Christophe Salin – It’s Probably Me (Salin Records)

Damals, 1999, fand Christophe Salin seine Liebe zur House Musik. Sie repräsentiert für ihn einen Ort, an dem man ungestört man selbst sein kann. Dabei sind Liebe, Respekt und Gleichheit die treibenden Maxime. Seine neue EP It’s Probably Me ist eine Hommage an dieses liebgewonnene Genre. Im positivsten Sinne gemeint plätschern die vier Tracks vor sich hin und finden ihren Flow in schwungvoller Leichtigkeit. Von den sonst gerne mit jazziger Ambiance getünchten Veröffentlichungen des Lübeckers bleibt nur noch auf dem Titeltrack ein vorerst lethargisches Klavier übrig, das sich nach etwas Überzeugungshilfe der Bassline in Improvisations-ähnliche Ausschweifungen verliert. 

Die 90s-Anleihen vermischt Salin gekonnt mit eigener Detailverliebtheit. Das hat sich gelohnt, denn die EP hüpft locker und leicht daher, auch, wenn mal eine butterweiche Männerstimme davon redet, es nicht immer Allen recht machen zu wollen. Mit genug Nostalgie und eigener Handschrift ist It’s Probably Me die Schmiere, die den Endspurt durch die letzten Wintertage erleichtert. Louisa Neitz  

DJ Godfather – Up All Night (Databass) 

Mit „Work It!” war Brian Jeffries alias DJ Godfather 1996 ein Early Adopter von Ghettotech, mit seinen Labels Twilight 76 und Databass gab er dem Genre eine feste Heimat. Auf letzterem veröffentlichte Jeffries Ende vergangenen Jahres mit Electro Beats For Freaks ein Album, das mit seinen 44 ineinander gemixten Tracks den Charakter eines DJ-Sets hat. Die Full-Length-Versionen der Tunes, angereichert mit Alternate Mixes und Instrumentals, erscheinen erst jetzt, verteilt auf eine Reihe von EPs, Up All Night ist die dritte Auskopplung dieser Art. Während der Titeltrack mit Vocals von Christina Chriss im Housetempo daherkommt, rattert die Footwork-Bombe „Make That Ass Go BOOM“, deren sich auf eben diese Zeile beschränkenden Lyrics Goodmoney G100 intoniert, mit 145 BPM über die Ghettotech-Gleise. Originellerweise sind noch zwei Weichenteile beigefügt, die den Übergang zu 125 BPM zulassen – je nachdem vor oder nach der Nummer. „D3T-313“ punktet mit einem vornübergebeugt durch nächtliche Straßenfluchten hastenden, nervösen Detroit-Electro-Groove unter einem von fluktuierenden Synthesizerflächen durchzogenen Firmament. Kurzum: Tracks, für die das Attribut oldschool keine Beleidigung darstellen dürfte. Jetzt müsste es nur noch Clubs geben, in denen man sowas wieder auflegen kann. Harry Schmidt 

Snippets dieser Platte findet ihr in den einschlägigen Shops. 

Dogpatrol – SNKRX06 (Sneaker Social Club) 

From: Hochburg to: Hochburg, das muss doch gutgehen. Marcell Puch aka Dogpatrol baut Tracks in Mannheim, jener Stadt in Bummbumm-Deutschland, die eine Geschichte des Tchk-Tchk-Bum-Tchka-Bum geprägt hat und lässt sie von Sneaker Social Club in Bristol veröffentlichen, jener Metropole des gebrochenen Beats. Und auch auf seinem zweiten Release für das Label bleibt Dogpatrol eigentümlich im besten Sinne. Über einen leicht gehetzten Breakbeat treibt „Shit Hits The Fan“ swingende Drums, Sechziger-Jahre-Werbemusik und verpeilte Sprachfetzen. „Temperature Is Rising“ arrangiert Lindwurmbässe und Flötensynthies zu knackendem House mit Kellerclubfeuchte. „Small Apple Flex“ bleibt fokussiert auf einen schillernden, rotierenden Keyboard-Strahl, während „Sepia Story“ eher so etwas ist wie des DJ’s Steinbruch, mit wehenden Streichern, stehenden Snares und anderem komischen Zeugs. Tolle, verspielte Aufnahmen. Christoph Braun

Don Williams – Blithe Spirit (Childhood)

Dass Techno- und House-Stücke nicht mit Beats, sondern mit Akkorden oder Flächen beginnen, ist nicht mehr die Ausnahme – die viele DJs zu Vinyl-only-Zeiten gehasst haben -, sondern seit einer Weile eine immer öfter gewählte Option, die dank vereinfachter Auflegetechnik die Kreativität beim Mixen bereichert hat. Denn, Hand auf’s Herz, Bumm-Bumm-Bumm am Anfang von 98 Prozent aller Stücke war kein ästhetik-geschichtlicher Höhepunkt. Dass aber das Einsetzen der Bassdrum satte fünf Minuten dauert, ist auch heute noch sehr ungewöhnlich. In „Caress“, dem Opener dieser EP, liegt genau dieser Fall aber vor, und die lange Wartezeit lohnt sich in diesem an einige Tracks aus dem Prescription-Records-Kosmos erinnernden Stück. Ähnlich wie Chez Damier und seine Verbündeten kreiert Don Williams ohne allzu viele Elemente eine geradezu andächtige Stimmung, die einen bei entsprechend vorliegender geschmacklicher Neigung nach spätestens drei Minuten bannt und die Spannung auf die erlösende Kick immer mehr aufbaut. Deren Einsatz wird allseits zu großer Freude führen, dafür braucht es weder hellseherische Kräfte noch einen Dancefloor, denn der Track funktioniert auch auf heimischem Parkett oder unter Kopfhörern beim Parkrundgang. Nach dieser trippig-energetischen Andacht holt der Spacetime Warp Mix von „New Breed“ alle, die gerade kurz vor’m inneren Abheben standen, auf den (Tanz-)Boden der Wirklichkeit zurück. Das an Slam gemahnende Stück bewegt sich im unteren 130 BPM-Bereich und macht mit spacigen Bleeps und gut eingesetzten Flächen einen weiteren Sehnsuchtsraum auf. Aber auch diese Techno-Seligkeit wird vom folgenden Track wieder rücksichtslos ausgehebelt – das Original von „New Breed“ entpuppt sich überraschend als nervöser Dubstep mit zischelnden Hihats und sympathisch-fies peitschender Snare. Fehlt nur noch – was? Pop? Dub? Leftfield? Nein, das finale „Workout Drums B“ greift wieder das Tempo des Remixes auf und galoppiert ohne Firlefanz über knappe viereinhalb Minuten als quasi Bonusbeat-Präsent zur EP-Ziellinie. Klingt, als hätte Thomas Wendel, der hinter dem Alias Don Williams steckt, viel Spaß beim Produzieren dieser EP gehabt, und mit „Caress“ ist ihm dabei ein Track mit langfristigem Clubhitpotential gelungen. Mathias Schaffhäuser

Tristan Arp – Oddkin (Human Pitch)

Der Begriff Oddkin stammt aus dem Werk von Donna Haraway, die ja vor allem durch ihr Cyborg-Manifesto einem breiten Publikum bekannt und mit der Zeit zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen wurde. Die Wortzusammensetzung von „Odd“ und „kin“ verbindet Unzusammenhängendes, bezeichnet die Erschaffung neue Zusammenhänge und Möglichkeiten, in einer zerstörten Welt mit der Aufgabe, zusammenzuleben, umzugehen. Tristan Arp schnappte sich diesen Begriff und konzipierte eine EP, auf welcher er es sich zur Aufgabe macht, Lebensrealitäten nicht-menschlicher Lebensformen jeglicher Art musikalisch zum Leben zu erwecken. Mit „Seed“ beginnt die kleine Reise: eine quirky Nummer, recht perkussiv, vom Sound her metallisch elektronisch. Spacig, aber nicht gänzlich unmenschlich. Zumindest Cyborg-Vocals als kleine Häppchen bietet es. Zu „Unfurling“ möchten sich nicht nur frische Blumen aus ihren Knospen entfalten, man sehnt sich auch nach dem fast vergessenen Rausch des Dancefloors. Bald, wenn wir alle mit dem begehrten Impfstoff enhancete Humanoiden sind. Im Titeltrack „Oddkin“ verwurstet er allerhand, wie die lateinamerikanische Son-Clave und einer fast schon ikonischen Melodie auf Glas gespielt – selbst das ist ja heutzutage programmiert. Schöner Sound und schönes von Multimedia-Artist Arp gestaltetes Artwork. Lutz Vössing

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