracks lassen nicht stillsitzen. Philipp Weichenrieder

Israel Vines – Voices EP (Tresor)

Israel.Vines.–.Voices.EP.(Tresor)

Wäre Denis Villeneuve bei Dune wirklich all in gegangen, hätte er Israel Vines anstelle von Hans Zimmer für den Soundtrack beauftragt. Praktischerweise ist „Izzy” nämlich schon Ehrenmitglied der Bene Gesserit. Wie könnte er sonst die Stimme, jene Macht des obskuren Ordens, auf seiner neuesten Single Voices einsetzen? Um Villeneuve in Schutz zu nehmen: Der Film wäre dann wohl ein anderer geworden. Spirituelle Dance-Party auf Arrakis incoming. Spice gäb’s dort zwar zur Genüge, allerdings würden sich auch die gigantischen Sandwürmer bei den pounding Rhythms des US-Produzenten nicht lange bitten lassen. Und diese Buddelexperten, sagen wir’s mal so, sind auf dem Wüstenplaneten als echte Partycrasher in Verruf geraten.

Mit „Breaking” deutet Israel Vines beim ersten Track schon an, was er hier für Tresor zusammengeschraubt hat. Der Beat, der mehr 90er Birmingham als 2021 US-Midwest ist, wird von Hi-Hat-Modulierungen und weiblichen Stimmfetzen konterkariert. Das begeistert als Ganzes zwar noch nicht so richtig, ist aber immerhin ein kraftvoller Einstieg.

Die BPM-Zahl wird dann hochgedreht, was dem atmosphärischen „Culling” gut steht. So sollten frühere Fachwerk-Releases von Mike Dehnert, Roman Lindau und Sascha Rydell wohl immer klingen. Nur fehlte es denen an emotionalem Tiefgang. Für Vines, das wird eindeutig, kein Problem. Die Stimme – heilig, durchbohrend und nicht von dieser Welt – wirft in „Downing” dann vollauf um. Es ist wieder Halftime-Beat angesagt. Brutales Kopfnicken bis der Nacken knackt. Was ein Outtake eines Surgeon-Live-Auftritts sein könnte, nimmt dann aber an Heftigkeit nicht zu. Vines erkennt genialerweise, dass das zu viel wäre. Stattdessen treibt er mit apartem Layering spiritueller Stimmen tiefer ins rabbit hole hinein.

Nach dem vorausgegangen Sandsturm ist „Keeping”, eine Kollaboration mit Camille Altay, dann genau der klare Moment, den es zum Abschluss braucht. Das befreiende Gefühl, endlich wieder sehen zu können, nachdem der Wüstensand so gnadenlos über uns hinwegfegte, erzielt vor allem Altays Stimme. Ihr Alleinstellungsmerkmal, nämlich dass wir zum ersten Mal auf dieser EP verstehen können, was man uns sagt, schärft die Sinne. Ein Ende in dreifacher Ausführung. Denn Vines liefert noch Instrumental sowie Extended Cut mit. Andreas Cevatli

K-Lone – Zissou (Wisdom Teeth)

K-LONE–Zissou.(Wisdom.Teeth)

K-Lone beendet das Jahr 2021 mit einem ziemlichen Knaller auf seinem eigenen Label Wisdom Teeth, das er gemeinsam mit Facta führt. Oder genauer gesagt derer vier, die recht genau die vier Ecken seines musikalischen Schaffens abdecken. Los geht’s mit dem Titeltrack, einem rüd-rudimentärem Baltimore-Club-Tool mit hypnotischem Sog, das sich sicherlich gut in jedem Pearson-Sound-DJ-Mix machen würde. Weiter auf dem House-Floor mit synkopiertem UK-Funky-Groove, über dem sich eine fröhlich-sommerliche Melodie schlängelt. Die B-Seite startet mit swingendem 2-Step. „Softie”, der Abschluss-Track, bleibt der UK-Garage-Richtung treu, allerdings mit mehr Akzentuierung in Richtung tief-melancholischer Dubstep. Vier Abstecher also in den weiten Bass-Musik-Ozean, denen es weder am abwechslungsreicher Frische noch an Geschichtsbewusstsein mangelt. Tim Lorenz

Melchior Productions Ltd – Closer (Perlon)

Melchior.Productions.Ltd.–.Closer.(Perlon)

Bereits in den frühen Neunzigern kam Thomas Melchior in England mit Künstlern wie Peter „Baby” Ford in Kontakt. Mit seinen Veröffentlichungen auf Perlon und Playhouse wurde der in Deutschland geborene, aber vorwiegend in den USA, Spanien und dem UK aufgewachsene Producer zu einem der Pioniere des Minimal-House-Sounds der Jahrtausendwende.

In der vergangenen Zeit war es etwas ruhiger um Melchior geworden: Innerhalb der letzten fünf Jahre sind lediglich zwei Veröffentlichungen erschienen, mit Closer gibt es nun einen Vorboten auf sein kommendes Album. Der „California Dreaming Mix” des Titeltracks überrascht mit Chicago-Deep-House-Vibes und souligen Vocal-Loops, in seiner intimen Wirkung den Herbert-Produktionen der ausgehenden Neunziger gar nicht unähnlich. Der Schlüsselreiz der Nummer besteht jedoch in der rückwärts abgespielten Bassfigur. Eine subsonische Bassline durchflutet auch den Minimal-Dub-Techno von „Endless Skies”, ein gelooptes String-Sample und die Vocals von Joanna Law verleihen dem Tune einen hypnotisch-resilienten Charakter, unaufgeregt und erhaben. In seinem Genre ist Thomas Melchior nach wie vor eine Klasse für sich. Harry Schmidt

Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.

Telephones – Point Breaks / Beach Breaks 2 (European Carryall)

Telephones.–.Beach.Breaks.2.(European.Carryall)

Seit Henning Brandt-Hansen Severud alias Telephones 2010 mit der EP Kanal auf Full Pupp den Balearic-House-Floor betreten hat, konnte sich der norwegische Moustache-Träger als einer der zuverlässigsten Producer seiner Zunft etablieren. Nach Releases für Running Back, Sex Tags UFO, Love On The Rocks und Klasse Wrecks kanalisert Severud seinen Output inzwischen auf seinem eigenen Label European Carryall.

Dort ist auch der zweite Teil seiner Reihe Point Breaks / Beach Breaks erschienen, der mit erneut fünf Tracks einer Apotheose des Strandclublebens gleichkommt. Toll ist das Understatement, mit dem Telephones sein DJ-Knowledge präsentiert: „Another Time (Extended Club Mix)” wirkt wie ein lockerer Disco-House-Jam über ein Daft-Punk-Thema, „Refshers (Doogie Street Dub)“ evoziert mit seinem rollenden Breakbeat dagegen London-Street-Soul-Vibes. „Playa De Cochlea (Teleport)” und „Dew Drops (Morning Dip Trip)” zeugen von Severuds Tropical-Ambient-Expertise. „Phase Alternate Life (Steppin’ Dub)” greift ein Motiv des ersten Teil nochmals auf und verleiht dem Mix pazifische Dimensionen. Harry Schmidt

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