Aquarian (Foto: Julian Eichelberger)
Aquarian produziert dunkle Breakbeat-Clubmusik, die oft schrill, aber dennoch mitreißend und manchmal richtig funky klingt. Einige kennen ihn vielleicht auch unter dem Namen AQXDM, das ist seine Kollaboration mit dem Franzosen Deapmash. Lisa Kütemeier und Julian Eichelberger haben Aquarian auf einen Tee getroffen und herausgefunden, was es mit Tracknamen wie „Hate Is A Strong Word” auf sich hat, warum er sich auf Ouroboros, die sich selbst verzehrende Schlange aus der nordischen Mythenwelt bezieht, und was ihn aus New York weggetrieben hat.
Wir treffen den Kanadier Aquarian in einem Café unweit des Schlesischen Tors in Berlin. Mit Vornamen heißt er Chris, seinen Nachnamen will er uns nicht verraten. Im ersten Moment wirkt er zurückhaltend. Er sei es nicht gewohnt, so viele Pressetermine zu haben, meint er. Doch das Eis ist schnell gebrochen. Fast zehn Jahre hatte der gebürtige Kanadier in New York mit seinem herausfordernden Sound zu kämpfen. Nach seinem Umzug nach Berlin 2017 fühlt er sich zum ersten Mal verstanden: „Eigentlich fiel es mir gar nicht mehr so schwer, hier Fuß zu fassen. Ich war davor auch immer wieder in Berlin zu Besuch.“ Neben seiner Musik waren die niedrigeren Lebenshaltungskosten, bereits bestehende Freundschaften und das Ende einer Beziehung in New York ausschlaggebende Faktoren. Das größte Problem war aber wie gesagt, dass er sich in New York musikalisch nicht entfalten konnte: „New York ist extrem stressig und das Epizentrum des Kapitalismus. Der erstickt so ziemlich jede Form von Kunst und deren Praxis”, meint er nachdenklich und rührt in seinem grünen Tee. Diese schwierige Zeit in New York hat er auch auf seinem Debütalbum verarbeitet und durch den Ouroboros-Mythos versinnbildlicht – doch dazu später.
Berlin verfolgt der Ruf, sehr puristisch zu sein, findet Aquarian.
Freunde hatten Aquarian in New York zu ihrer Partyreihe Rinsed eingeladen. Die schoben ihn in den letzten Slot des Abends, da er harte und düstere Musik machte, welche sich nicht richtig in das Line-Up integrieren ließ. Schlussendlich legte er dann als Kompromiss hauptsächlich House auf. Das machte ihm zwar Spaß, aber dennoch hatte er nicht das Gefühl, er selbst sein zu können. In Berlin findet düstere und harte Musik traditionell mehr Anklang. Das beflügelte ihn. Und mit dem Breakbeat-Trend ähnelt die Musik, die in Berlin gehört und gelebt wird, Aquarians Produktionen und seinem Geschmack noch stärker als je zuvor. Zunächst wurden Läden wie der Monarch oder das Urban Spree auf ihn aufmerksam, doch schon kurze Zeit später gastierte er in der Säule im Berghain, der Griessmuehle oder bei der legendären Herrensauna im Tresor.
Berlin verfolge der Ruf, sehr puristisch zu sein, was bestimmte Arten von elektronischer Musik angehe, besonders Techno, Tech-House und der Berghain-Sound. Als er 2017 in die Stadt kam, hatte er das Gefühl, dass alle diese Szenen nebeneinander her existieren und sich einfach nur reproduzierten, ohne sich zu verändern. Dieser Starrsinn scheint sich jetzt aufzulösen und er beobachtet ein stetig wachsendes Interesse an neuen Klängen außerhalb dieser festen Formate.
Underworld und Prodigy als Wegbegleiter
Elektronische Musik hat für Aquarian immer eine Rolle gespielt. Als Kind inspirierten ihn vor allem Videospiel-Soundtracks, zu Schulzeiten hörte er viel Trip-Hop und Crossover-Acts wie Underworld oder Orbital, eine Menge britischen Rave und dann auch Breakbeat-Songs von Prodigy. Daneben stehen dann noch Filme wie The Matrix und Musik von The Chemical Brothers, Nine Inch Nails oder Metric. Das seien wichtige Momente in seinem Werdegang gewesen, die ihm bis heute gut im Gedächtnis bleiben – ebenso die Zeit als Drummer in der Punkband El Pollo Diablo.
Bei seinen ersten Clubgängen hörte Aquarian vor allem Dubstep und Post-Dubstep – Genres, die wenigen vordefinierten Regeln folgen. Das fasziniere ihn ungemein und sei für ihn der Startschuss gewesen, auch tanzbare Musik zu machen. Einer seiner liebsten Produzenten ist schon seit Jahren Objekt. Dazu erzählt er eine schöne Anekdote aus dem Jahr 2012: Damals hatte er Objekt nach einem Gig angesprochen und ihm gesagt, wie viel ihm seine Musik bedeute und wie sehr sie ihn im Studio inspiriere. Das hatte zur Folge, dass er ihm einige Tracks zusenden durfte. „Verrückt genug”, meint Aquarian dazu. Doch Objekt gab ihm als Antwort ein sehr langes und ausführliches Feedback. Dieser Moment beeinflusse und motiviere ihn bis heute.
Die Einflüsse aus Dubstep, die schnellen Tempi und auch die übersteuerten Gitarren-Sounds aus dem Punkrock findet man auch in seinen heutigen Produktionen wieder. Seine Tracks folgen meist keinem bestimmten Genre, sondern lassen sich vielseitig einordnen. Oft entstehen Techno-Hybride aus Industrial, IDM, Drone und dunkler Popmusik.
Hardware lenkt vom Musik machen ab. Für Aquarian fühlt sich der Computer völlig natürlich an.
Im Studio arbeitet Aquarian fast ausschließlich mit Ableton Live direkt am Rechner. Dass er bereits als Kind anfing Schlagzeug zu spielen, helfe ihm heute beim Layern und Brechen von verschiedenen Rhythmen und verschaffe ihm einen organischen Zugang zu seinen Breakbeats. Wenn er Ableton öffnet, beginne er meistens ganz intuitiv mit den Drums. Oft nehme er sich die Zeit, um Rhythmen von der Pike auf einzuspielen. Manchmal bedient er sich aber auch bei bereits existierenden Breakbeat-Samples, die schon seit Jahren in der Szene kursieren, immer wieder verwendet werden. In diesem Prozess des wiederholten Re-Samplings haben sich Spuren von Generationen von Breakbeat-Artists abgelagert. Erst zerschneide er die Clips in kleine Teile, dann bearbeitet er sie mit Effekten und Modulationen. Zum Schluss fügt er sie wieder zusammen. Das Vorhandene auf eine eigene Art und Weise zu interpretieren, sei ihm sehr wichtig – das gehöre zu einem guten Produzenten dazu.
Hardware sei für ihn schon oft ein Thema gewesen, auch weil sich viele seiner Freunde mit Hardware-Techno beschäftigen. Viele haben sich auch ein Modularsystem besorgt und es immer weiter ausgebaut. Manche seien sogar so vom Basteln besessen, dass sie kaum noch dazu kommen, Musik zu machen. Chris habe das schnell durchschaut und sich deshalb gegen einen analogen Fuhrpark entschieden. Für ihn fühlt sich die Arbeit am Computer natürlich an. Auch weil er herausgefunden hat, dass sich der gefeierte analoge Klang ziemlich gut digital emulieren lässt. Die Ableton-internen Instrumente und zahllose VST-Plugins und Effekte bieten ihm alles, was er zum Musizieren braucht – da vermisst er nichts.
Ouroboros: Ein Kreislauf aus Hass und Frustration
Nun erscheint endlich sein Debütalbum, das mit seiner Berliner Zeit nichts zu tun hat. Denn es war schon vor dem Umzug abgeschlossen. The Snake That Eats Itself hat er sein Debütalbum auf Bedouin Records genannt. Aquarian hatte schon immer einen Hang zu kryptischen Benennungen seiner Produktionen. Der mythologische Ursprung dieses Bildes ist der Ouroboros, was sich wortwörtlich mit Schwanzverzehrer übersetzen lässt. Ursprünglich bekannt aus der Ikonographie des Alten Ägyptens, hat es auch in der nordischen Mythologie als Midgardschlange eine essentielle Bedeutung: Sie steht für den sich immer wiederholenden Weltkreis. Aquarian adaptiert dieses literarische Bild endloser Wiederholungen auf seine Zeit in New York – die Zeit, in der er auch sein neues Album produziert hat – und legt diese Definition negativ aus.
Er beschreibt seine Situation als einen Kreislauf geleitet von Gefühlen wie Frustration und Enge sowie von Versuchen des Ausbruchs aus dem von ihm einst geliebten New York. Es habe sich wie eine Art von Unendlichkeit angefühlt, daher auch der Tracktitel „New York, an Eternity“. Er wollte Schluss machen mit dem Gefühlschaos und weg aus der New Yorker Szene, in der nur Clubmusik gefragt war. Die Produktion dieses Albums war für Aquarian ein Versuch des Ausbruchs – Ausbruch aus seinen gewohnten Strukturen, Ausbruch aus einer Beziehung und Ausbruch aus New York. Deshalb ist „End Credits“ auch der erste Titel des Albums, er hatte mit New York abgeschlossen und der erste Schritt ins Unbekannte war getan.
„Es ist sehr einfach, gewisse Gefühle als Hass zu interpretieren.”
Auch das Gefühl von Hass spielte in diesem Prozess eine Rolle. Die beiden Tracktitel „Hate Is A Strong Word Pt. 1“ und „Hate Is A Strong Word Pt.2: Bruxist“ lassen ebenfalls die Verarbeitung von negativen Erlebnissen erahnen. Aquarian bezeichnet die beiden Titel als die emotionale Kernaussage des Albums. Seine erlebte Gefühlswelt während einer Trennung waren getrieben von Aggressivität und Trauer, was er für sich selbst schnell als Hass hätte interpretieren können. Allerdings begann er dann, sich zu fragen, was das Wort Hass denn genau bedeute. Er kam zu dem Schluss, dass es sehr einfach sei, gewisse Gefühle als Hass zu interpretieren, und dass man immer hinterfragen solle, ob man in dem Moment nicht eigentlich etwas ganz anderes fühlt.
Zu der Frage nach D.O.U.G. – angelehnt an den Titel „Sketch 2 (Song for D.O.U.G.)“ – verweist er auf die Künstlerin Sougwen Chung. Sie ist Performancekünstlerin und hat die Covergestaltung sowie ein Teaservideo für The Snake That Eats Itself konzipiert. Mit ihren Installationen versucht sie, die Dynamik zwischen Mensch und Maschine zu begreifen und darzustellen, für diese Praktik hat sie einen Roboterarm namens D.O.U.G. entwickelt. Aquarians Track ist ein Tribut an die Künstlerin und ihre Arbeit.
Was Chris in seinem New Yorker Apartment in der Produktionsphase begleitet hat, war eine Großbaustelle direkt neben seinem Fenster. Ein riesiges Gebäude wurde abgerissen und auf dessen Grund ein Hotel erbaut. Ein Geräusch, an das er sich besonders gut erinnere, sei das von in den Boden gerammten Metallpfeilern. Obwohl für ihn der Lärm direkt vor seinem Fenster eine extreme Belastung darstellte, interpretierte er die Situation als einen Spiegel seiner Seele und eine dramatische Manifestation seines Innenlebens. Während draußen der Krach seine vier Wände erbeben ließ, durchlebte er innerlich eine emotional genauso turbulente Zeit. Aquarian machte sich die industriellen, metallischen Geräusche zunutze und verarbeitete diese als Samples in mehreren Tracks seines Albums.
Insgesamt habe das Schreiben und die Aufnahme der einzelnen Stücke drei Jahre lang gedauert, 2016 stellte er das Album fertig. Wieso es bis zu der Veröffentlichung im Januar 2020 so lange gedauert hat, hatte administrative Gründe. Das eigentliche Label, das The Snake That Eats Itself veröffentlichen wollte, war eines Tages plötzlich einfach nicht mehr zu erreichen. „Das Label hat mich geghostet“, sagt Aquarian lachend, auch im Musikbusiness komme das vor. Deswegen befürchte er Verwirrung unter seinen Hörer*innen, da seine Produktionen nun in chronologisch falscher Reihenfolge herausgekommen sind. The Snake That Eats Itself ist vom Hörempfinden her als auch emotional sehr dunkel gehalten: „Meine neueren Produktionen zusammen mit Deapmash als AQXDM sind melodischer und voller positiver Energie, das war ein Prozess. Mein New Yorker Album hat den Weg dahin geebnet.“