Paul Rose 2020 in seinem Studio in London (Sämtliche Fotos: Jimmy Mould)

Das Schöne bei einer so vielfältigen Produzentenpersönlichkeit wie Paul Rose – vielen wahrscheinlich besser bekannt unter seinem Künstlernamen Scuba – ist ja, dass man im Grunde blind an jeder Stelle seiner stilistischen Genese einsteigen und sich sorglos in die Musik fallen lassen kann, wissend: Das ist gut. 

Egal, ob es sich nun also um seine sparsam arrangierten Dubstep-Episoden der frühen Zweitausender handelt, die metrisch klopfenden House-Tracks der 2010er oder die auf seinen fünf Alben immer wieder eingeflochtenen Broken-Beats-Tunes.

Ja, selbst bei seiner aktuellen Produzenten-Tätigkeit mit dem Sänger DOMiNii auf dem Album Diivorce, das sich als lupenreines Pop-Werk präsentiert, kann man sich darauf verlassen, dass Scuba die Klangfäden souverän zu einem stimmigen Klangteppich verwebt. Höchste Zeit für unseren Technik-Redakteur Numinos, dem Produzenten aus Irland mal einen virtuellen Besuch abzustatten.


Ich treffe Scuba in seinem Covid-Exil-Studio auf Palma de Mallorca. Hier, in einem unscheinbaren Mehrfamilienhaus im Stadtzentrum hat er ein luftiges, sonniges Zimmer zu seinem Produktionsstudio gemacht. Er sagt, dass das alles ein DIY-Projekt ist: „Das war eine total heruntergekommene Bruchbude, aber nun hat es sich durch Corona plötzlich gelohnt, das gemacht zu haben. Palma ist ohnehin eine ziemlich unterschätzte Stadt: Hier lebt eine halbe Million Menschen, genau so viel wie in Bristol, und es hat einen sehr guten Vibe. Ein bisschen wie ein Mini-Barcelona.”

Paul Rose in 2021 Palma de Mallora (Foto: Rui Augustus)

Dass er ins balearische Exil gegangen ist, war weniger einem poshen Produzentenleben, sondern mehr den Umständen des Corona-Lockdowns geschuldet. Er habe – wie so viele – das komplette Jahr 2020 in seiner Wohnung in London verbracht, seufzt er: „Das war kein Spaß, und als dieses Jahr anfing, dachte ich: Na gut, wenn schon eingeschlossen, dann wenigstens irgendwo auf einer Insel, wo das Wetter nicht ganz so depressiv ist wie in London.”


„Band-Echos und wirklich ordentliche Chorus-Effekte scheinen mir als Plug-In immer nur 60 Prozent vom Original zu sein.” 

Paul Rose

Ohnehin gehört der gebürtige Irländer zu jener Generation, die voll von der Reisefreiheit innerhalb Europas profitieren konnte, und ist heute – in Anbetracht des Brexits – heilfroh über seine doppelte, irisch-britische Staatsbürgerschaft, mit der er weitgehend ungestört zwischen der EU und England pendeln kann.

Paul Rose 2020 in seinem Studio in London

Und gleichwohl er seit über 14 Jahren regelmäßig in Berlin lebt, verschlägt es ihn auch immer wieder in seine Herzheimat London, wie er sagt. Dort, im Süden der Stadt, direkt neben dem Stadion von Millwall, einem Verein, dessen Hools weitaus bekannter sind als die Mannschaft, befindet sich sein Hauptstudio, wo er sich in illustrer Gesellschaft von Kollegen wie „Mount Kimbie, George Fitzgerald und vielen, vielen Trap-Producern” befindet, wie er schmunzelnd berichtet.

Paul Rose 2020 in seinem Studio in London

Nun aber steckt er schon seit einem Jahr in seinem zugegebenermaßen nicht ganz uncharmanten balearischen Produktions-Exil fest und hat sich mit den Gegebenheiten weitgehend gut arrangiert. Das Einzige, was er wirklich vermisst, ist einen Gitarren-Amp richtig auszufahren, sagt er. „Das geht in einem Mehrfamilienhaus einfach nicht. Ich habe mir den Strymon Iridium Amp-Simulator geholt. Aber das ganze Thema Feedback funktioniert mit Simulationen einfach nicht. In London benutze ich einen Vox AC30, den ich mit einem Shure SM57 Mikro abnehme und dann in ein API-Preamp und den Distressor gebe.” Das liefere einen fantastischen Gitarrensound, berichtet er.

Ins balearische Exil durfte der Distressor nicht mitreisen, weshalb Scuba hier die Plug-In Emulation von Universal Audio benutzt. (Screenshot: Paul Rose)

Hardware / Software

Obwohl Rose durchaus gerne mit Cubase und Ableton im Rechner arbeitet, wo ihm ein breites Arsenal von Plug-Ins zur Verfügung steht, das von Universal Audio über Waves bis hin zu Eiosis, FabFilter und Valhalla DSP reicht, greift der erklärte Gear-Nerd an vielen Stellen seiner Produktionen auf Hardware zurück.

Rose räumt ein, dass manche Sachen wie beispielsweise Halleffekte im Rechner durchaus klanglich zufriedenstellend gelöst sind. Andere Sachen lassen sich dagegen nicht gut replizieren: „Federhall ist so eine Sache. Da passiert so viel Unvorhergesehenes – das habe ich noch nicht überzeugend aus dem Rechner gehört. Auch Band-Echos und wirklich ordentliche Chorus-Effekte scheinen mir als Plug-In immer nur 60 Prozent vom Original zu sein.”

Paul Rose 2020 in seinem Studio in London

Gefragt, ob das auch der Grund ist, warum er sich den sündhaft teuren Chandler Curve Bender-Equalizer gekauft hat, entgegnet Rose laut lachend, dass das ein typisches Beispiel dafür ist, was Techno-DJs mit ihren Gagen machen: „Nein, Spaß beiseite – der Curve Bender ist auch so eine Sache, die nicht als Plug-In funktioniert. Besonders im Bass. Wenn Du da ein Dezibel bei 50 oder 70 Herz reindrehst, entsteht eine Wärme, die ich noch von keinem Plug-In gehört habe.”


„Erst in den letzten Jahren habe ich angefangen, auch die Höhen in manchen Spuren zu cutten – die Spuren, die wirklich Höhen haben sollen, bekommen so automatisch eine viel bessere Durchschlagskraft.”


Rose ergänzt, dass er ihn häufig auf Subgruppen einsetzt, um den Klang grob zu formen und anzureichern. „Man darf ja nicht vergessen, dass man im Rechner zehn, 20, manchmal 50 Equalizer laufen hat. Ich könnte mir gar keine Analogkonsole leisten, um so viele EQs unter den Fingern zu haben. Da macht es dann schon Sinn, wenn man wenigstens die Busse noch mal durch einen wirklich guten Equalizer schicken kann.” Er verwendet dann meistens im gleichen Arbeitsgang noch den SSL-G-Bus-Kompressor, um das Material zu verdichten.

Der Curve Bender-EQ im Detail, mit einem Dezibel Anhebung bei 70 Hertz, von dem Scuba überzeugt ist, dass es dem Klang Wärme gibt. (Foto: Paul Rose)

Laute Plug-Ins

Begeistert ist er vom Lion von Unfiltered Audio, einem semi-modularen Softsynth: „Der ist ziemlich klasse. Das einzige Problem ist, dass er unfassbar laut ist. (lacht) Alles, was da raus kommt, hängt automatisch bei null Dezibel. Man muss ihn immer erst leiser machen, um mit ihm arbeiten zu können. Erst neulich ist der Knifonium von Knif Audio dazugekommen. Bei dem Gerät haben die Entwickler es geschafft, ihm tatsächlich einen relativ eigenständigen Klangcharakter mit auf den Weg zu geben.”

Im Bereich Klangerzeugung nutzt er Plugins gleichberechtigt mit seinen Hardware-Synthesizern. Bässe und Flächen kommen nicht selten von seinem midifizierten Roland Juno-60. Auch seinen Sequential OB-6 verwendet er ebenso regelmäßig wie begeistert: „Der hat einen wahnsinnig druckvollen Sound und ist fantastisch in der Bedienung”, schwärmt er. Im Rechner dagegen öffnet er neben dem Klassiker U-he Diva, den er liebevoll als sein „Arbeitstier” bezeichnet, häufig auch nicht ganz so populäre Klangerzeuger.

Der Roland SH-2 und Juno-60. Zwei Synthesizer-Klassiker, die Scuba oft und gerne in all seinen Produktionen nutzt.

Vom Mastering-Engineer abgeschaut

Gefragt, wo seine tontechnische Kompetenz ihren Ursprung hat, erwidert der 42-Jährige, dass er sich viel von den Mastering-Engineers abgeschaut hat, bei denen er seine frühen Dubplates pressen ließ (unter anderem Jason Goz, Engineer bei Transition Mastering, der für viele Dubplates und das Mastering diverser Releases der frühen Londoner Dubstep-Szene verantwortlich zeichnet). „Wir waren ja damals Kids, die zwar fette Tracks machen wollten, aber von nichts eine Ahnung hatten”, sagt er lachend. „Ich habe aber viele Fragen gestellt und immer Antworten bekommen, und so wurden mir immer mehr Sachen klar, vom Lowcut bis zur Kompression.”

Paul Rose 2020 in seinem Studio in London

Überhaupt ist Rose überzeugt, dass Ton- und Produktionstechnik kontinuierliche Prozesse sind, die kein Ende haben: „Es ist ja nicht so, dass man nur dieses und jenes wissen muss, und dann ist man ein fertiger Produzent. Nein, es sind viele kleine Bausteine, Kniffe und Routinen, die man mit der Zeit erwirbt und einen besser und sicherer werden lassen.”

Als aktuelles Beispiel nennt er das Beschneiden von Höhen (das Gegenteil vom Lowcut): „Ich habe mich früher überhaupt nicht um das Thema Highcut gekümmert. Erst in den letzten Jahren habe ich angefangen, auch die Höhen in manchen Spuren zu cutten – und sobald man das macht, bekommen die Spuren, die wirklich Höhen haben sollen, automatisch eine viel bessere Durchschlagskraft.”

Von der Uni-Party zum Label

Einem ähnlichen Hintergrund entspringt auch die Gründung seines Labels Hotflush, auf dem ein Großteil seiner Veröffentlichungen stattfindet. Denn lange bevor die Selbstvermarktung über Content-Distributoren es jedermann und -frau ermöglichte, Musik zu publizieren, war die direkte Eigenveröffentlichung der natürliche Weg: „Als ich mit dem Produzieren anfing, war es ganz selbstverständlich, seine eigenen Platten auf dem eigenen Label zu machen. Keiner wäre auf die Idee gekommen, zu einem Majorlabel zu gehen. Außerdem hat Prince mal gesagt, dass wir immer unser Copyright behalten sollen, und da er mein absoluter musikalischer Held ist, mache ich das verdammt noch mal auch so.” (lacht) 

Rose ergänzt, dass Hotflush ursprünglich als Partyreihe an seiner Uni in Bristol begann, wo er Geschichte studierte. „Dann ging ich nach London und legte beim Piratenradio auf, genau auf dem Höhepunkt der UK-Garage-Zeit. Binnen zwei bis drei Jahren starb Garage dann und wurde von Dubstep abgelöst. Ich bin diesen Weg dann fast schon automatisch mitgegangen.”


„Die Musik bleibt im Wesentlichen gleich. Nur die Protagonisten wechseln – Identitäts-Präsentation hat da teilweise den Platz von musikalischer Innovation eingenommen.”

Paul Rose

Im Gespräch zeigt sich, dass Paul Rose ein umtriebiger, offener Geist ist, der keine Scheu davor hat, mit einer gewissen pragmatischen Hemdsärmeligkeit nicht nur seinen Schaffensort zu wechseln, wenn es die Situation erfordert, sondern auch die stilistische Form, wenn ihm die Grenzen eines Genres zu eng geworden sind.

Auf die Frage, wo er glaubt, den Kern seiner musikalischen Inspiration zu finden, holt er weit aus und bezieht – ganz Historiker – auch den Zeitkontext ein: „Als Kids der frühen Neunziger standen wir weltpolitisch an einer Zeitenwende, die viele Möglichkeiten eröffnete: Der Ostblock war zusammengebrochen, wir glaubten an eine bessere Zukunft, fühlten uns stark und optimistisch, gegen die negativen Kräfte auf dieser Welt nicht nur antreten, sondern auch gewinnen zu können. Die Kids heute treffen dagegen oft auf eine feindselige Gesellschaft, politisch wie ökonomisch. Ich meine, sagen wir es mal so deutlich: Die ganzen Pandemie-Einschränkungen waren und sind eine Beschränkung der Jüngeren zu Gunsten der Älteren. Ich kann sehr gut verstehen, wenn die Kids entsprechend wütend sind.”

Paul Rose 2020 in seinem Studio in London

Entsprechend glaubt er, dass seine musikalische Sozialisation bei ihm zu einer sehr freien und offene Haltung in Bezug auf Genregrenzen führte. Hinzu komme, dass in den letzten zehn Jahren substanziell eigentlich wenig in der elektronischen Musik passiert ist, befindet er. „Wenn man sich den Querschnitt beim Release-Freitag von Beatport anhört, stellt man fest, dass die Musik im Wesentlichen gleich bleibt und nur die Protagonisten wechseln – Identitäts-Präsentation hat da teilweise den Platz von musikalischer Innovation eingenommen.”

Die Extended EP Diivorce von Scuba und DOMiNII ist bereits auf Hotflush erschienen. Die Talaria EP von Scuba erscheint voraussichtlich im Dezember bei Aus Music.


Equipment in den Studios von Paul Rose (auszugsweise):

Instrumente:
Dave Smith OB-6
Roland Juno 60
Roland SH 101
Roland SH 2
Roland TR 8
Ace Tone Rhythm Ace
Elektron Machine Drum
Fender Telecaster
Fender Stratocaster
Fender Precision Bass
Bacchus Duke
Washburn N4
Novo Serus J
Guild D-20

EQ/ Preamps/ Klangprozessoren/ Verstärker:
Chandler Curve Bender
Chandler TG2-500
API 512c
Thermionic Rooster
Thermionic Culture Vulture
Elektron Analog Heat
2 x Empirical Labs EL8-X Distressor
Grove Hill Audio Liverpool
Vox AC30
Fender Blues Junior
Marshall JTM30

Mikrophone:
Neumann U-87
Vanguard V44S
Shure SM57
Coles 4038

Sequenzer/ Effekte:
Doepffer Dark Time
Hologram Microcosm
Roland RE201 Space Echo
Roland DC-50 Chorus
Moog Mooger Fooger MF104-M
Hawk HR-101 Reverb
Mu-Tant Fly-Phase
Strymon Time Line
Strymon Blue Sky
Electro Harmonimix Big Muff
Electro Harmonimix Pitch Fork
Electro Harmonimix Attack Delay
Wampler Clarkdale
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