Altan – Lake Tuz (Nous’klaer)
Mit Altan taucht ein neuer Name (eines vielleicht bereits wohlbekannten Interpreten?) auf Sjoerd Obermans Nous’klaer Audio auf, dessen EP Lake Tuz den qualitativ hochwertigen wie reduzierten Sound des holländischen Labels weder exorbitant nach vorne bringt noch verwässert. Das in typischer Manier monochrom gehaltene Cover passt seltsam gut zu den dubbigen, vernebelten Tönen, die schon der anfängliche Titeltrack anschlägt. „Lake Tuz” bettet sich auf sanften Bässen, sporadischen Chords und nur minimal gewandelter Percussion. „Birds Flying Near The Surface” wird mit seinem Breakbeat-Gestochere im Drumming konkreter, wählt auf der melodischen Ebene hingegen abermals den Weg ins Träumerische. Der Closer „Melendiz” prescht dann für die Verhältnisse der EP mit organischen wie schlagkräftigen Drums beinahe nach vorne, behält aber Altans charakteristisches Sounddesign. Lake Tuz zieht unprätentiös am Ohr vorbei, ohne dass man sich nach dem Hördurchgang an bestimmte Motive erinnern könnte. Irgendwo zwischen Innere Tueren und Ateq entsteht dabei aber ein höchst fragiler Raum, der Musikgenuss in diesem speziellen Sommer zu einem melancholischen Vergnügen macht. Maximilian Fritz
Clarity – UVB76-016 (UVB-76)
Owen Brown aus Bristol galt in der Drum’n’Bass-Szene mal als Wunderkind. Gerade mal 16 war er, als seine Tracks von diversen großen Namen des Geschäfts gespielt wurden. Ein ganzer Schwung von Clarity-Platten erschien auf Labels wie Horizons oder Samurai Music. Das ist nun acht Jahre her, zuletzt hörte man 2016 von ihm, was vermutlich der Konzentration aufs Studium geschuldet war. Seinen Namen hat der Engländer denkbar passend gewählt, ist seine massiv technobeeinflusste Version von Drum’n’Bass doch von wirklich ungewöhnlicher Klarheit. Dass das Genre sich stark an Techno anlehnt, ist aktuell durchaus en vogue. Auch das in Bristol ansässige Label UVB-76 verfolgt einen solchen Ansatz mit Hang zum Minimalen. Dort erscheint nun eine neue Clarity-EP, und die ist eine kleine Offenbarung. Die vier Tracks, einer davon ein Remix für den ebenfalls bei UVB-76 angedockten Produzenten Overlook, steppen durchaus ein wenig unbarmherzig, Industrial-Sounds verbreiten obendrein eine bedrohliche Atmosphäre. Doch andererseits entfalten sie eine irre meditative Wirkung. Spielt diese EP auf Repeat, wieder und wieder, das ist wirklich eine Erfahrung. No U-Turn in jung, modern und aufgeräumt. Holger Klein
Cooper Saver – Pacific Visions (Internasjonal)
Rechtzeitig zum zaghaften Wiedererwachen des Strandlebens erscheint mit Pacific Vision die zweite EP von Cooper Saver auf Internasjonal. Nachdem der Producer aus Los Angeles sich mit zahlreichen unter anderem auf DFA veröffentlichten Remixen und als Veranstalter der Far-Away-Partys in den vergangenen Jahren einen guten Namen gemacht hat, markierte die EP Hill Street Beat auf dem norwegischen Label 2019 sein Debüt. Der dort noch sehr dominante Acid-Vibe findet sich auf den vier neuen Tracks mehr oder weniger stark in den Hintergrund gedrängt. Insbesondere das Titelstück besticht durch die gelungene Balance seiner Elemente und den souveränen Einsatz markanter Italo-Disco-Motive, die auch für ein gehöriges Maß an Hitpotenzial sorgen. Das Highlight der EP ist jedoch das langsame „Cafe Tropical” – in seiner Mischung tribal gestimmter Drums, arpeggierter Hooklines und ozeanisch-kosmischer Flächenmalerei ein nahezu idealer Balearic-Tune für den virtuellen Festivalsommer. Fast noch besser, weil reduzierter gehalten: der leider nur als Digital-Bonus erhältliche Remix von Turbotito. Harry Schmidt
Davis – Dance Peralta EP (Live At Robert Johnson)
Electro erlebt seit geraumer Zeit eine Renaissance wie seit den späten 90ern nicht mehr, und das ist hocherfreulich, ist in diesem Genre doch noch lange nicht alles derart ausdefiniert und x-mal ultraverfeinert worden wie in Techno und House. Zudem sind Breakbeats im Club leider immer noch unterrepräsentiert. Der Brasilianer Davis Genuino, kurz Davis, spinnt auf seiner Dance Peralta EP die historischen Verbindungslinien sowohl zur Electric-Boogie- und Breakdance-Vergangenheit von Electro als auch zu Kraftwerk. Vor allem die Nachwirkungen der Düsseldorfer inspirieren Davis zu seinen besten Tracks – „Avesso” und „Fissura Na Neblina” sind abstrakter Maschinenfunk im allerbesten Sinn ohne Retro-Staubschicht. Das abschließende „Vertical Amnesia” geht dann über den selbstgesteckten Electro-Rahmen hinaus und kombiniert die noch Genre-typischen Synthesizer mit einer vom Szene-Kodex abweichend eingesetzten Bassdrum, Marimba- und anderen „organischen” Percussionsounds. Andererseits konterkariert er diesen tribalistischen’Aspekt wiederum mit rhythmisch eingesetztem weißen Rauschen und verlängert so lässig aus der Hüfte die Verbindungslinie von Düsseldorf über Detroit nach São Paulo. Mathias Schaffhäuser
Shire Tea – Hackney Birdwatch (Dama Dama)
Der Anfang sagt ganz klar: Jazz. Toms, die elegant geschäftig vorüberrollen, ein Klavier gibt altersmilde Gedanken in Akkordform hinzu und den in gemessenen Synkopen hüpfenden Bass der TB-303 könnte man mit ein bisschen Sinn für Kalauer noch als Acid Jazz zu integrieren versuchen. Bloß die verzerrte Männerstimme, die etwas wehmütig ihre Zeilen darüber zu singen beginnt, passt nicht mehr so ganz ins Bild hinein. Zu psychedelisch. Auf halber Strecke von „Hackney Birdwatch” wird dann das Piano fortgeschickt, stattdessen übernehmen mehr Synthesizer, um der Psychedelik ein paar artifizielle Farben hinzuzugeben. Und das Schlagzeug, bei dem man fortan im Unklaren bleibt, ob Sample oder programmiert, wird zu einem geradlinig zackigen Groove verdonnert – ab jetzt gilt eben Funk. Rätselhaft gut, diese sechsminütige Reise des Projekts Shire Tea aus Hertfordshire. So gut, dass der Dub mit weniger Stimmenanteil den wandlungsreichen Trip noch einmal vertiefen darf. Tim Caspar Boehme