Mit nur drei EPs und einem herausfordernden Live-Set hat object blue bereits einen wiedererkennbaren Stil entwickelt. Ihr von großen Melodien durchzogener, bassiger Techno macht sie zu einer der aktuell spannendsten Newcomerinnen. Im August fand ihr Werk seinen bisherigen Höhepunkt: Mit Figure Beside Me veröffentlichte sie eine EP über ihre Beziehung. Gemeinsam mit ihrer Frau hat sie sie zu einer audiovisuellen Live-Performance gemacht. GROOVE-Autorin Cristina Plett hat mit der gebürtigen Chinesin über ihre Inspirationsquelle und ihren Weg zur Produzentin gesprochen.
Eigentlich lässt sich object blue bei ihrer Musik nicht von ihrem Herzen leiten. „Es geht nur um meinen Heißhunger. Um meinen Appetit, bestimmte Sounds zu hören. Es fußt sehr auf Instinkt. Wie wenn du auf ein bestimmtes Essen Heißhunger hast“, sagt sie an einem sonnigen Spätsommertag in ihrer Wahlheimat London. Die 27-Jährige sitzt auf ihrem Balkon und raucht eine Zigarette, während sie per Videoanruf die Quelle ihrer Inspiration beschreibt. Ihre zweite EP Do You Plan To End A Siege? beginne beispielsweise mit einem Vogelschwarm an scharfen Hi-Hats, weil sie „zu der Zeit gerade richtig auf flashige Hi-Hats stand.”
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie sie sich so instinktgetrieben an den Laptop setzt, Ableton anschmeißt und ihren dunkel ratternden, von schimmernden Melodien durchzogenen Techno produziert. Hochkonzentriert, schnell arbeitend, vielleicht ein wenig obsessiv. Allein für jedes einzelne Liveset erstellt sie im Vorhinein eine Datei und verändert jedes Mal Details, erzählt sie. Auf der Bühne findet diese Hingabe ihr entsprechendes Bild: Bei ihrem Set für Mixmag lässt sich beobachten, wie sie kaum eine Pause einlegt. Oft laufen drei CDJs gleichzeitig, die Tracks erklingen nicht einfach, sondern werden von object blue regelrecht geformt. Und das, obwohl sie sich nicht primär als DJ sieht, sondern als Produzentin. Deswegen gibt sie auch zu: „Ich habe alle CDJs immer auf Sync.“ Dass das als No-Go gilt? „Ist mir egal. Es gibt mir Zeit, andere Sachen zu machen, Samples reinzubringen, sie wieder rauszunehmen. Es geht mir nicht um konsistentes Beatmatching. Ich mag es, wenn es chaotisch wird.“
Wohnort:
London
Seit wann am Produzieren:
„Ich begann damit 2014. Ich wollte schon immer Musik machen, aber ich wusste einfach nicht genau wie. Ich hatte mir Logic runtergeladen, als ich 17 war, weil ich es wirklich ausprobieren wollte. Es funktionierte nicht für mich, ich kam nicht rein und dachte mir: ‚Ich bin einfach eine schlechte Künstlerin, warum sich damit aufhalten.‘ Aber dann, als ich 22 war, wollte ich es wirklich wissen.“
Dein erster richtiger Gig:
„Mein erstes Live-Set war ein paar Monate vor meinem ersten DJ-Set. Es hatte mit Siren zu tun [queerfeministisches Kollektiv aus London, Anm. d. Verf.]. Sie lebten in einem leerstehenden Pub und im Keller gab es Veranstaltungen. Diese Veranstaltung wurde aber von der Partyreihe Cherche Encore organisiert. Es war mein allererstes Set, ich dachte, vielleicht mache ich das schrecklich. Ich dachte, es wird vielleicht langweilig und repetitiv. Aber als ich fertig war, meinten die Leute, ich hätte noch eine Stunde weiterspielen können und sie hätten sich nicht gelangweilt. Das war schön.”
Was auf deinem Hospitality Rider nicht fehlen darf:
„Sprudelwasser und Limetten. Ich liebe es Alkohol zu trinken, aber manchmal weiß ich, dass ich das nicht tun sollte. Vor allem wenn ich viele Gigs hintereinander spiele. Also will ich einfach etwas Erfrischendes und Gesundes. Obst auch, weil ich so ein Snack-Mensch bin.“
Diesen Track höre ich in letzter Zeit gerne:
„‚Passion Peace‘ von Lighght. Der Track hat diese sehr euphorische Synth-Melodie und keine Kickdrums oder so, er geht einfach nur durch sein Songwriting nach vorne. Er hat auch diesen sehr euphorischen, ravigen Sound, den ich gerade sehr mag. Deswegen spiele ich den Track meistens gegen Ende meines Sets. Ich nehme alle Drums weg und die Leute wundern sich. Dann bringe ich sie langsam wieder rein und die Leute rasten komplett aus. Total ekstatisch, euphorisch, glücklich. Ich liebe es.“
Das würde ich machen, wenn ich keine Musikerin wäre:
„Ich wäre wahrscheinlich Parfümeurin. Ich bin verrückt nach Parfüm. Ich glaube, Parfüm und Musik sind sich ziemlich ähnlich. Denn beides sind Medien, die auf sensorischen Erfahrungen basieren. Es riecht gut und deswegen magst du es. Das ist nicht wie ein Buch zu lesen, es sind nicht diese klaren, kohärenten Ideen, denen du strukturiert folgst. Es ist etwas, was du spürst und erlebst.“
Die auf Chaos gebürstete Einstellung hört man ihren Produktionen an. Vor allem einer ihrer frühen Tracks, „In The Station Of The Metro“, zittert ungerade und zwischen glasklarer und lofi-iger Percussion vorwärts wie ein Aal. Es war der Track, der sie erstmals einem größeren Publikum bekannt machte. „Das war dank Machine Woman. Sie teilte den überall und verlinkte Seiten wie Fact Magazine. Dann meldete sich Objekt bei mir und sagte, dass er den Track sehr gerne spielt“, erzählt sie. Das war 2016. „In The Station Of The Metro“ – übrigens auch der Titel eines Gedichtes von Ezra Pound – mag sie nicht mehr so, sagt object blue, der Track klinge nicht wie sie. Der Grundstein war dennoch gelegt. Zwei Jahre vorher erst hatte sie angefangen, sich Ableton beizubringen. Nach London war sie eigentlich gezogen, um Britische Literatur mit dem Schwerpunkt Dramen des 20. Jahrhunderts zu studieren. Musik aber hatte sie schon immer machen wollen. Irgendwann würde sie jedoch gern ihre Liebe zum Theater und zur Musik verbinden: „Ich würde wahnsinnig gerne Tongestaltung fürs Theater machen.”
Erste Tracks veröffentlichte sie dann nach rund einem Jahr, in dem sie das Produzieren lernte. Auch wenn sie nicht daran glaubte, jemand würde sich das anhören – das nötige Selbstbewusstsein hatte object blue dennoch: „Mir ist immer wichtiger, was ich über meine Musik denke, als was andere Leute darüber denken“, sagt sie heute. Den Schritt von der Home-Producerin zur Live-Performerin tat sie wiederum nicht allein. Sie wurde von Bekannten gefragt. Und vertraute da ganz deren externem Urteil: „Sie haben einen sehr guten Geschmack, also meinte ich: Okay, selbst wenn ich mich noch nicht ganz bereit fühle – wenn sie wollen, dass ich meine Musik spiele, sollte ich dem einfach vertrauen.“ Wenn es schon Leute hören wollen, sagt sie, solle man sein Ego ein wenig zurückstellen. Sich mit seinem Live-Set hinauswagen, auch wenn man sich seiner Sache nicht ganz sicher ist: Genau dabei kann wohl die Messiness rauskommen, die object blue so gern mag.
Das heißt aber nicht, dass object blue nicht auch perfektionistisch ist: „Ich spiele selten ein Live-Set, von dem ich sage: Das war wirklich gut“, sagt sie. Und das noch nach drei Jahren, in denen sie in vielen Londoner Underground-Clubs und in jüngster Zeit auf großen Festivals und Clubs europaweit gespielt hat. Mehr noch: Es begleitet sie die gleiche Sorge, die sie auch bei ihrem ersten Live-Gig hatte: „Nach so 30 Minuten denke ich: ‚Oh Gott, ich habe kein Material mehr, alle langweilen sich sicherlich, was mache ich?‘“ Es sei jedes Mal unglaublich stressig, aber auch sehr belohnend. „Ein Crashkurs im Produzieren“ sei für sie jeder Live-Auftritt.
Ihre Musik hat sich dementsprechend organisch weiterentwickelt. Die Percussion spielt immer noch eine große Rolle, doch gleißende Melodien werden immer wichtiger. So beispielsweise bei ihrem Remix für Murlo, der fast komplett ohne Elemente im Bassbereich auskommt, jedoch viel Platz lässt für die Entfaltung von träumerischen Arpeggios. Am deutlichsten merkt man das bei der jüngsten EP Figure Beside Me vom August 2019. Es geht in Richtung Deconstructed Club. Eine gewisse Sanftheit, die in ihren zwei vorherigen Releases angelegt war, jedoch nie ganz zum Tragen kam, findet Ausdruck. Denn etwas Entscheidendes war anders: object blue hat sich nun zum ersten Mal von ihren Gefühlen inspirieren lassen. Es geht um nichts Geringeres als Liebe. Die EP speist sich aus ihrer Beziehung mit der bildenden Künstlerin Natalia Podgorska. Erst diesen Sommer haben sie geheiratet. Auf den Hochzeitsfotos strahlt object blue, sie wirkt gelöst – entgegengesetzt der leichten Zurückhaltung und Konzentration, die sie im Interview ausstrahlt.
Einen Tag nach der Hochzeit erschien Figure Beside Me. Den künstlerischen Höhepunkt erreichte das Projekt dann zwei Wochen später, als sie die EP live performte. Die Visuals hatte ihre Frau Podgorska produziert. „Weil dieses Album von ihr handelte, meinte ich zu ihr: ‚Es macht keinen Sinn, dass jemand anders die Visuals macht. Du bist einzige Person, die das machen kann. Und wenn du es nicht machen willst, habe ich einfach keine Visuals‘“, erzählt object blue. Aus demselben Grund sei Podgorska die Zusammenarbeit nicht schwer gefallen – sie hätte einfach ihre Perspektive auf die Beziehung visuell umgesetzt.
So persönlich der Inhalt war, so intim wollte object blue auch, dass der Abend ist. „Ich nahm allen ihre Handys weg“, erzählt sie. Dann schallte eine Ankündigung durch den Raum, die den Grund dafür erklärte: „Wenn jemand sich mit dir hinsetzen würde und dir etwas sehr Persönliches erzählen würde, nur ihr zwei, da würdest du ja auch nicht ans Handy gehen, oder? Du würdest nicht in der Mitte des Gesprächs aufstehen und zum Klo gehen. Also behandelt es so. Ich will euren Respekt und eure Aufmerksamkeit.“ Ein Gedanke, mit dem sie dem sie das Herzblut, das sie in die Platte gesteckt hat, würdigt.
Das Projekt war der vorläufige Höhepunkt von object blues musikalischer Karriere: „Ich denke, ich bringe gerade das Beste raus, was ich machen kann.“ Dennoch blickt sie ehrgeizig in die Zukunft: „Ich bin gespannt darauf, was ich in fünf Jahren machen werde. Denn hoffentlich bin ich dann sehr viel besser.“
Übrigens: Am Freitag, den 10. Januar 2020, spielt object blue im Robert Johnson.