Marlene Engel (Foto: Elsa Okazaki)
Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist nicht nur eines der einflussreichsten Theater im deutschsprachigen Raum, sondern auch ein wesentlicher Ort für die Musikkultur Berlins. Denn seit den 1990ern begreifen deren Macher*innen Musik als wesentlichen Bestandteil eines Theater-Entwurfs, für den Popkultur und die heterogenen Communitys der Stadt ein essentielles Gegenüber sind.
In den 1990er veranstaltete etwa das Sonar Kollektiv Partys auf der Bühne des großen Hauses, aus den 2000ern blieb ein Daniel-Johnston-Konzert nachhaltig in Erinnerung. War das Musikprogramm bis zuletzt mehr oder weniger Rock-dominiert, öffnet es sich jetzt mit der neuen Musikchefin Marlene Engel der elektronischen Musik und einem neuen Spektrum queerer Klang-Politiken.
Die Österreicherin ist dabei alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Einen Namen machte Marlene Engel sich mit der Eventreihe BLISS, die am Anfang der 2010er an verschiedenen Orten stattfand. Später arbeitete sie für das Donaufestival in Krems, für das Elevate in Graz und für die Wiener Festwochen, wo sie für das bahnbrechende Hyperreality-Festival zuständig war. Wir wollten wissen, wie Marlene Pläne für die Volksbühne aussehen, wie sich an dem Theater verortet – und wo für die die Stärken und die Schwächen von Berlin als Musikstadt liegen.
Mit Beginn der aktuellen Spielzeit bist du Musik-Kuratorin der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Was bedeutet dieser Ort für dich?
Das Erste, was mich aus der Volksbühne je erreicht hat, ist die Grafik von LSD [einem 1991 in Berlin gegründeten Grafik-Kollektiv d.Red.]. Um einige Postkarten und Zündhölzer einzupacken, war ich deshalb Anfang der 2000er das erste Mal vor Ort. Das Schöne daran, dass ich wegen LSD da war, ist im Nachhinein die Tatsache, dass ihre Arbeit die Praxis einer Institution einfängt, die erfolgreich Zusammenhänge zwischen Theater, Aktivismus, Musik, Performance und bildender Kunst geschaffen hat.
LSD hat diese Tatsache durch eine authentische Arbeitsweise (die Inhalte statt Image vermittelt) über den öffentlichen Raum bis zu mir transportiert. Interdisziplinäres und unbeschwertes anti-repräsentatives Arbeiten prägte mein Bild der Volksbühne, und ich hoffe es gelingt uns, dies ins Jetzt zu transportieren.
Wie würdest du das ästhetisch-politische Programm beschreiben, das du dort umsetzt?
Für mich sind ästhetisch und politisch irgendwie zwei verschiedene Kategorien. Im Programm geht es um politische Fragestellungen (wie Antirassismus, Queerness, Feminismus …), die von den Künstler*innen in verschiedenen musikalischen Sprachen ausformuliert werden. Lyra Pramuks Kooperation mit Kiani del Valle und Annalise van Even ist deswegen ästhetisch eine ganz andere Arbeit als Marie Davidsons neues Bandprojekt mit L’Œil Nu, das am Sonntag, 7. November auf der großen Bühne zu sehen sein wird.
Wie gehst du damit um, dass die Volksbühne ein Theater ist? Wie arbeitest du mit der Intendanz zusammen?
Es macht keinen Sinn, die Systematik eines Clubs oder einer Konzert-Venue auf ein Theater zu übertragen. In Berlin ist der Club unter anderem ein Experimentierfeld für Musik als transdisziplinäres Medium, ein Ort, an dem performative, installative und neue Formate getestet werden und wo eine internationale Szene globale Impulse setzt. Mein Zugang ist, die Gewerke des Theaters (wie Bühnenbild-, Werkstätten oder Requisite) bestmöglich für eine Musikszene zu nutzen, die diesen theatralen, transdisziplinären Zugang verstärken will und dafür eine Bühne sucht. Musik ist fester Bestandteil des neuen Programms der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, ich bin auch im dramaturgischen Team tätig und freu mich, dass diese Impulse so auch ins Gesamtprogramm fließen.
Mir fehlt in Berlin ein Tschocherl (eine Art gemütliche Bar), ein Ort, wo Menschen interessen- und altersübergreifend zusammenkommen. Mit 2€-Spritzer, Käsetoast, Orange-Weinen, Musik und so.
Bisher warst du fast ausschließlich in Österreich, besonders in Wien, tätig. Wie unterscheiden sich Nachtleben und Publikum in Wien und Berlin?
Ich habe den Eindruck, dass das Publikum in Berlin kompromissloser ist. In Wien geht es (noch) durch, wenn-Clubs Mitbesitzer aus einem rechts-konservativen Umfeld haben, und eine Programmbeschreibung wie feministisch, queer und intersektional wird schnell vom staatlichen Radio als radikal bezeichnet. Ich halte solche Ansprüche an ein Programm für das Minimum, und dafür gibt es in Berlin auch außerhalb einer spezialisierten Szene mehr Konsens. Mit dem Musicboard gibt es z.B. eine Förderstelle, die dies in ihre Kriterien aufgenommen hat. Das empfehle ich Wien auch – denn die Menschen, die die Kunst produzieren oder sehen wollen, gibt es auch da zur Genüge, es gehört nur mehr und radikaler gefördert, geäußert und zusammengehalten.
In Berlin findet schon viel Musik statt. Was fehlt der Stadt?
Gute Frage, ich bin gefühlt erst fünf Minuten hier und freue mich jetzt erstmal viele alte und neue Kolleg*innen zu treffen. Es tut sich viel und mir scheint, es gibt in der Musiklandschaft mehr kuratorische Perspektiven (mehr Festivals und Veranstalter*innen, aber auch andere Formate wie Radio oder Ausstellungen) als noch vor einigen Jahren.
Genau wie in Wien ist auch in Berlin Raummangel ein Problem, das beruflich (Proberäume, Clubs) sowie privat auf die Szene einwirkt. Ich hoffe, die Volksbühne kann hier als Produktionsort positiv wirken und Verbündete von Initiativen gegen die Wohnungskrise sein. Schließlich war eine günstige Infrastruktur auch der Grund, warum so viele Künstler*innen überhaupt erst hergekommen sind und der Boden, auf dem so eine dichte, diverse Musikszene entstehen konnte. Ich finde es wichtig, sich nach innen mit Strukturen, Fair Pay usw. zu beschäftigen. Leistbares Leben und Wohnen ist aber ein Problem für die ganze Stadt, das ein Theater alleine nicht lösen kann. Immobilienfirmen bestimmen Marktpreise, zentralisieren Kapital, verstärken vom System sowieso schon gegebene Klassenunterschiede und verlassen sich darauf, dass wir uns weiter über diese zerstreiten. Mir persönlich reicht’s: Weg mit einer ÖVP und allen anderen neoliberalen Asozialen.
Was liebst du an Berlin und was vermisst du – jetzt schon – an Wien?
Mir fehlt ein Tschocherl (eine Art gemütliche Bar), ein Ort, wo Menschen interessen- und altersübergreifend zusammenkommen. Mit 2€-Spritzer, Käsetoast, Orange-Weinen, Musik und so. Vielleicht hab’ ich so einen Ort hier auch Corona-bedingt noch nicht entdeckt, und vielleicht machen wir sowas dann in der neuen/ alten Volksbühnen-Spielstätte Prater einfach selber auf. Einige langjährige Freund*innen werden mir dann dort trotzdem abgehen – Wien fehlen dafür definitiv die Spätis.