Für die DJ-Kicks-Serie einen Mix aufzunehmen gilt als Ritterschlag, Meilenstein oder sonstiges Superlativ. Avalon Emerson hat die Chance, die das mit sich bringt, voll genutzt. Mit ihren DJ-Kicks veröffentlicht sie zum ersten Mal seit drei Jahren eigenes, neues Material. Und was für welches: Direkt im ersten Track überrascht Emerson mit einem retrofuturistischen Cover des Indie-Songs „Long Forgotten Fairytale” von The Magnetic Fields auf dem sie – um doppelt zu überraschen – selbst singt. Beides kennt man nicht von ihr. Und beides macht sie sehr gut – eine runde Hommage an ihre Vorliebe für poppige Melodien zum Einstieg.
„Das Coverfoto von Emerson passt: Den Blick entschlossen nach vorne gerichtet in einem Helm, der sie fit für Geschwindigkeit macht.”
Das gibt jedoch nicht allein den Ton an. Danach folgt ein Set mit rasanter Energie, Tempo- und Stilwechseln. Das Coverfoto von Emerson passt: Den Blick entschlossen nach vorne gerichtet in einem Helm, der sie fit für Geschwindigkeit macht, getaucht in ein nostalgisch-gelbes Licht. Vor allem ihre weiteren Eigenproduktionen verkörpern dieses Gefühl. Anders als der Einstiegstrack haben sie typische Elemente ihrer vorherigen EPs: Zuckende und raumgreifende Synthie-Flächen mit einem modernen, technoiden Unterbau spielen die Hauptrolle. Inmitten der 20 Tracks sind sie die wiedererkennbaren Schilder am Straßenrand und zugleich großes Kino.
Sie wechseln sich mit sehr Dancefloor-orientierten Tracks ab. Das housige „Doe Doe Doe” von Anthony Acid katapultiert einen geradewegs in einen stickigen, kleinen Club. Soundstreams „3rd Movement” hat einen Break, der seinesgleichen sucht – bombastisch. Avalon Emerson ist nicht umsonst als Headlinerin gefragt. Sie hat ein Händchen für Peaktime-Bretter. Ihre Hörer*innen überfordert sie selbst dann nicht, wenn diese seit Monaten keinen Club mehr von innen gesehen haben. Einzig die Übergänge sind – wie bei den meisten DJ-Kicks-Mixen – ungewöhnlich kurz, ein wenig brüsk, aber dem Tempo des Mixes angemessen.
„Genre-Unterschiede, die Emerson sicher zusammenfügt, verkörpern eine zeitgenössische Freude an Eklektik.”
Emerson zufolge soll dieser Mix ihre vergangenen Jahre als DJ zusammenfassen. Jahre, in denen sie Teil der avantgardistischen A-Liga des internationalen DJ-Zirkus geworden ist. Ob sie dem Anspruch hinsichtlich der persönlichen Erfahrungen, die sie auf ihren Gigs gemacht hat, gerecht wird, kann nur sie selbst beurteilen. Auf musikalischer Ebene stehen diese DJ-Kicks jedoch für zwei Trends der letzten Jahre: Genre-Unterschiede, die Emerson sicher zusammenfügt, verkörpern eine zeitgenössische Freude an Eklektik. Heute ist es nicht nur normal, sondern hip, beispielsweise verträumte Pop-Edits auf knallende Dancefloor-Slammer zu mixen. Avalon Emerson ist da schon länger ganz vorne mit dabei: Auf das bubblegum-pop-PC-Music-hafte „Just Level 5 Cause It’s Cute” von Oklou folgt das stompige „Yellow Cone” von Oceanic. Auch Tempo begreift sie nicht strikt als Taktgeber, dem sie sich zu beugen hat. Stattdessen spielt sie damit; nutzt einen kurzen White Noise in „Butterfly” von Tranceonic (eine Zusammenarbeit der zwei Yello-Mitbegründer Carlos Perón und Boris Blank aus den Siebzigern), um gute zehn BPM hochzufahren; wird schnell schneller und schnell langsamer.
Man stelle sich vor, das wäre ein typischer einstündiger Festival-Slot: Es wäre kein Set, bei dem man sich fragt, ob man doch eine andere Stage auschecken soll oder noch kurz an die Bar will. Sondern eines, bei dem jeder Anflug dieser Gedanken dadurch unterbrochen wird, dass ein noch krasserer Track überrascht. Und bei dem man bis zum Schluss bleibt.