fabric presents Amelie Lens (fabric)

Teschno! Amelie Lens aus Antwerpen macht die nächste Ausgabe der Reihe Fabric presents. Sie braucht nicht lange zum Aufwärmen. Schon nach wenigen Minuten bewegt sich der Mix mit runden Four-to-the-floor-Beats und Signal-Samples durch einen Raum in Warehouse-Dimensionen. Die Tracks stammen von Pär Grindvik, Nur Jaber oder Amelie Lens selbst. Beim Schreiben über diesen Sound, am Schreibtisch unter dem Zeichen des rationalen Gottes Apollo, muss man sich schon eine Vorstellung davon verschaffen, wie die Tracks zumindest auf Hardwax-Preview-Schnipsel-Länge klingen. Dann funktioniert auch die Übertragung auf die dionysischen Dimensionen dieses Mixes. Amelie Lens jettet mit diesem Sound längst um die Welt. Hier wird klar, wie das geht: Den großen Bogen aufzeigen, auf Wiederholungen vertrauen, Feinheiten einbauen, Härte auf- und wieder abziehen lassen. Dann kommt der Mix ins Rollen und verträgt auch cheesige Moment wie auf verführerisch gemachte stereotype Frauenstimmen, die immer wieder „Rave with me“ flüstern. Christoph Braun

VÖ: 21. November 2019

Kamaal Williams – DJ-Kicks (!K7 Records)

Kamaal Williams, die zum Islam konvertierte Jazz-Inkarnation des House- und Beat-Produzenten Henry Wu, gilt schon seit ein paar Jahren als Aushängeschild der jungen Jazz-Szene Londons. Dass er für die siebzigste Ausgabe der DJ-Kicks-Compilation ausgesucht wurde, ist als Anerkennung dieser Szene und seiner Rolle darin zu verstehen. Williams weiß das zu nutzen und will seine Zusammenstellung als Hommage an die Londoner Beatmaking-, House- und Jazz-Akteure des Londoner Undergrounds verstanden wissen. So ist es keine Überraschung, dass ein beachtlicher Teil der Stücke von ihm selbst und seinen Homies kommt.

Williams mag es rau und unverstellt, und so ist es nur konsequent, dass er komplett ohne Mixing arbeitet und die Stücke unbearbeitet hintereinander legt. Die atmosphärische Klammer der Vinyl-Version, von Budgies souliger Verwurstung des Traditionals „Sometimes I Feel Like A Motherless Child” bis zum seichten Piano-„Shinjuku” von Williams selbst, ist absolute Smoothness. Die sachte voranschreitende Hirnvernebelung wird hier höchstens durch den treibenden Polizeisirenen-Sample-Track „Sirens” von Hard House Banton aufgebrochen. Ein Stück weit geht so die Dynamik der überlangen Digital-Version verloren, auf der Gems wie „It’s All In The Groove” von City People oder „Space Invader” von Lord Tusk vertreten sind. Doch ein stimmiges Bild von sich, seiner Stadt und seiner Crew gibt Kamaal Williams mit dieser Compilation so oder so ab. Steffen Kolberg 

Nobu presents Beyond Space And Time 001
(Beyond Time And Space)

Vor einigen Jahren schockierte Claire Danes die USA mit ihrer Berghain-Beichte. Talkerin Ellen DeGeneres wusste nicht mehr, was sie sagen sollte: Wie? Techno? Nackt? Im Ledergeschirr? Die Cool-Kids waren sich damals schon einig, dass Danes’ Erfahrung nicht real sei und davon im TV zu berichten total peinlich und so. Und gleichzeitig stellt man sich die Romeo+Julia- und My So-Called Life-Darstellerin ganz unsicher auf der Berghain-Tanzfläche vor, wie sie ihre ersten Schritte macht und langsam immer tiefer einsteigt. Vielleicht mal an der Klobar vorbeischaut und ihre Erfahrungen macht und weiter und weiter eintaucht in diese (für sie) faszinierende, weil fremde Welt. Und später am Sonntag Abend besoffen, bekifft und whatever die Augen kaum noch auf bekommt und vor der Kanzel steht – und da vom Priester in DJ-Gestalt aka DJ Nobu die Messe gelesen bekommt. Transfiguration, also Lichtwerdung, garantiert.

Lustigerweise scheint diese Compilation auf dem neuen Label Beyond Space And Time völlig überflüssig. Mit einer Playlist aus Laurent Garnier, Psychick Warriors Ov Gaia und Burial überrascht man wohl niemanden. Und doch: Diese zehn Tracks, die allesamt Nobu-Favoriten sind, könnten genau der Soundtrack zum Berghain-Erstkontakt sein, den keiner braucht, aber jeder zweite gut gebrauchen könnte. Eine Lehrstunde über die Ursprünge, ein 1×1 des Technos. Und deswegen eben doch absolut hörenswert. Lars Fleischmann

VÖ: 25.11.2019

Supergau – 5 Years of Love On The Rocks (Love On The Rocks)

Disco, Proto-House, Synth Wave, New Beat, Acid und Balearic bilden die Koordinaten, zwischen denen Paramida ihr seit 2014 von Berlin aus betriebenes Label verortet hat. Zur Feier des fünfjährigen Jubiläums erscheint eine Compilation in Form von vier EPs, die es in sich hat. Jeder der 16 exklusiven Tracks stellt für sich allein genommen bereits ein unschlagbares Argument für diese Zusammenstellung dar. Neben Artists, die das Labelprofil der vergangenen fünf Jahre maßgeblich mitgeprägt haben – stellvertretend seien Massimiliano Pagliara, Fantastic Man, Violet, Elles, Etbonz und Alex Kassian genannt – stehen Neuzugänge wie Francis Inferno Orchestra, der Münchner Producer Bartellow und nicht zuletzt Rub’n’Tug-Veteran Eric Duncan. Mit Kornél Kovács, Daniela La Luz und Hermann Kristoffersen sind auch Künstler vertreten, die man nicht auf den ersten Blick mit Love On The Rocks in Verbindung gebracht hätte. Mit Supergau präsentiert Paramida eine Juwelen-Kollektion, von der eine geradezu balsamische, heilsame Wirkung ausgeht. So braucht Supergau den Vergleich mit ihrer kürzlich vorgestellten Compilation-Top-Five, etwa den „Balearica“-Zusammenstellungen oder der von Tony Humphries für Phil Souths grandioses Label Golf Channel compilierten „Mangiami (La Compilation)“ nicht zu scheuen. Ganz groß. Harry Schmidt 

The World of Monnom Black II (Monnom Black) 

Backenzähne durchgekaut, drei Liter rausgeschwitzt, immer noch druff. Wenn Dax J die Tore zu seinem Monnom Black-Bunker aufstößt, stampfen Beine auf Beton, bis man den Laden in seine Einzelteile zerlegt hat. Statt Rosen klemmt man sich verrostete Gitterstäbe in den Mund und ballert Kick Drums durchs Mischpult, dass das Ding vor Gnade winselt. Hat hier jemand Peak Time gesagt? Scheiße ja. Raus mit den Gedanken, rein in den Darkroom. Jetzt wird gelötet! Die zweite Monnom Black-Compilation ist der verchromte Mercedes, der mit 220 Sachen über deutsche Autobahnen donnert und die ganzen Renaults und Toyotas mit eingeschalteter Lichthupe von der linken Spur räumt. Sorry Jungs, wir haben’s eilig. UVB, Buried Secrets und LDS suchen verzweifelt den siebten Gang, VTSS fingert an den Plüschwürfeln rum, DIMI (der von AnD) packt auf der Rückbank seine 303 aus und Hadone labert die ganze Zeit von dieser abgefahrenen Trance-Party von 1992, während Aahan die Beine zusammenzwickt und der Labelboss mit dem Remix zu einem Tellurian-Banger das Pedal bis ans Bodenblech durchdrückt. Pinkelpause auf ranzigen Raststätten? Is nich. Dafür rauschen wir durch die Dunkelheit der Nacht wie überhitzte Subwoofer am Mainfloor und sind total happy, dass an der Bar ein bisschen Old-School-Hip-Hop von Hive läuft. Ein Wasser, bitte! Christoph Benkeser

VÖ: 29.11.2019

X – Ten Years Of Artefacts (Stroboscopic Artefacts) 

Fast jede Schmiede zukunftsträchtiger Elektronik, die etwas auf sich gibt, hat in den letzten Jahren Sampler mit Exklusiv-Tracks präsentiert, die ein ums andere Mal ihresgleichen suchen. Ein Ende? Nicht in Sicht: Luca Mortellaros Stroboscopic Artefacts feiert nun auch eine Dekade Bestehen – und was für ein Ritt diese zehn Jahre doch waren! 13 Cuts wurden dafür von dem Berliner Produktions-Ass versammelt, der als Lucy zuletzt 2016 mit dem schamanistisch inspirierten Self Mythology eines der wirkmächtigsten Techno-Konzeptalben seit sonst wann veröffentlichte. X – Ten Years Of Artefacts ist abermals ein stroboskopischer Rückblick (bereits vor fünf Jahren gab es in Form von fünf EPs einen) auf die Geschichte des Hauses, das sich einerseits mit Konzeptserien wie Monad oder Stellate zu den fortschrittlichsten seines Metiers zählen darf. Andererseits aber auch durch Releases von A wie Alessandro Adriani (Morphic Dreams) bis Z wie Zeitgeber (Zeitgeber) jüngst tiefe Brandmarken im Gegenwartsgeschehen der Clubkultur hinterließ. Ist Letzteres eine Kollaboration Mortellaros und dem Rotterdamer Szene-Urgestein Jochem Paap aka Speedy J, so eröffnet die vorliegende Kompilation mit dem bedrohlich flackernden „Tripholium” von The Lotus Eaters, einem weiteren Teamwork zwischen Lucy und Rrose. Abstrahiert von jeder Party-Atmosphäre, zeigen danach auch Shifted und Efdemin, wie repetitiver Techno mehr Kopfkino als Tanzwut auslösen kann, während Luke Slater alias L.B. Dub Corp einen herbstlich kühlen Comedown auf dem Dach jenes alten Heizkraftwerks in Friedrichshain initiiert. Bis in die Zehen hinein erschrickst du, weil der wummernde Gebäudekörper plötzlich sein Maul öffnet und im Inneren nun Rrose und Lucy solo Rituale feiern – erst mit „The Myth Of Purity” dann für „The Goat God”. Auch James Ruskin ist dabei und macht klar, dass „From Here On” erst mal dicht durchgetanzt wird, bis das Special-K die „Paralysed Spheres” von Denise Rabe freigibt – Ego-Auflösung durch Bullet-Time-Industrial, langsam explodieren inmitten kosmischer Pads. Die Atemluft schwindet, doch „Double Down” gibt dir noch etwas Zeit bevor Adriana Lopez und Chevel widersprüchliche Nervosität durch’s Stahlgebälk über den Säulen jagen. Indes zeigt sich Alessandro Adrianis „Two Journeys” zunächst als hallende Studie des Amen-Breaks, geht dann aber sukzessive via Acid-Sounds in einen Rave alter Schule über. Wenn Serena Butler abschließend noch in „Giubia“-Samples von Regen unter schimmernden Höhen plätschern lässt und das Voiceover davon redet, wie das System uns nicht erlaubt, alle gleichberechtigt Menschen zu sein, klingt das vielleicht trivial – ist es aber nicht. Nils Schlechtriemen


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