Danny Daze – Propaganda & Manipulation (Omnidisc)
Die musikalische Palette von Daniel Gomez alias Danny Daze ist enorm. In seinem Produzenten-Schaffen reicht sie von Electro über klassischen Techno, noisige und experimentelle Electronica bis hin zu Laufsteg-Musik für Modepräsentationen. Und wenn ihm beim Auflegen danach ist, baut er einen Paula-Abdul-Song in sein Set ein – wie seinerzeit im Berghain geschehen! Propaganda & Manipulation zeigt seine rebellische Techno-Seite mit zwei schnellen Tracks voller hinterhältig-fieser Soundschlieren und Stimm-Samples, die jedem Horrorfilm gut stehen würden, und omnipräsenten, meist subtilen Verzerrungen auf allen Frequenz-Leveln. Die beiden anderen Stücke sind Kooperationen mit dem brasilianischen Musiker RHR, der letztes Jahr auf Omnidisc seine hervorragende Debüt-EP Nocturnal Fear veröffentlichte. Beide Kooperationen sind im Vergleich zu Dazes Soloarbeiten auf diesem 4-Tracker relaxter, aber immer noch jenseits des Mainstreams. „Simbiozes” vermengt einen housigen Beat ohne Schmusefaktor mit funky Vocalsnippets und bleepigen Scratches, schlägt also auch einen großen und eher untypischen stilistischen Bogen, dürfte aber trotzdem das spielbarste Stück der EP sein. Das finale „Planet” dreht dann den Pitchregler auf Minus 16, beginnt regelrecht chillig, bringt aber nach wenigen irreführenden Takten auch wieder Distortion, seltsame Stimmen und einen fiesen Bass ins Spiel, um alle Trip-Hop- oder Beach-Bar-Assoziationen schnellstens zu zerstäuben. Tolle Platte mit dem nicht zu unterschätzenden Nebeneffekt, sie auch als Secret Weapon gegen unliebsame Partygäste, Eltern oder Nachbarn einsetzen zu können. Mathias Schaffhäuser
Eartheater – Below The Clavicle (PAN)
Klar. So abrupt, wie Alexandra Drewchin alias Eartheater zwischen Brust- und Kopfstimme wechselt – hier, auf ihrer aktuellen Single, die wohl als Vorbote zu einem neuen Album zu deuten ist, sogar mitten im Schlüssel(bein)begriff des Refrains – kann einem natürlich Björk oder auch Diamanda Galas dazu einfallen. Doch die Art, wie Drewchin sich ihrer Körperlichkeit aussetzt, erinnert genauso an die Performancekunst von Marina Abramović. Die hypertrophen Electro-Sounds von IRISIRI, ihres letzten Albums für Bill Kouligas’ Experimental-Label PAN, hat sie mittlerweile hinter sich gelassen und setzt stattdessen auf Gitarre, Harfe, Flöten und eine Streichergruppe. Die enorme Sogwirkung, die von den ätherischen, überaus eingängigen, radioformatkurzen Songs ausgeht, verdient ohne Abstriche das Prädikat immersiver Pop – absolut suchterregend. Lana Del Rey hat starke Konkurrenz bekommen. Harry Schmidt
Forest Drive West – Mantis 01 (Delsin/Mantis)
Joe Baker alias Forest Drive West ist einer dieser interessanten Londoner, die ihre Veröffentlichungen gerne über mehrere Nischen-Labels ausbreiten, dabei unterschiedliche Spektren des ihnen eigenen Soundkosmos erforschen und am Ende doch ein stimmiges, wenngleich sich ständig weiterentwickelndes Werk abliefern. So geschehen auch auf seiner EP für Delsins neues Sublabel Mantis. Auf drei detailreichen Tracks beweist der Produzent gekonnt Gespür für dichte Atmosphäre, die niemals überladen, ja sogar angenehm zurückgenommen daherkommt. Modular-Patches zwitschern miteinander und halten den Mix in Bewegung, während Reverb und Echo für reichlich Weite sorgen. Alles erinnert hier sowohl an Techno als auch an Jungle, seien es die durchs Stereofeld bewegenden Arpeggios auf „Invisible” oder der in elegische Strings getauchte Stepper „Radiance” auf der B2. Die Mischung aus Detail und Zurückhaltung, aus tiefen Sub-Bässen und kleinteilig herausgearbeiteten Synth-Spuren ist FDWs große Stärke, die Delsins neuem Offshoot einen vielversprechenden Start bringt. Leopold Hutter
Grindvik & Pfirter – Mover / NEU (Stockholm LTD)
Pär Grindvik und Juan Pablo Pfirter lassen noch einen raus. Die Bruderschaft des fröhlichen Keller-Techno wirkt auf der neuen EP sowohl reduzierter als auch spielerischer im Vergleich zur jüngst auf Leyla Records erschienenen El Fortin. „Mover” beruht auf Spiel und Spaß mit Percussion-Programmierungen. Breit wummst die Kick-Drum, Mini-Loops quetschen sich in die Lücken und hinterlassen Stauchungen. Im zweiten Part werden die Parts durchdekliniert und so neu arrangiert, dass alleine „Mover” schon als Grundlage eines kompletten DJ-Sets dienen kann. Toll: der zärtliche Übergang zwischen Part A und Part B. „NEU” schließlich ist mehr Hit als Tool-Monster. Bei 139 BPM schwoft ein Orgel-Loop zwischen metallenen Claps. Die Hi-Hat zischt rein, und im Nu ist es vorbei mit dem Auseinanderdividieren. Setzt das Sprach-Sample ein, „Neu hier?” oder so etwas in der Art, folgen Strom und Trunkenheit und Rausch. Christoph Braun
Robag Wruhme – Speicher 115 (Kompakt)
Eine Wonne ist zu Corona-Zeiten untätig in der Bude zu hocken weniger. Wenn man es aber doch zu einem Spaziergang mit Kopfhörern vor die Tür schafft, dann passt die Musik von Robag Wruhme wie die Platte auf den Spieler. Entspannte Bass-Lines, atmosphärischer, warmer Sound, einlullend aber im straighten Rhythmus vitalisierend: das ist „Calma Calma“. Etwas anders da „Yes”, das einen volles Pfund mit einem treibenden, wuchtigen Beat mitnimmt, der so klingt, als würden tausend Menschen in tausenden Wohnungen gleichzeitig in der Quarantäne aufstampfen. Ab und an knallen die Türen im Takt und es kracht hier und da. Irgendwann ist es so weit, man hält es nicht mehr aus und mit einem aufatmenden „Yes“ nach gut vier Minuten bricht es heraus. Deeper House vom Allerfeinsten. Lutz Vössing