Autechre: Sean Booth links, Rob Brown rechts (Foto: Bafic)
Für Autechre verlief 2020 positiv. Ein Satz, der im Krisenjahr nicht zu vielen Künstler*innen passt. Mit SIGN und PLUS veröffentlichten Sean Booth und Rob Brown zwei Alben auf ihrem Haus- und Hoflabel Warp. Besonders das Erste fand sich in zahlreichen Jahresbestenlisten wieder und sorgte mit seinen zeitlos schönen Melodien für einen musikalischen Höhepunkt des letzten Jahres. Nach den ausufernden elseq– und NTS-Teilen kehrten die introvertierten Veteranen außerdem zum konventionellen Albumformat zurück, mit dem sie sich besondern in Neunzigern unwiderruflich in die Geschichte elektronischer Musik einschrieben.
Anfang Oktober verabredeten sich die beiden Briten mit den Groove-Redakteuren Maximilian Fritz und Alexis Waltz zum ausgiebigen Videochat. So ausgiebig, dass das exklusive Deutschland-Interview zum Zweiteiler wurde. Der erste Teil beschäftigt sich hauptsächlich mit der Gegenwart. Wie entstand SIGN? Wie gehen Autechre mit Livestreams und der Hysterie, die um virtuelle Gigs entstanden ist, um? Und wieso kommt ihnen die Krise als kulturelles Moment auf künstlerischer Ebene sogar entgegen?
Sean Booth: Wo seid ihr beide denn momentan?
GROOVE: Wir sind beide in Berlin, ich (Max, d.Red.) bin allerdings in Quarantäne, weil ich ein Festival in Österreich besucht habe. Das ist derzeit Risikogebiet, deshalb warte ich jetzt auf meinen Test.
SB: Wie lief das denn ab? Wir interessieren uns sehr für die Zukunft von Festivals, weil keiner eine Ahnung zu haben scheint, wie die in der nächsten Zeit funktionieren sollen.
Man hatte fest zugewiesene Sitzplätze mit ausreichend Abstand, das Konzept hat ziemlich gut funktioniert. Hoffe ich jetzt zumindest.
SB: War das drinnen?
Ja, allerdings war die Decke ziemlich hoch und es gab zwei Ein- und Ausgänge.
SB: Interessant. Ich bin gespannt, ob die Zahlen deshalb hochgehen werden, ich will da echt am Ball bleiben. Wir sind da in ständiger Diskussion mit unserem Booker, ob wir sowas auch mal machen sollen. Aber soweit ich weiß, ist die Infektionsgefahr drinnen weitaus höher. Es kann also sein, dass Promoter dumm oder absichtlich fahrlässig handeln. Man muss schauen, was passiert. Ich will natürlich nicht, dass sich in zehn Jahren jeder zurückerinnert und sagt: „Das waren übrigens die Musiker, die so gierig waren, dass sie die Gesundheit der Konzertbesucher*innen aufs Spiel gesetzt haben.” Das Risiko ist immer noch hoch!
Vermisst ihr es sehr, live zu spielen?
SB: Klar. Allerdings hat uns die Pandemie bisher gar nicht so sehr getroffen, weil wir die Tour erst zum Release des neuen Albums geplant hatten. Jetzt sitzen auf einem fertigen Live-Set, das wir nicht spielen können. Unsere Routine hat sich aber nicht sonderlich verändert, wir bleiben ja sowieso die ganze Zeit zuhause und machen Musik.
Rob Brown: Unser Ablauf blieb tatsächlich gleich. Wir hatten Pläne für Gigs, aber, na ja. Wir bekamen zum Beispiel im März ein Angebot für einen Auftritt in Mailand im November. Die Lombardei wurde dann komplett abgeriegelt, und wir haben von den Leuten einen Monat lang nichts gehört. Beim nächsten Kontakt waren sie schon weitaus weniger zuversichtlich. Dann hat sich das Angebot in Luft aufgelöst und wurde auf nächstes Jahr verschoben. Das war unser einziger geplatzter Gig, wenn man so will. Weil wir ja ohnehin erst im Winter oder im Frühling 2021 loslegen wollten.
„Jeder auf der Welt würde genau dasselbe Set hören, das konterkariert das Konzept eines Konzerts.”
Rob Brown über gebührenpflichtige Konzerte im Livestream
Und wie soll das in Zukunft ablaufen?
RB: Es gibt jetzt diese komische Warteschlangen-Situation. Vielen Leuten wurden die Auftritte aus diesem Jahr für nächstes Jahr zugesagt, teilweise gleich der erste frei verfügbare Slot. Deswegen gibt’s gar nicht so viel Platz in diesem ganzen Kreislauf nächstes Jahr.
SB: Das Publikum wird kleiner sein. Dazu kommen die ganzen Festivals, die ihr Line-Up einfach komplett auf 2021 verfrachtet haben. Es gibt eigentlich für niemanden ausreichend Platz, um Bookings zu bekommen. Es sieht ziemlich ungemütlich aus. Aber, wie gesagt, uns betrifft das zum Glück nicht so sehr. Wir sind in der komfortablen Position, bekannt genug zu sein, um ein paar Platten zu verkaufen und online genug Aufmerksamkeit für andere Einnahmequellen zu bekommen. Es gibt Künstler, die weitaus härter betroffen sind. Am schlimmsten hat es eh die Promoter, die Organisatoren und Stagehands erwischt.
Habt ihr euch mal überlegt, was Digitales zu machen? Einen Stream?
SB: Das wäre schon möglich. Ich glaube nur nicht, dass das so gut funktioniert. Die Streaming-Welt ist ja durch Abo-Modelle schon ganz gut etabliert. Klar, wir haben einen Twitch-Account mit Followern, wir müssten das nur intensivieren. Ich finde aber die Idee, Leuten Tickets für einen Online-Gig zu verkaufen, etwas seltsam. Die sind das noch gar nicht gewohnt.
Schaut ihr euch selbst Streams an?
SB: Eher nicht so. Ich schaue irgendwelches Streaming, aber keine konkreten Streams. Aber wenn du die meinst, die wie eine Clubnacht aufgezogen sind, wo ein Typ allein im Club steht und auflegt – davon waren’s höchsten fünf. Du brauchst ein Publikum, das mit dem DJ interagiert, damit DJing überhaupt Sinn macht. Das ist eine kollaborative Tätigkeit. Streaming eignet sich besser, um Sachen vom eigenen Album zu spielen, ohne von diesem Vorhaben irgendwie abzuweichen. Das funktioniert schon besser. Für Künstler wie uns, die stärker auf Interaktion setzen, ist das schwerer.
RB: Bei uns würde das wahrscheinlich grandios scheitern. Wir bedienen einen ganz anderen Stil, sind immersiv, inklusiv, binden die Leute ein. Jeder ist zur selben Zeit da, die Leute befinden sich im Moment. Das wäre paradox: Jeder auf der Welt würde genau dasselbe Set hören, das konterkariert das Konzept eines Konzerts. Eigentlich entwickeln sich Sets ja über Reisen hinweg.
SB: Es geht auch schlicht um die fehlende Logistik: Einen Online-Gig spielst du einmal, dann haben ihn alle gesehen. Das sind keine 30 Auftritte. Wenn Leute denken, dass sie online ganz normal weiter auftreten können, täuschen sie sich gewaltig. So funktioniert das einfach nicht.
„Ich weiß nicht, was ihr über Boiler Room denkt, aber ich find’s total sinnlos und komisch. Du schaust ein paar Hipstern zu, die nicht wirklich Spaß an der Musik haben.”
Sean Booth
Wie würdet ihr die Interaktion mit dem Publikum beschreiben, wenn ihr live spielt?
SB: Sie ist subtil, weil es dunkel ist. Aber wir hören, was passiert. Und wir bekommen dadurch ein Gefühl dafür, ob dem Publikum gefällt, was wir tun, wann wir Übergänge machen, was ändern sollten und so weiter. Es ist ein wenig wie Auflegen, nur dass wir mehr anstellen können.
RB: Und es fällt uns leicht, den Raum zu lesen. Es sind hunderte Menschen dort, und wir machen das schon ewig. Selbst wenn was schiefgeht, können wir reibungslos weiterarbeiten. Oder den Zwischenfall sogar nutzen, um einen einzigartigen Moment zu erschaffen. Jeder kam plötzlich auf Streams, wir haben uns weiter darauf konzentriert, so tief wie möglich zu graben und unser Ding zu machen.
SB: Außerdem haben wir das schon vor allen anderen gemacht.
RB: Das stimmt. Deswegen ist es für uns auch so offensichtlich.
SB: Noch in der Sekunde, in der der Lockdown begann, habe ich angefangen zu streamen. DJ-Sets, wochenlang. Ich will dafür auch kein Geld, es macht einfach Spaß. Das Geld habe ich auch nicht dringend nötig, deswegen fände ich das seltsam.
Für die Szene sollte es aber schon eine Perspektive geben, um an Geld zu kommen – selbst mit Streams.
SB: Klar, die Modelle gibt es ja auch. Etwa über Twitch, wo du Events veranstalten kannst. Natürlich sollen die Leute Geld verdienen. Wenn ein Techno-DJ dafür allein in einem Raum auflegen muss, dann soll es eben so sein. Und wenn es Leute gibt, die dafür von Zuhause aus einschalten und dort high werden, ist das cool. Der soziale Aspekt fehlt dabei aber offensichtlich. Clubnächte sind soziale Veranstaltungen – noch mehr als Gigs. Eine Band wie wir ist da irgendwo dazwischen. Ich will nicht sagen, dass Leute das nicht machen sollen. Wenn ich eingeschaltet habe, war’s für mich nur immer außerordentlich langweilig.
RB: Es ist ein bisschen wie das Boiler-Room-Modell.
SB: Das habe ich auch nie wirklich geschaut.
RB: Der einzige, den ich geschaut habe, war der mit Orbital, weil ich wissen wollte, was die machen. Die Idee ist eine ähnliche. Ein paar Typen an den Decks, ein paar Leute lungern im Hintergrund rum. Nicht so spannend.
SB: Ich weiß nicht, was ihr über Boiler Room denkt, aber ich find’s total sinnlos und komisch. Du schaust ein paar Hipstern zu, die nicht wirklich Spaß an der Musik haben. Wahrscheinlich ist es aber trotzdem noch schlimmer, wenn überhaupt niemand da ist. Ich habe letztens etwas angeschaut, was war das noch? Seht ihr, das ist das Problem an dem ganzen Zeug: Man erinnert sich nicht mal mehr daran, weil nichts Nennenswertes passiert. (Brown lacht) Irgendein Typ, der Techno-Platten spielt. Eigentlich dasselbe, wie sich eine Resident-Advisor-Playlist anzuhören.
RB: Wir würden in einem Twitch-Stream nicht das machen, was wir auf der Bühne tun.
SB: Das ist ein separater, eigenständiger Kanal. Wir würden das wohl mehr anpassen als andere Künstler. Die erwarten oft, dass sie da auftauchen und einen ganz normalen Gig spielen. Streaming ist etwas grundsätzlich Anderes, wo du dementsprechend anders interagierst. Ich sehe das nicht als Ersatz, sondern als weitere Facette. Wir streamen seit den frühen 2000ern, für uns ist das also nichts Ungewöhnliches.
„In den Neunzigern gab es in der Szene so viel Gier, dass sie sehr stark stagniert hat. Wir haben entschieden, dass wir davon kein Teil sein wollten – und damit Gleichgesinnte gefunden, die auf unseren Hauspartys waren.”
Rob Brown
Wie bewertet ihr die letzten Monate als kulturelles Moment? Wie haben sie die Szene beeinflusst?
SB: Das ist sehr offensichtlich. Wie damals, als wir angefangen haben, auf Warp Electronic Listening Music zu machen. Für uns war das kein neuer Kontext, sondern etwas ganz Normales. Du kommst nach dem Club heim, fängst an, dir ein paar Joints zu drehen, und hörst Musik, bis die Drogen nachlassen. Sechs oder sieben Stunden, machst irgendwas am Sonntagnachmittag. Sitzt noch da, bist drauf und hörst dir komisches Zeug an. Für diese Situation haben wir Musik gemacht. Die ist jetzt zur Norm geworden und hat sich ausdifferenziert. Für uns ist das also nichts Schlechtes, sondern Gewohnheit.
Aber die Party davor findet nicht statt, es ist nur noch eine endlose Afterhour.
SB: Nach der Initialzündung der Rave-Szene im UK, 1991, haben wir uns dafür entschieden, Samstagnacht zuhause zu bleiben und LSD zu nehmen, anstatt in den Club zu gehen. Also ist das nichts Komisches für uns.
Corona hat die Welt in den Autechre-Status-Quo von 1991 versetzt.
SB: Ja!
RB: In den Neunzigern gab es in der Szene so viel Gier, dass sie in unseren Augen sehr stark stagniert hat. Wir haben entschieden, dass wir davon kein Teil sein wollten – und damit Gleichgesinnte gefunden, die auf unseren Hauspartys waren. Die großen Locations wurden von großen Firmen übernommen und die unabhängige Szene trocknete aus.
SB: Mitte der Neunziger waren Raves im UK de facto illegal. Es passierten Sachen wie die Posterkampagne über Leah Betts, wo der Tod einer Jugendlichen genutzt wurde, um Energydrinks zu bewerben. Und dann gab es diese Bewegung weg von Partydrogen wie Speed und Ecstasy hin zum exzessiven Saufen und Kokainkonsum. Das fühlte sich für uns wie eine Rückkehr in die Mitte der Achtziger an, wovon wir mit der Rave-Szene von Anfang an weg wollten. Wir hatten das Gefühl, dass unsere Szene in den Neunzigern von Getränkefirmen und deren Mutterkonzernen übernommen wurde. Das Virus ist natürlich eine schlechte Sache, weil viele Leute daran sterben. Von unserer Warte aus wäre es aber seltsam, sich darüber zu beschweren, weil die Landschaft sich zu unseren Gunsten wandelt.
RB: In eine Richtung, der wir eher entsprechen, wenn man so will.
SB: Auch der digitale Sektor profitiert – Software, Medien, alles. Das sind Dinge, die gut für uns sind. Ich will ja, dass sich die Welt vom Einzelhandel und von physischen Medien emanzipiert. Hin zum Digitalen, zu Streams. Das ist eine Schlagrichtung, in die wir sowieso gehen sollten. Natürlich sage ich nicht, dass man nicht in Clubs gehen sollte, weil ich das selbst liebe. Das sollte immer weitergehen und wird immer damit verbunden sein, wie ich mich der Musik nähere. Wir sind da allerdings auch verwöhnt. Als wir aufwuchsen, konnten wir irgendwo auf den Feldern einen Rave starten – diese Tage sind weitestgehend vorbei.
Obwohl es im UK unlängst ja wieder einige gab.
SB: Das ist paradox. Überall wurden plötzlich Raves aus dem Boden gestampft.
Haben die für euch den gleichen Geist wie damals?
SB: Nein. Alleine schon optisch, es geht mehr darum, was man anhat und wie man aussieht.
RB: Es gibt keinen Fokus, alles läuft durcheinander. Das ist nur eine kurzfristige Ausflucht.
SB: Die Rave-Szene war ursprünglich eine punkige Annäherung an Clubkultur. Leute haben sich eher bewusst schlecht angezogen, um auszugehen. Sie hatten Sachen an, die dreckig werden durften. Jetzt versammeln sich da Leute, die in diesem firmengesteuerten Clubland großgeworden sind. Da geht es mehr drum, übereinander herzufallen, sich nett anzuziehen und zu schminken – auf irgendwelchen Feldern! Die akklimatisieren sich auf einem ganz anderen Weg mit Raves als wir früher. Ich sehe also nicht, dass die ursprüngliche Kultur noch da wäre. Dieses Element persönlicher Freiheit mag ich dabei aber immer noch. Obwohl ich natürlich denke, dass es unverantwortlich ist, den Lockdown zu brechen.
RB: Die sitzen auf glühenden Kohlen, brauchen Erlebnisse.
SB: Ich kann das in Teilen nachempfinden, heiße es aber nicht für gut.
Wie ist es, eure Alben in diesem Kontext zu veröffentlichen? Die Musik hattet ihr ja wahrscheinlich schon vor der Pandemie fertig.
RB: Ja. Es war alles schon gemastert und an Warp geschickt, bevor der Lockdown anfing.
SB: Ich war in einer Phase, in der ich mir einen Überblick über das verschafft habe, was wir da produziert haben. Allerdings hatte ich es noch nicht weggegeben, weil es noch ein paar Probleme gab. Dann kam der Lockdown, und ich dachte mir: „Fucking Hell, wir bringen in dieser Zeit dieses Album raus? Das ist etwas komisch.” Es klingt ja doch etwas anders als die letzten. Es dockt ein bisschen an das NTS-Zeug an, auch wenn das etwas cluborientierter war. Das ist jetzt der Sound, den wir nach der letzten Tour 2018 machen wollten. Daran haben wir seit Sommer 2018 ungefähr 18 Monate gearbeitet. Die ersten sechs bis acht Monate bestanden aber eigentlich nur aus Programmierarbeit.
Was habt ihr programmiert?
SB: Eigentlich haben wir hauptsächlich unsere bereits existieren Patches in Ableton übertragen. Der Grund dafür war, dass wir gefragt wurden, einen Remix für SOPHIE zu machen. Damals konnten wir unsere Stems nicht im Live-Setup prozessieren.
RB: Das war zu sehr auf Echtzeit ausgelegt.
SB: Für den Remix habe ich dann ein paar der Patches in Ableton übertragen und angefangen, mich da einzufuchsen. Mich in den Kontext einzufinden. Ich hatte davor jahrelang nicht mehr mit einer DAW gearbeitet. Wollte ich eigentlich auch nicht.
RB: Wir nutzen DAWs eigentlich eher, um unsere Tracks zu mastern. Das war also ein eher kompositorischer Zugang zu unserem Echtzeit-Setup.
SB: Für NTS, die elseq-Teile und Exai haben wir quasi Live-Jams gemacht. Eine Stunde lang oder so, das dann zu Tracks runtergekocht, danach noch irgendwelche Layer drübergelegt, beispielsweise von anderen Live-Jams, und dann den Track gecodet. Das hat gut funktioniert.
Und wie lief es dieses Mal?
SB: Das haben wir Schicht für Schicht aufgebaut, sehr graduell, in Ableton. Ich mag Ableton gar nicht so besonders, aber es unterstützt Max/MSP-Patches. Und dann haben wir den SOPHIE-Remix ewig nicht gemacht. Das passierte erst vor ein paar Monaten, und auch komplett anders als ursprünglich geplant. Wir haben viel von dem Material, das wir produziert hatten, um uns an dieses neue Setup zu gewöhnen, gar nicht verwendet. Und daraus ist hauptsächlich SIGN entstanden. Wir haben uns nach sechs Monaten Einarbeitung getroffen und bei Robs Sachen einen roten Faden rausgehört, zu dem ein paar meiner Stücke passten. Das Album kam eher unbeabsichtigt heraus.
„Meine Aufmerksamkeitsspanne ist etwas kürzer als Robs. Ich langweile mich schneller als er.”
Sean Booth
Eigentlich hattet ihr ja geplant, Alben nach ihrem Entstehen so schnell wie möglich zu veröffentlichen.
SB: Stimmt! Das hat aber auch mit Warp zu tun. Normalerweise, wir hatten SIGN im Februar oder März fertig, ist die Platte ein paar Monate später draußen. Je nachdem wie lang es dauert, das Artwork zu machen, die Files hochzuladen, die Formate anzufertigen. Ende 2019 habe ich Warp mitgeteilt, dass wir wohl ein Album machen werden. Die fanden super, dass wir mal wieder eine normale LP liefern wollen. Dann mussten wir aber noch Zeit für das Live-Set einplanen, im März kam dann das Virus dazu. Weil wir ursprünglich aber auf Tour gehen wollten, hatte Warp im Kopf, dass das alles synchron abläuft. Das hat uns zurückgeworfen. Eigentlich ist das Ziel aber, alles so schnell wie möglich rauszuhauen, ja.
RB: Vielleicht hätten wir’s auch schon Mai veröffentlichen können. Aber was soll’s.
Wie fühlt sich die Musik jetzt für euch an, im Vergleich zum Mai?
SB: (lacht) Gute Frage! Es ist komisch, weil ich das Live-Set, das nochmal aus mehr Material besteht, schon gemacht hatte. Für mich fühlt es sich jetzt etwas alt an. Aber daran gewöhnt man sich über die Jahre.
RB: Diese Dynamik ist definitiv etabliert. Wie Max vorhin meinte, haben wir an diesem System gearbeitet, das uns ermöglicht, Alben sofort zu machen und zu veröffentlichen. Wir wollten aber natürlich auch Warp als Firma unterstützen. Uns auch ein Stück weit anpassen, weil das diese große Maschine ist, die nicht so agil ist wie wir. Warp hatte sofort Lust und war schneller mit allem fertig, als ich erwartet hatte. Es war eine Sache von sechs bis neun Wochen – ziemlich schnell für ein Label!
SB: Total.
RB: Durch die Pandemie hat sich die Zeit verändert. Jeder hat eine unterschiedliche Wahrnehmung für sie entwickelt. Für mich ist sie gerast. Monate fühlen sich wie Wochen an, mein Empfinden ist da also etwas verzerrt. Für mich fühlt sich das Album noch nicht so alt an. Wir wollten Warp jedenfalls ein Höchstmaß an Flexibilität geben.
SB: Meine Aufmerksamkeitsspanne ist etwas kürzer als Robs. Ich langweile mich schneller als er.
Ihr meintet vorhin, dass sechs Monate lang jeder für sich gearbeitet hatte und ihr euch dann getroffen habt. Wenn ihr alleine arbeitet, habt ihr da hin und wieder Kontakt?
SB: Nur minimal. Wir schieben uns Patches hin und her. Ich schicke Rob weniger meine Musik, sondern eher die Technologie, die ich dafür verwendet habe. Er schickt mir wiederum Modifikationen davon. Auf diesem Level kommunizieren wir viel. Verbal hingegen nicht, aber so haben wir eh nie wirklich gearbeitet. Wir haben immer schon Ideen ausgetauscht, nicht Wörter. Wir reden nicht gerne über Musik, das ist euer Job!
RB: Wir vertrauen sehr auf unseren Instinkt. Man hinterfragt das natürlich auch mal, ob man noch auf derselben Wellenlänge ist. Das Teilen von Patches ist dynamischer und persönlicher, als einen sechsminütigen Stereo-File zu bekommen. Der ist schwerer zu verändern, das fühlt sich altbacken an.
Was wolltet ihr mit den Patches für SIGN erreichen?
(Gelächter)
RB: Nichts.
SB: Es kommt mit Max/MSP immer etwas Anderes heraus. Das genießen wir, weil uns Wiederholungen langweilen.
RB: Ich finde es tatsächlich verdammt schwer, sich an einen Plan zu halten. Ich bin zu leicht abgelenkt. Ich sehe das aber so: Was mich ablenkt, ist wahrscheinlich interessanter als das, was ich eigentlich machen wollte. Dem spüre ich dann nach. Wenn damals, als wir noch mit Hardware gearbeitet haben, irgendwas Unvorhergesehenes passiert ist, haben wir das untersucht und für uns genutzt. Das klang nämlich meist besser, als wenn alles funktioniert hat. Das hat uns auch motiviert zu programmieren.
Hier geht’s zum zweiten Teil des Interviews.