Dana Ruh (Foto: Charlotte Thor)

Ihre reduzierten, unbeirrbaren Grooves machen Dana Ruh zu einer der stärksten Berliner House-DJs. Lange legte sie hauptsächlich lokal auf, bis sie als Teil der Cocoon-Familie international Karriere machte. Ein Bewusstsein für ihre Wurzeln hat die DJ aus Gera aber bis heute nicht verloren. Unsere Autorin Lisa Kütemeier hat sie in ihrem Plattenladen im Berliner Schillerkiez getroffen, in dem sich der größte Teil ihres Lebens abspielt, wenn sie nicht gerade auf Ibiza oder in Moskau auflegt.


Dana Ruh ist ein Allroundtalent: Labelbetreiberin, DJ, Produzentin und Inhaberin eines Plattenladens ist sie auch noch. Das alles findet – bis auf das DJ-Dasein – im Neuköllner Schillerkiez statt. KMA60 heißt ihr kleiner Concept Store am Herrfurthplatz 8. Die Fassade versteckt sich hinter einem Baugerüst, beim Eintreten ist es dunkel und der Geruch neuer Möbel schlägt einem ins Gesicht. Ein paar Regale mit Vinyls stehen zum Stöbern bereit, zur Linken steht eine Kleiderstange und es hängen Zeichnungen an der Wand. Der Raum wird dominiert von einem mit Holz verkleideten DJ-Pult, er wirkt fast schon wie ein kleiner Dancefloor.

Dann kommt Ruh aus einem kleinen Flur herein, sie trägt Jeans und Sweater. Ob ich gut hergefunden habe, fragt sie und lächelt dabei zurückhaltend. Ruhig und auf dem Boden geblieben wirkt sie, ungezwungen und entspannt. Der Weg führt durch einen schmalen Gang in den hinteren Bereich des Ladens in eine Art Wohnküche. Ein flauschiger Teppich, ein bequemes Sofa und ein Glastisch stehen im Raum, außerdem gibt es eine Küchenzeile. Von dort aus hat man auch Blick auf das Studio, ein kleiner Raum mit viel Elektronik und Lärmschutzverkleidung an den Wänden.

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Eingangsbereich des KMA60. (Foto: Lisa Kütemeier)

„Tee oder Wasser?” Sie füllt zwei Gläser mit Leitungswasser und stellt sie behutsam auf den Tisch. Der Glastisch sähe zwar gut aus, sei aber im Alltag einfach nur unglaublich laut, bemerkt sie mit einem schiefen Lächeln, das leichte Genervtheit zusammen mit einer gewissen Belustigung ausdrückt. Dann setzt sie sich im Schneidersitz mit aufs Sofa.

Neben ausgewählten Vinyl-Veröffentlichungen bietet der Laden auch eine kleine Auswahl an Clubwear an und funktioniert außerdem als Begegnungsstätte für Musiker*innen der elektronischen Szene Berlins, erzählt Dana. Im April letzten Jahres hat sie sich zusammen mit ihrem Geschäftspartner Jamie einen Traum erfüllt und das KMA60 eröffnet. Die Idee ist entstanden, als Jamie ein paar Wochen auf ihrem Sofa geschlafen hat.


„Das ist ganz lustig, weil das echt ungeplant entstanden ist. Die Yoga-Lehrerin wohnt nämlich im gleichen Haus und hat einfach gefragt, ob wir da Bock drauf haben. Dabei bin ich gar kein Yoga-Typ!”


„Wir haben quasi drei Monate lang zusammen bei mir gewohnt und gearbeitet, ich an meinen Tracks und er als Labelmanager für Barraca. Und dann dachten wir: ‘Warum machen wir eigentlich keinen eigenen Laden auf?’ Meine Wohnung war damals in der Karl-Marx-Straße 60. Daher der Name.” Kennengelernt haben die beiden sich über die Barraca Agency, Jamie war damals ihr Booker und hat von Barcelona aus gearbeitet. Eines Tages eröffnete er ihr, dass er nun nach Berlin ziehen würde, woraufhin Ruh ihn einlud, für die erste Zeit auf ihrem Sofa zu crashen.

Heute funktioniert das Miteinander immer noch genauso wie damals in Ruhs Wohnung. Jamie kümmert sich um den Einkauf und das Management des Ladens, während Ruh für den künstlerischen Part zuständig ist. Sie ist meistens für ihre Gigs unterwegs oder arbeitet an neuen Produktionen, ihr Studio befindet sich ebenfalls im KMA60. Eine von Danas Ideen ist es, die unterschiedlichen Sub-Szenen der Berliner Clubkultur wieder aneinander heranzuführen. Sie habe sich das damals auch für ihre eigene Entwicklung gewünscht und möchte nun ihre Erfahrung mit der jüngeren Generation teilen, sie mit einer Plattform unterstützen und somit Chancen eröffnen. Daher veranstalten Jamie und sie regelmäßig kleine Events oder Showcases, bei denen Künstler*innen im kleinen Kreis auflegen und networken.

Der Laden bietet auch Raum für Ausstellungen. Insbesondere Grafiker*innen für Label-Artworks möchte Ruh unterstützen, da deren Arbeit weitestgehend ungeschätzt bleibe. Aktuell werden Bilder der Künstlerin Charlotte Thor ausgestellt. Außerdem findet dort regelmäßig ein Ambient-Yoga-Workshop statt. Dafür werden DJs eingeladen, um die Yogastunde musikalisch zu gestalten. „Das ist ganz lustig, weil das echt ungeplant entstanden ist. Die Yoga-Lehrerin wohnt nämlich im gleichen Haus und hat einfach gefragt, ob wir da Bock drauf haben. Dabei bin ich gar kein Yoga-Typ!”, erzählt Ruh lachend.

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Dana Ruh (links) und ihre Storemanagerin Alessia. (Foto: Lisa Kütemeier)

Auf ihrem seit 2016 bestehenden Label Cave Recordings erschien im April ihr neues Album Time Out Of Mind. Es ist nach Naturally von 2014 und D’s Folder V von 2018 ihr dritter Longplayer. Über fünf Jahre hat sie daran gearbeitet, manche Tracks sind 2015 entstanden und sie beschreibt Time Out Of Mind als eine ihrer persönlichsten Produktionen. Dabei haben auch Musikstile abseits der Tanzmusik eine große Rolle gespielt und sind mit eingeflossen. Privat hört Ruh neben House auch sehr viel grooviges Zeug, insbesondere Hip Hop aus den Neunzigern, R’n’B und improvisierten Jazz. Auch Bands mit Elektronik-Einflüssen haben sie stark geprägt, sie nennt als Beispiele Zero 7 und Air.

Warum sie fünf Jahre für das Album gebraucht habe? „Ich kann mich nicht hinsetzen und sagen, dass ich in drei Monaten ein Album mache. Das würde bei mir nicht funktionieren, weil ich sehr streng mit mir selbst bin. Ich will die Sachen auf Dauer mögen, deshalb sammle ich alles in Archiven und gehe das Monate oder Jahre später nochmal durch. Das ist ein richtig anstrengender Prozess”, sagt sie bestimmt. Sie nehme das Produzieren sehr ernst und wolle vor einer Veröffentlichung sicher gehen, dass ihre Musik Bestand habe. „Und das braucht einfach Zeit!”


„Hey, it’s me, Dana. I just wanted to let you know I’m still here.”


Wie bereits erwähnt, ist ein Teil der Tracks schon 2015 entstanden, direkt nachdem sie ihr erstes Album veröffentlicht hatte. Immer wenn sie eine Produktion beendet hat, werde sie von einem Schub Kreativität erfasst. Damit setzt sie sich dann ins Studio und lässt ihrer Energie freien Lauf. Deshalb auch der Name: Time Out Of Mind. Kreativität könne sich nicht unter Zeitdruck entfalten, Kreativität erfordere einen freien Geist.

Als Ruh während ihrer US-Tour viel Zeit in New York verbracht hat, ist sie allein durch die ganze Stadt gezogen und hat sich den Eindrücken hingegeben. Dabei sind einige Field Recordings und Voice Samples entstanden, welche sie zum Teil in ihre Tracks eingebaut hat. „Das sind viele persönliche Aufnahmen. Ich bin immer sehr skeptisch in Bezug auf meine eigene Stimme. Dieses Mal habe ich mich aber bewusst dafür entschieden, diesen persönlichen Aspekt mit einzubringen. Ich habe früher auch mal gesungen!”, merkt sie an und lacht dabei. Zurück in Berlin wusste sie, dass sie nun bereit war, das Album fertigzustellen. Das war letzten Herbst.

Gleich der erste Track „Still” beginnt mit einem Sample. Dana ruft jemanden per Telefon an, es geht der Anrufbeantworter dran. Sie hinterlässt eine kurze Nachricht: „Hey, it’s me, Dana. I just wanted to let you know I’m still here.” Genau das sei auch die Message des Opening-Tracks, erklärt sie. Die permanente Erreichbarkeit in Zeiten von WhatsApp, Facebook und Co. wolle sie damit kritisieren. Niemand rufe mehr so richtig an oder spreche auf den Anrufbeantworter.

„Das Tempo der digitalen Welt ist manchmal einfach nur anstrengend”, sagt sie mit einem melancholischen Blick. Früher sei das noch ganz anders gewesen, daran erinnere sie sich gerne zurück. Das vermisse sie in der modernen Welt sehr.

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„Ballet” von Charlotte Thor. (Foto: Lisa Kütemeier)

Die nächste Anekdote erzählt sie zu „Revertigo”. Der Track zeichnet sich durch einen sehr Ambient-lastigen Einfluss aus, eine Bassline ist nicht vorhanden. Ruh kennt das Wort „Revertigo” aus einer Folge von How I Met Your Mother. Urban Dictionary übersetzt das Wort als ein Gefühl, das einsetzt, wenn man alte Freunde trifft und in diesem Prozess wieder Verhaltensweisen von früher annimmt. Aufgefallen sei ihr das Wort wegen dessen ästhetischen Klangs, aber auch inhaltlich habe das gepasst. Von mehreren Seiten wurde ihr während der Produktion angeraten, den Ambient-Track als Opener zu nehmen, worauf sie aber verzichtete: „Wenn ich jetzt rückwärts gehen würde, wäre das der Anfangstrack gewesen. Jedoch habe ich mich schließlich bewusst dagegen entschieden. Deshalb hat der Name einfach gepasst.”

Zu „Mr Bang” erklärt sie, dass das ursprünglich nur der Projektname des Tracks gewesen sei. Warum sie bei dem Namen geblieben ist? Die Assoziation sei dann ganz passend gewesen, weil Wolfgang Haffner bei diesem Track die Drums live mit eingespielt hat. „Der Wolfgang ist so ein toller und begabter Typ”, schwärmt sie. „Ich bin wirklich ein ganz großer Fan und wollte schon immer mal zusammen mit ihm Musik machen!”


„Bei ‚Me vs Me’ ist es so, dass es einen Groove und eine Fläche gibt. Das reicht eigentlich schon. Man zerdenkt die Dinge manchmal einfach, aber als ich auf mein Gefühl gehört habe, wusste ich, das Ding ist fertig.”


Haffner ist ein Jazzmusiker, den Ruh vor ein paar Jahren über einen gemeinsamen Freund kennengelernt hat. Sie bewundert seine Arbeit sehr, und die beiden haben über die Musik zusammengefunden. Wenn sie aufeinandertreffen, zeigen sie sich gegenseitig stundenlang Tracks und philosophieren über Musik. Haffners Drums sind neben „Mr Bang” auch in „Still” und „Cross My Mind” zu hören.

In „Gran” hört man eine Konversation, die Dana mit einem Mann führt. „Auch dazu gibt es eine Geschichte”, sagt sie mit einem Schmunzeln. Während ihrer US-Tour war sie an einem freien Tag zusammen mit Jus Ed in Bridgeport angeln. „Der Ed hat mir dort das Fischen beigebracht. Ich hatte zwar keinen Erfolg, aber ich schätze es total, solche Dinge mit jemandem zu unternehmen. So etwas verbindet.” Während die beiden am Fischen waren, kam ein Angler dazu und hat mit ihnen ein kurzes Schwätzchen gehalten. Das hat Dana dann aufgenommen.

Mit „Me vs Me” versucht Dana, den ständigen Kampf mit sich selbst im Studio darzustellen. Es gebe so Tage, da versuche man ständig noch etwas zu verbessern oder noch mehr aus dem Track herauszuholen. Dabei brauche ein Stück manchmal gar nicht mehr als einen guten Kern, dann trage sich der Sound auch so. „Bei ‚Me vs Me’ ist es so, dass es einen Groove und eine Fläche gibt. Das reicht eigentlich schon. Man zerdenkt die Dinge manchmal einfach, aber als ich auf mein Gefühl gehört habe, wusste ich, das Ding ist fertig.”

Den Abschluss des Albums macht „Cross My Mind”. Dieser Track ist recht unbeständig, es lassen sich verschiedene Einflüsse erkennen und er kommt eher dubby daher. Passend dazu dauert er knappe 15 Minuten. „Als ich den letztes Jahr gemacht habe, da habe ich das schon gefühlt. Das könnte etwas ganz Besonderes für mich werden.” Beeinflusst von R’n’B, stehe zu Anfang der Groove im Mittelpunkt. Auch Piano und Orgel sind in Form von Chords mit eingeflossen. Nach acht Minuten entwickelt sich ein neues Motiv, welches in die Jazz-Richtung geht und abermals von Haffners Drums unterstützt wird. Zum Ende hin findet nochmal das Anrufbeantworter-Thema seinen Weg in den Track, um damit wieder auf den Opener zu verweisen und so das Album abzurunden.

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Plattenangebot im KMA60. (Foto: Lisa Kütemeier)

Zu der Frage, welcher Moment sie im letzten Jahr besonders berührt hat, erzählt sie eine kleine Geschichte von einem Gig mit der Giegling-Crew im Moskauer Club Mutabor. Dabei wird ihr Lächeln ganz weich und ihre Augen bekommen einen träumerischen Glanz.

„Da habe ich mit dem Dustin ein back-to-back gespielt. Wir kannten uns ja eigentlich gar nicht, hatten uns vorher noch nie getroffen. Aber manchmal triffst du auf jemanden und fängst an, mit der Person zu spielen, und dann flowt es einfach so. Das war schon cool zu sehen, wie man sich mit Musik auf eine gewisse Art und Weise verständigen kann. Dieses Gefühl hat mich echt glücklich gemacht. Musik ist einfach eine ganz eigene Sprache!”

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