Ross From Friends (Foto: Fabrice Bourgelle)
Ross From Friends beschreibt sich selbst als ganz normaler Typ in den Zwanzigern, der versucht, unter dem Namen eines der beliebtesten Sitcom-Charaktere aller Zeiten elektronische Musik zu machen. Und hat während seiner Laufbahn nicht aufgehört, seinen Sound auf eigene Art und Weise weiterzuentwickeln. Seine durch klassischen House inspirierten Produktionen heben sich bis heute durch eine eindrucksvolle Tiefe und Emotionalität von anderer, funktioneller Clubmusik ab. Im Jahre 2016 veröffentlichte er mit „Talk To Me You’ll Understand” eine seiner erfolgreichsten Singles mit über acht Millionen Views auf YouTube – und prägte nebenbei das Mode-Genre Lo-Fi-House mit.
Seitdem tritt er mit einer Drei-Mann-Live-Show in Clubs auf der ganzen Welt auf, während er seine Musik über Lones Magicwire, Lobster Theremin, Brainfeeder und vor kurzem auch sein neues eigenes Label Scarlet Tiger veröffentlichte – und sich dabei etwas mehr von seinem ursprünglichen Lo-Fi-Sound entfernte.
Felix Clary Weatherall ist in Colchester, Großbritannien geboren und aufgewachsen. Durch seinen Vater, der eine Vorliebe für 80er-Hi-NRG und Italo-Disco pflegt und als lokaler sowie im Van reisender DJ auflegte, entdeckte Felix schon früh eine Verbindung zur Musik. Er teilte seine Zeit zwischen dem Musizieren in Bands und der Soloarbeit auf und operierte mit einer Reihe verschiedener Pseudonyme, bevor er 2012 zu Ross From Friends wurde. Für sein Mein-Plattenschrank-Feature hat er Alben ausgesucht, die seiner Kindheit Rechnung tragen, seine Liebe zum Hip Hop erklären und hin und wieder ins Leftfield ausscheren – größtenteils mit einer distinkt britischen Note.
Erasure – Chorus (1991)
Ross From Friends: Das erste Album in meiner Liste ist Chorus von der 80er- und 90er-Pop-Band Erasure. Das war die allererste Platte, die ich besaß, und ein Geschenk meiner Mutter damals, das sie für mich gekauft hat, als ich noch ein Kind war. Ich habe die Platte geliebt und liebe sie immer noch sehr. Ich hatte noch nicht einmal einen eigenen Plattenspieler zu der Zeit. Andy Bell hat das Album produziert und diese großartige digitale Synth-Welt mit Disco-Feeling erschaffen. Trotzdem hat das Album diese traurigen Momente. Es ist relativ unprätentiös und einfach zu hören.
GROOVE: Wie alt warst du, als du das Album geschenkt bekommen hast?
Ich glaube, ich war elf oder zwölf. Mein Vater hatte zu der Zeit diesen MP3-Player, auf dem ich das Album rauf und runter hörte. Vier bis fünf Jahre später bekam ich dann auch die Platte.
Hörst du das Album heute noch?
Ich höre es tatsächlich immer noch ab und zu. Ich würde es wahrscheinlich nie als DJ spielen, obwohl es Momente gibt, wo das durchaus funktionieren könnte.
Plone – For Beginner Piano (1999)
Apropos unprätentiös: For Beginner Piano ist ein pures Electronic-Album, das Ende der 90er auf Warp Records erschien. Es klingt mit seinen vielen Major-Scales und der glücklichen Stimmung ähnlich wie Zirkus- oder Kirmesmusik. Und weil es so positiv ist, ist es nahezu unheimlich und beängstigend, wie glücklich es sich anhört. Der Sound ist vergleichbar mit dem von singenden Kindern in einem Horrorfilm. Es ist ziemlich interessant, wie etwas so Friedvolles und Schönes wie Kindergesang so furchteinflößend sein kann. Das Album trägt dieses Gefühl in sich. Zum Beispiel gibt es eine Stelle, wo ein Ballon platzt, oder man hört das Rasseln von Kinderspielzeugen. All diese Elemente geben dem Album ihre kindliche und gleichzeitig gruselige Atmosphäre, die aber in diese Warp-Records-Ära zu dieser Zeit passt. Großartige Platte, die ich in letzter Zeit wirklich oft höre.
Wie hast du sie für dich entdeckt?
Mein Freund Jed, der bei der Ross-From-Friends-Liveshow dabei ist, hat sie mir mal gezeigt. Danach musste ich mir sie sofort kaufen, weil ich mir das Album so oft auf Spotify angehört habe.
Kate Bush – Hounds Of Love (1985)
Dieses Album von Kate Bush ist eines meiner absoluten Favoriten. Sie ist einfach ein Genie und meiner Meinung nach unterbewertet. Ich weiß, sie ist ein großer Popstar und war big in der 80ern und 90ern. Aber für mich hat sie den gleichen Einfluss, die gleiche Kreativität wie beispielsweise David Bowie. Ihre Gesangstechnik im Studio, aber auch wie sie ihre Texte schreibt, wie sie ihre Alben strukturiert und aufbaut, das ist einfach einzigartig. Ich habe so etwas noch nie zuvor gehört. Dieses Album, das im Kern nach Hip Hop klingt, hat ein wundervolles Narrativ. Wie sie einschläft und ab der zweiten Hälfte wieder aufwacht, sich aber nicht sicher ist, ob sie sich in einem Traum befindet oder in der Realität. Das zieht sich durch das gesamte Album und kreiert diese Traum-ähnlichen Soundscapes mit tollen Synth-Melodien – einfach brillant. Das ist ebenfalls ein Album, das ich mir wirklich sehr oft anhöre. Ich hatte ihre Singles schon, als ich etwa 15 oder 16 Jahre alt war. Vier Jahre später habe ich mir dann Hounds Of Love in voller Länge angehört und verstanden, um was es dabei wirklich geht. Ein fantastisches Musikstück von Anfang bis Ende.
Vor einigen Jahren hatte die britische DJ und Produzentin Paula Temple auch ein Album von Kate Bush bei unserem Feature in ihrer Auswahl. Never Forever von 1980.
Das ist cool. Ein weiteres fantastisches Album. Es war nicht einfach, mich für eines zu entscheiden, aber ich liebe diesen 80s-Vibe auf Hounds Of Love mit dem typisch abgetrennten Hall und das Herumgekrache.
Madvillain – Madvillainy (2004)
Madvillain besteht aus MF Doom und Madlib, die für dieses Album kollaborierten, das im Jahr 2004 veröffentlicht wurde. Madvillainy ist einfach meine absolute Nummer eins. Ich habe immer eine beständige Top 5 in meinem Kopf, die sich über die Jahre kaum verändert, aber Madvillainy und Hounds Of Love sind immer dabei. Es ist das perfekte Beispiel für Madlibs geniales Sampling und die unglaublichsten Lyrics von MF Doom. Wie einfach jeder Track und die Übergänge zwischen ihnen so kurz zusammengeschnitten sind für etwas, das 45 Minuten lang ist. Es skizziert diese gesamte Welt so realistisch, und man weiß sofort, wer der Charakter Doom ist und in was für einer Welt er lebt. Für mich ist das ein perfektes Album. Aber auch für meine eigenen Produktionen denke ich daran. Ich werde ständig davon inspiriert, und selbst nach tausenden Durchgängen fällt mir darin etwas Neues auf. Das sind oft winzig kleine Details, die Madlib in seine Produktionen einbaut, bei denen ich mir denke: Wie kommt man überhaupt auf die Idee, das zu tun? Das endet damit, dass ich diese Ideen manchmal kopiere.
In Bezug auf meine eigenen Produktionen ist das wohl das einflussreichste Album für mich. Ich war sehr auf dieser Hip-Hop-Schiene, als ich elf oder zwölf Jahre alt war. Das war alles, was ich zu dieser Zeit gehört habe. Das wechselte dann später in die Richtung Indie und Rockmusik. Ich erinnere mich an diesen Trip durch Amerika, da war ich Anfang 20, dabei habe ich ständig nur das Album gehört und in- und auswendig gelernt. Im Moment höre ich es bestimmt jede Woche und bekomme immer noch manchmal Gänsehaut. Ich versuche es immer von Anfang bis Ende zu hören, um das gesamte Bild zu sehen, wie bei einem Film.
Du verbindest mit dem Album also auch eine bestimmte Zeit, an die du gern zurück denkst?
Es ist auf gewisse Art und Weise nostalgisch. Insbesondere, weil ich es auch viel als Kind hörte und nie so verstanden habe wie jetzt. Aber es erinnert mich natürlich an diese Zeit, und ich erwische mich öfter, wie ich zu mir selbst sage: Wow, das ist wirklich verrückt.
In welchem Alter hast du angefangen, selbst Musik zu machen?
Es hat alles damit angefangen, mit Samples in GarageBand zu experimentieren. Ich glaube, ich war damals elf Jahre alt. Mein Vater hatte diesen uralten iMac, auf dem GarageBand installiert war. Seitdem habe ich nie wirklich aufgehört.
Mount Kimbie – Crooks & Lovers (2010)
Das Album hat mich letztendlich auf seriöse Art und Weise zur elektronischen Musik gebracht. Ich habe nie zuvor Musik wie diese entdeckt. Damals saß ich spät in der Nacht vor dem Fernseher, und auf Channel 4 tauchten auf einmal Mount Kimbie auf. Ich dachte mir: Das ist verrückt. Einer hatte eine Gitarre, jemand sang, sie hatten kein Drum-Kit, sondern benutzten Tabletops. Danach sagte ich zu mir selbst: Das ist die einzige Musik, die ich von jetzt an hören werde. Das war auch der Grund, warum ich mir dieses Album gekauft habe – und es ist immer noch so gut! Viele Leute, die damals Dubstep hörten, waren begeistert von dem, was Mount Kimbie machten. Zu dem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass ich nur noch elektronische Musik produzieren will, und habe das Thema seitdem sehr ernst genommen.
Talvin Singh – OK (1998)
Das Album habe ich erst vor Kurzem entdeckt, und es spiegelt sehr gut meinen aktuellen Musikgeschmack wider. Talvin Singh ist ein super Produzent. Ich glaube, er hat in den 90ern mit verschiedenen Bands zusammengearbeitet, bis er begann, seine eigene Musik zu machen. Ich war direkt nach dem ersten Track auf OK begeistert. Der ist etwa elf bis zwölf Minuten lang, mit indischen Musikinstrumenten wie Tablas und Sitars im Mix. Im Zusammenspiel mit den Synthesizern ergibt das einen wahnsinnig gut produzierten, langen Track, der mich von Anfang bis Ende abgeholt hat. Es ist Wahnsinn, dass dieses Album in den 90ern produziert wurde. Es könnte genauso gut von heute sein. Ich kann mich nicht genau daran erinnern wo, aber ich habe das Album im Internet entdeckt und musste es mir sofort kaufen. Diese langen Tracks, die nie langweilig werden. Da passiert so viel über die gesamte Länge.
Aufgrund der Pandemie rücken diese langen, IDM-lastigen Ambient-Stücke wieder mehr in den Vordergrund. Grund dafür waren auch die zwei neuen Alben von Autechre.
Es gibt durchaus Parallelen zu Autechre wie die schnellen Drums und die glitchigen Sounds. Viel im IDM-Bereich beruht ja ohnehin auf den Veröffentlichungen von Autechre, Aphex Twin und Konsorten.
Hat sich die Art und Weise, wie du die Alben konsumierst über die Zeit geändert?
Auf Jeden Fall. Ich bin sehr kritisch, seitdem ich meine eigene Musik mache. Besonders bei elektronischer Musik analysiere ich die Tracks ständig. Das hat natürlich auch eine negative Seite an sich. Jetzt, wo ich viel Dance Music produziere, fällt es mir schwer mich für andere Produktionen in dem Genre zu begeistern. Vor allem, wenn etwas sehr technisch produziert wurde.
Was hat sich sich aus musikalischer Sicht für dich verändert seit der Pandemie?
Ich habe natürlich viel mehr Zeit als sonst, die ich im Studio verbringen kann. Im Endeffekt nutze ich das damit, mir selbst Sachen beizubringen. Das muss nicht unbedingt primär was mit Musik zu tun haben, aber daraus kann sich durchaus ein Einfluss entwickeln. Ich war wirklich sehr produktiv im Studio im letzten Jahr.