Call Super & Parris – Design Of A Body Sublime (Can You Feel The Sun)
CANUFEELTHESUNONYRBACK aus dem Jahr 2019 hat eines erneut bewiesen: Auch das gemeinsame Debüt zweier unterschiedlicher Soundfrickler kann direkt gelingen! Oft braucht es da ja ein oder zwei Anläufe. Gut, Joseph Richmond- Seaton alias Call Super ist auch nicht erst seit Arpo für seine starken atmosphärischen Produktionen bekannt, und zusammen mit den grimey Vibes von Parris bietet das natürlich genug Reibungsfläche, um sehr Interessantes entstehen zu lassen.Erneut vereint auf Design Of A Body Sublime überraschen die beiden Briten mit SA-housigem Sound, der sich auf der EP durch fast alle verschiedenen Tunes des gleichen musikalischen Grundgerüstes zieht. Getragen durch die Stimme eines kehlig klingenden Fox, bekommt das Ganze einen fiesen Drive, der so gar nicht zum Winter und schon gar nicht zum zweiten Lockdown passt. Das tut aber extrem gut – besonders, wenn am Ende beim Radio Edit des Titeltracks der entfesselte Bounce auch mal unsensibelst durch die Boxen knallen darf! Lucas Hösel
Daniel Wang – The Look Ma, No Drum Machine EP (Balihu)
Unglaublich, aber wahr: Bereits 27 Jahre sind vergangen, seit mit der The Look Ma No Drum Machine EP die erste Veröffentlichung von Daniel Wang erschien. Gleichzeitig markierten die fünf Tracks den Start seines Labels Balihu, mit dem der im kalifornischen Oakland geborene, in Taiwan aufgewachsene und in New York musikalisch sozialisierte DJ und Producer die Entwicklung der elektronischen Tanzmusik um nahezu eine Dekade vorwegnahm. Während die Zeichen der Zeit mit Subgenres wie Happy Hardcore, Gabber oder Hard Trance eher in Richtung einer Radikalisierung, oft auch Banalisierung von Techno wiesen, begann Wang, sich der Disco-Wurzeln von House zu versichern. Die enorme Resonanz auf sein Debüt dürfte ihn seinerzeit selbst überrascht haben. Wer diese Sternstunde nachhören möchte, kann diesem Wunsch nun im von den Original-DAT-Bändern remasterten Klangbild nachkommen. Auch im Abstand von fast drei Jahrzehnten wirkt die unbekümmerte Begeisterung, mit der Wang seine Disco-Samples hier zusammentackert, schlichtweg entwaffnend. Der Versuch, seine Haltung als restaurativ zu diskreditieren, greift deutlich zu kurz: Vielmehr erwiest sich Wang schon mit seinem ersten Release als einer der unabhängigsten und kritischsten Köpfe der Clubkultur, formuliert er hier doch unmissverständlich sein generelles Unbehagen an Geschichtsvergessenheits- und Verarmungstendenzen in der Dancefloormusik. Dass der so meinungsfreudige wie mitteilsame Wahl-Berliner, etwa mit der jüngst öffentlich gemachten Kritik an seiner Ex-Nachbarin Peggy Gou, gelegentlich übers Ziel hinausschießt, schmälert seine Verdienste nicht im Geringsten: Mag Diplomatie auch nicht zu seinen Stärken zählen, bleibt Wang doch einer der führenden Botschafter einer gleichermaßen hedonistischen wie geschichtsbewussten, sozial verantwortungsvollen Avantgarde. Harry Schmidt
James Bangura – E-FAX009 (Art-E-Fax)
Art-E-Fax hat sich mit Releases von Betreiber Patrick Conway und anderen in kürzester Zeit einen guten Ruf erspielt und erinnert uns daran, dass auch nach dem Jahreswechsel das laufende Breakbeat-Revival noch lange nicht gegessen wäre, solange nicht frische Talente aus viel altem Wein in neuen Schläuchen spritzigen Sangria gemixt hätten. Katalognummer neun kommt vom Washingtoner Produzenten James Bangura, der bis dato auf unter anderem Vanity Press und Step Back Trax recht bravourös die Grenzen zwischen House, Jungle und einigen Subgenres beziehungsweise verwandten Spielarten von Dance Music entlang gestreift ist. E-FAX009 ist für eine EP mit knapp einer halben Stunde Spielzeit recht lang, bündelt dafür allerdings auf kurzweilige Art eine ganze Menge Ideen. Da ist die ratternde, an Footwork erinnernde Percussion des Openers „Cleanser”, die mit sehnsuchtsvollen Pads in Kontrast gesetzt wird, da sind die hypnotischen Grooves von „Denitia Junction”, das angriffslustige „Incoherent Response”, das im Livity-Sound-Backkatalog zwischen den härteren Nummern von Hodge nicht auffallen würde und als dessen unmotivierteres Echo „Silk Worm” daherkommt, oder die verschoben-verquere Dub-Techno-Interpretation „Interpretative Dance”, die das Können ihres Machers glänzend unter Beweis stellen. Den Ambient-Jungle-Rausschmeißer von „Texts of Murakami” hätte es da wohl nicht gebraucht, aber die Ausfallquote bleibt gering. Bangura findet nicht nur überraschende Anknüpfpunkte zwischen sehr disparaten Stilen, sondern vereint auch emotional aufwühlende Sounds mit einem Cool, der manchmal an Galcher Lustwerk denken lässt – ohne sich indes jemals an dessen Trickkiste zu vergreifen. Hier gräbt jemand zwischen den existierenden Nischen weitgehend erfolgreich einen Verbindungstunnel nach dem nächsten. Kristoffer Cornils
Llewellyn – Recapture The Past EP (Live At Robert Johnson)
Als Lake People ist der Leipziger Producer Martin Enke eine sichere Bank für Deep-Techno mit Hang zum Understatement. Unter dem Pseudonym Llewellyn erscheinen die discoideren Tracks seines Outputs. Mit der Recapture The Past EP gibt Enke sein Debüt auf LARJ – und legt eine Platte vor, die keine Wünsche offen lässt. Jeder der vier Tracks wirkt auf eine ganz eigene Art verführerisch und überzeugend – wobei die Raffinesse, mit der dies geschieht, komplett unangestrengt rüberkommt –, doch genauso mühelos fügen sie sich auch zu einer Werkeinheit zusammen. Der Titeltrack besticht mit Reminiszenzen an die Zeit großer Synthie-House-Hymnen (Inner City, Crystal Waters), einer wie ein Propeller rotierenden Moroder-Bass-Sequenz und dem Wechselspiel zwischen einer Acidline und einer kristallklaren Piano-Hookline, was zusammengenommen eine immense Sogwirkung erzeugt. „The Final Essence” dekliniert mit einer kleinteiligen Bassfigur dann einige suggestive Harmoniewechsel durch – mit ähnlich unwiderstehlichem Ergebnis. „Philly C Inside” wendet das Thema dann in eine italo-balearische Richtung, während „Shimshit”, Wärme und Strandnähe beibehaltend, sich als Soundtrack für eine Vergnügungsfahrt entlang nächtlicher Küstenstraßen empfiehlt. Hinreißende EP. Harry Schmidt
Marine Boy – La Monde Marine (Craigie Knowes/ Wormhole Wisdom)
Die Vibes im Jahrzehnt des Aufbruchs waren gerade erst aufgewärmt, da brachte ein Typ namens Simon Power als Marine Boy ein unscheinbares Kleinod von EP raus, damals noch via Perception Records. Das waren die Leute, die um 1990/1991 herum riesige Outdoor-Raves im UK organisierten, wo neben Ellis Dee und N-Joi auch The Prodigy eine ihrer ersten fünfstelligen Menschenmassen zum implodieren brachten. La Monde Marine erschien hingegen in winziger Auflage, war schnell vergriffen und stieg dank John Peel kurz darauf zum gesuchten Kult-Release auf, dem ein angemessenes Reissue dennoch für drei Jahrzehnte verwehrt blieb. Vergangenen Dezember kamen die zwei Tracks des ursprünglichen Cuts mit drei Bonustiteln dann über Wormhole Wisdom raus und machten diese frühen, ur-britischen Bleep’n’Bass-Perlen endlich wieder für Nostalgiker*innen weltweit verfügbar. Vom ersten Part des titelgebenden „La Monde Marine” mit seiner viszeralen Beatprogrammierung und der wärmenden Tanzflurromantik über das von Twin Peaks inspirierte „Laura Laura”, bei dem selbst Agent Cooper den Kaffee gegen ein Glas MDMA-O-Saft eingetauscht hätte, geht es samtig-fluide zu den bisher nirgends gehörten Fortsetzungen des Titeltracks. Peel soll damals in seiner BBC Radio One Show gesagt haben: „Ich verrat’ euch was, diese Platte ist ein kleines Rätsel. Ich kann euch nicht mal sagen, wer der Künstler ist. Da ist ein Sticker auf dem Sleeve: ‘Perception Records’ – und das war’s. Daneben nur eine kleine Notiz von Produzent Simon Power: Ich hoffe ihr mögt diese beiden neuen 12-Inches, die ich mit meinen Freunden Paul und Andy von Bristol Bassline produziert habe.” Was für Zeiten. Am Ende fühlt es sich an, als seien sie nie vergangen. Nils Schlechtriemen