Lange//Berweck//Lorenz (Foto: Heroines of Sound)
Seit 2014 präsentierte das Festival Heroines of Sound sowohl in Berlin als auch in Aarhaus, Den Haag und Istanbul über 150 Künstler*innen aus 24 verschiedenen Ländern. Mit einem diversen Line-Up möchte das Festival nicht nur die häufig vergessene und unterschätzte Qualität und Vielfalt weiblicher Künstlerinnen im Bereich elektronischer Musik sichtbar machen, sondern auch den Anteil der weiblichen Künstlerinnen innerhalb des Musikbetriebs langfristig stärken. Über den eigentlichen Festivalbetrieb hinaus ist das Format mit einer Vielzahl von Akteur*innen vernetzt, wie beispielsweise dem international aktiven Portal female:pressure, der Kunstuniverstät Graz, dem IMA Institut für Medienarchäologie, der Musikhochschule Freiburg und Ableton Loop.
GROOVE-Autorin Franzi Nistler hat mit Bettina Wackernagel, künstlerische Leiterin des Heroines of Sound, über das weite Spektrum der elektronischen Musik sowie die Stärkung von Frauen gesprochen und Fragen zu den einzelnen Programmpunkten gestellt. Welche Besonderheiten gibt es in diesem Jahr? Was hat es mit dem Theremin auf sich und wie wirkt das Festival der männlich dominierten elektronischen Musikszene entgegen?
GROOVE: Welche feministischen Perspektiven haben sich seit dem letzten Heroines of Sound ergeben bzw. welche gesellschaftlichen Bewegungen habt ihr beobachtet?
Im Hinblick auf die Heroines of Sound glaube ich, dass das Publikum bereits offener und viel weiter ist, als viele es wahrhaben wollen. Es wird auch öffentlich viel mehr darüber geredet, dass Anerkennung und Chancen auch im Kunstbetrieb des 21. Jahrhunderts noch ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt sind. Der Anteil von Künstlerinnen im Musikbetrieb liegt aktuell bei zehn Prozent. Hinzu kommt gerade in Deutschland ein enormer Gender-Pay-Gap. Internationale Festivals sind da viel weiter. Daher ist gut und wichtig, dass prominente Künstlerinnen, wie etwa kürzlich Sophie Hunger, ihre Stimme erheben. Es braucht viele für einen Wandel, und es braucht flankierende politische Vorgaben, um Gender-Equality zu erreichen. Eine klare Quote für alle öffentlich geförderten Musik-und Kulturveranstaltungen ist unabdingbar – und auch machbar. Katja Lucker und das Berliner Musicboard haben das bereits umgesetzt.
Wie kommt die Auswahl eurer Programmpunkte und Acts zustande?
Wir denken generationsübergreifend, international und divers. Herausragende frühe Werke und Künstler*innen sowie zukunftsweisende Positionen von jüngeren Künstler*innen sollen in Dialog gebracht werden. Nach diesen Gesichtspunkten stellen wir das Programm zusammen – übrigens mit immer wechselnden Gastkurator*innen im Team, um auch hier einen vielfältigen Blick zu behalten.
Was erwartet die Festivalbesucher*innen bei dem Programmpunkt „Ideas and perspectives of a new Feminist Sonic Materialism in the context of field recording art, soundscape composition, and acoustic ecology” sowie dem Workshop „Grundlagen der elektronischen Musik – Eine Einführung”?
In verschiedener Hinsicht haben die neuen Möglichkeiten des Mikrofons die Vorstellung von Musik verändert: Es kommt zu einer Erweiterung des musikalischen Materials, weil jetzt alles, was klingt, aufgenommen und zu Musik werden kann. Zugleich entstehen aber auch vorher undenkbare Möglichkeiten, unterschiedlichste Klangwelten, also etwa die des urbanen Alltags oder der Natur, zu erkunden und zu dokumentieren. Zu den musikalischen Strömungen, die sich diesen Themen widmen, gehören die Akustische Ökologie, Fieldrecording Art und Soundscape-Kompositionen. Auf dem Panel diskutieren Åsa Stjerna, Salomé Voegelin und Marta Zapparoli über ihre Erfahrungen mit diesen Themen und Fragestellungen sowie insbesondere über Perspektiven des New Feminist Sonic Materialism.
Welche Bedeutung hat das Theremin für die Heroines of Sound und wie seid ihr auf dieses Instrument gekommen?
Das Theremin ist das früheste elektronische Instrument, einfach wahnsinnig faszinierend, hat sich aber nie wirklich durchgesetzt. Die litauische Thereministin Clara Rockmore brachte in den 1920er Jahren das Theremin und damit elektronische Musik in die berühmten Konzerthallen wie etwa die New Yorker Philharmonie, wo elektronische Musik noch kaum eine Rolle spielte. Eine echte Pionierleistung. Berührungslos manipulierbar, ohne Referenzmarkierungen und ohne Anleitung ist es schwer zu zähmen und hat dennoch eine Vielzahl von nicht-akademischen Spiel- und Kompositionstechniken inspiriert. Das finden wir spannend. Beim diesjährigen Festival bieten wir Theremin-Workshops mit Dorit Chrysler an, Mitbegründerin der NYTS – New York Theremin Society – und die Gründerin der Kid Cool Theremin School, da kann sich jeder selbst von dem Faszinosum überzeugen.
Auf welche Besonderheiten darf man sich in diesem Jahr freuen?
Sicher auf die Uraufführungen von Daniela Fantechi, Midori Hirano, Georgia Koumará und Ying Wang und die Europapremieren neuer Stücke der US-amerikanischen Elektronik-Pionierin Laurie Spiegel und der mexikanischen Komponistin Georgina Derbez. Im Rahmen unserer Hommage an Sound-Art-Ikone Annea Lockwood zeigen wir die Deutschlandpremiere des Filmportraits: Annea Lockwood / A Film About Listening (Regie: Sam Green). Auf der Leinwand auch Lisa Rovners von den Kritiken hochgelobte Dokumentation Sisters With Transistors. Zum Festivalfinale gibt es Beat-basierten Elektrojazz von The LIZ und neue Sets und Werke im Feld Avantgarde–Pop beispielsweise von Mary Ocher. Dazu unter anderem Workshops, Panels und unsere Soundbar.
Was hat euch in den letzten Jahren und während Corona in Bezug aufs Festival inspiriert?
Inspirierend war auf jeden Fall, dass wir das Format der kurzen Künstlerpodcasts für uns entdeckt haben. Etwas, das wir bei der Online-Ausgabe im letzten Jahr gemacht haben und auf jeden Fall beibehalten wollen. Und dann war es natürlich eine tolle Chance, die Heroines of Sound durch die Kooperation mit der Clubcommission und Arte Concert als Langformat für ein Publikum sichtbar zu machen, das vielleicht sonst erst mal nicht zu unseren Konzerten kommen würde.
Groove präsentiert: Heroines of Sound
1. bis 4. Juli 2021
Tickets: 4 Day Festivalpass 60/40 €
Line-Up: Ruth Anderson, Malin Bång, Johanna Beyer, Alexandra Cárdenas, Dorit Chrysler, Daniela Fantechi, Ensemble Garage, Midori Hirano, Cat Hope, Neo Hülcker, Ensemble KNM Berlin, Georgia Koumará, Anda Kryeziu, Lin Liao, The Liz, Annea Lockwood, Giulia Lorusso, Lange//Berweck//Lorenz, Svetlana Maraš, Laura Mello, Johann Merrich, Leah Muir, Brigitta Muntendorf, Mayke Nas, Sarah Nemtsov, Mary Ocher, Georgina Derbez Roque, Marta Sniady, Laurie Spiegel, Åsa Stjerna, Ying Wang
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