Gemeinsames Jammen und Experimentieren in der Folkwang (Foto: Presse)

Popmusik studieren? Geht. An der Folkwang Universität der Künste. Und wie? Das erklärt Musiker und Folkwang-Dozent Henrik von Holtum im Interview.


GROOVE: Zuallererst: Kannst du ein wenig zu deiner Person erzählen? Auf deiner Homepage präsentierst du dich als vielseitiger Medienmacher und Lehrender. Wie kommt es, dass du so breit aufgestellt bist, und wie hast du den
Entschluss gefasst, deiner Tätigkeit als Dozent beziehungsweise Lehrender an der Folkwang Universität der Künste nachzugehen?

Henrik von Holtum: Ich habe mit zwölf Jahren Hip Hop kennengelernt und war direkt so verliebt, dass ich das unbedingt machen wollte. Von da an habe ich das in unterschiedlicher Intensität durchgezogen. Wir gründeten Bands und lösten sie wieder auf. 1994 habe ich mit Kinderzimmer Productions die erste Platte gemacht, richtig professionell wurde es mit der zweiten Platte Ewige Jugend und Glückseligkeit. Dann haben wir mit diesem Projekt irgendwann eine längere Pause gemacht.

Parallel habe ich klassischen Kontrabass in Stuttgart studiert. Das war zu der Zeit, als Kurt Cobain verstorben ist; damit ist die ganze Idee von Sub-Pop und alternativer Gitarrenmusik gestorben. Bands sind entstanden, die eigentlich aus dem Hardcore
kamen, aber sich auf Singer-Songwriter berufen haben. Zu dieser Zeit war ich mit der Band Staub als Bassist und Sänger aktiv. 2003 habe ich mein Kontrabass-Studium abgeschlossen und begonnen, mich breiter aufzustellen.

2008 hat Kinderzimmer Productions eine Pause gemacht. Da fing ich an, eigene Musik zu machen und Soundcollagen für einen Freund, der für den SWR Radiofeatures gemacht hat. Irgendwann meinte er: „Mach’ diese Features selbst und lass’ dich dafür bezahlen, dann hast du noch ein zweites Standbein.” Gleichzeitig habe ich aber auch schon immer unterrichtet und festgestellt, dass ich da nützlich sein kann, weil ich einerseits den bildungsbürgerlichen Weg gegangen bin und auf der anderen Seite DIY-Hip-Hop ohne Support gemacht habe. Heute denke ich, dass auf beiden Seiten des Spektrums Informationen liegen, die sehr wichtig sein können. Später erfuhr ich, dass an der Folkwang Universität der Künste das Institut für Popmusik gegründet und von Hans Nieswandt geleitet werden würde. Anfangs war ich allerdings der Idee gegenüber, Pop zu unterrichten, skeptisch eingestellt.

Folkwang-Dozent Henrik von Holtum (Foto: Presse)

Wie sieht der Masterstudiengang, den du am Folkwang Institut für Pop-Musik mitbetreust, konzeptionell aus? Auf was dürfen oder müssen sich Student*innen einstellen?

Es ist ein projektbezogener Masterstudiengang, das heißt, die Leute bewerben sich mit einem Projekt, das sie während der vier Semester im Idealfall durchziehen. Die ersten zwei Semester beinhalten auch Projekte, die nicht unbedingt etwas mit dem
eigenen Masterprojekt zu tun haben, und kennzeichnen sich durch den großen Input vonseiten der Lehrenden.

Sei es historisches oder praktisches Wissen bezüglich der Produktion: Mastern, Mischen, DAWs, Schreiben. Der wichtigste Teil ist dabei jedoch die Entwicklung der eigenen künstlerischen Persönlichkeit. Wir haben Studierende mit einem sehr
unterschiedlichen Profil. Deswegen geht es erst einmal darum, herauszufinden: Wer seid ihr? Wo wollt ihr hin? Wo und wie können wir euch helfen? Da wir Lehrenden schon länger in der Musikbranche sind, können wir Tipps geben, von denen die
Studierenden profitieren. Der Abschluss des Studiums ist die Veröffentlichung eines Tonträgers, zu dem auch das ganze visuelle Paket gehört, wie beispielsweise Bandfotos, Pressefotos und Videos. Natürlich kann es während dieser Zeit
passieren, dass sich das Projekt verändert. Das ist völlig in Ordnung und gleichzeitig sehr spannend.

Wie viele Student*innen betreust du gleichzeitig? Wie kann man sich deinen Workload vorstellen?

Ich bin Teil eines Teams, und wir kümmern uns gemeinschaftlich um alle Studierenden, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Wenn jemand Singer-Songwriter ist, hat er oder sie wahrscheinlich mehr mit mir zu tun als mit anderen Lehrenden. An sich haben aber alle mit allen zu tun. Einmal im Jahr, zum Wintersemester, nehmen wir neue Studierende auf. Im jetzigen Jahrgang haben wir 13 Musiker*innen neu aufgenommen.

Der Arbeitsaufwand fällt sehr unterschiedlich aus, je nachdem, wie die Semester angelegt sind. Ich mache immer ein Seminar, das sowohl theoretisch als auch praktisch ist. Wir fangen mit einer konkreten praktischen Frage an und arbeiten daran weiter. Genauso gibt es Einzelunterricht und Unterricht in kleineren Gruppen, in dem konkret an den eigenen Projekten gearbeitet wird. Oft vergibt die jeweilige Seminarleitung eine Aufgabe, die über die Woche zu erledigen ist. Bei kontinuierlicher Anwesenheit ist der Output relativ hoch.

Wie unterrichtest du? Hast du spezielle Methoden für diese Art der künstlerischen Ausbildung? Wie interpretierst du den Faktor Augenhöhe in deiner Betreuung?

Ich bin eigentlich für Text und Musik engagiert, was aber auch den Kontext miteinschließt. Was zum Beispiel für einen R’n’B-Track ein toller Text sein kann, ist in einem anderen Zusammenhang einfach zu wenig. Einen Überblick zu geben über Textgenres oder über das, was man können muss, ist eine ganz andere Arbeit, als wenn man sagt: „Lass’ uns über Aggression in der Musik nachdenken. Wieviel hast du davon, wieviel muss da rein?” Es geht immer darum, sich so geradlinig und ehrlich wie möglich zu positionieren, und das gelingt mit der Hilfe von Ankern.

Jeder, der Musik macht, hat aus einem bestimmten Grund damit angefangen. Im Laufe der Zeit vergisst man diesen Grund oft, weil man an irgendwelche Industriestandards denkt und daran, was man alles können muss. Pop ist in erster Linie große Emotion, und das wird dann oft als naiv weggeschoben. Die meisten Leute hören im Alter von neun bis zwölf das erste Mal Pop und verlieben sich. Diese grundsätzliche Liebe formt ganze Biografien, was man oft vergisst. Dieses Feuer muss man schützen und sich bewahren.

Kannst du abschließend noch einmal umreißen, wie das Anforderungsprofil für Student*innen am Folkwang Institut für Popmusik aussieht?

Das Wichtigste ist die Idee. Und dass es kein Handwerks-Studium, sondern vielmehr ein Kunststudium ist. Es geht nicht darum, schneller, höher, weiter singen oder spielen zu können, sondern eine relevante künstlerische Vision zu haben. Die
besten Sachen kommen oft nicht von Musikschulen, sondern entstehen in Kunstschulen. Zu wissen, dass die Vision im Vordergrund steht, ist vielleicht auch eine Ermutigung für die Personen, die von sich selbst denken, dass sie dieses oder jenes nicht können. Wenn jemand für etwas brennt und etwas zu erzählen hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass da was zusammenpasst.

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