Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Patrick Savile (Foto oben: Presse)
Die retrofuturistischen Illustrationen des Briten Patrick Savile sind voll von Okkultismus und anachronistischer Tech-Euphorie. Von abstrakten Vektorgrafiken bis hin zu hyperrealistischen Airbrush-Werken kreiert er vielschichtige Illustrationen für Albumcover, Flyer und Skateboard-Decks – und errichtet nebenher eine utopische neue Bildwelt.
Patrick Savile geht es nicht darum, Geschichten zu erzählen. Mit seinen Illustrationen will der britische Künstler primär Stimmungen erzeugen, Atmosphären schaffen und den Betrachter mit mehr Fragen als Antworten zurücklassen. Savile variiert zwischen Abstraktion und Figuration, für The Village Voice kreierte er einen Chrom-Skorpion mit komplexen dreidimensionalen Schattierungen, für NTS Radio geradlinige Screenprints. Gemein ist seinen Werken dabei stets diese Ambiguität, mit der es ihm treffsicher gelingt, Klangräume in Bilder zu übersetzen. Zur elektronischen Musik fand er früh: Noch bevor er begann, selbst auf Raves zu gehen, sammelte er als Jugendlicher begeistert die Flyer, die er in den Plattenläden fand. Einige Jahre später warb er mit selbstgestalteten Exemplaren vor Drum’n’Bass-Clubs für seine eigenen Partys.
“Rigide Prinzipien wie Layouten und Hierarchisieren liegen mir einfach nicht.”
Patrick Savile
Geflyert wird heute vornehmlich im digitalen Raum. An Saviles Leidenschaft für die Bebilderung von Musikveranstaltungen hat das wenig geändert. Seine Flyer und Plakate sind zumeist abstrakt und atmosphärisch: Pulsierende Linien irgendwo zwischen Turing-Muster und Zebrastreifen für ein gemeinsames Event von Rhythm Section und African Acid Is The Future, hypnagogische Gaswolken und Prozessor-Lettering für die Partyreihe Silent Night. Die Fonts für seine Plakate gestaltet Savile in den meisten Fällen selbst – sie sollen außerhalb bereits existierender Schriftarten und den mit ihnen verbundenen Konnotationen stehen. Bei der Gestaltung seiner verpixelten, verspiegelten und arabesken Lettern kommt ihm das Typographie-Wissen aus seinem Grafikdesign-Studium zugute – auch wenn er sich schnell von den normativen Lehren der Disziplin abwandte: „Rigide Prinzipien wie Layouten und Hierarchisieren liegen mir einfach nicht.”
Am liebsten hat Savile komplett freie Hand. Gewährt wird ihm diese meist bei der Gestaltung von Flyern und Plakaten, beispielsweise aber auch bei seiner Arbeit für Bokeh Versions. Savile ist verantwortlich für das Logo des Bristoler Labels und gestaltete für die von ihm vertretenen Künstler*innen zahlreiche Plattencover. Hieroglyphenartige Figuren mit präzisen Umrissen und Schraffuren zieren Sear Urchins esoterisches Ambient-Album Tahib, das den Namen einer ägyptischen Stockkampfkunst trägt, anachronistische Biohacking-Illustrationen bebildern Xaos düsteres Elektro-Genesis-Album Eternal Care Unit. Auf dem Cover zu Mars89 hauntologischem End of the Death schwebt ein verchromter Raumschiff-Tabletten-Hybrid im Limbus, für Jay Glass Dubs’ dystopisches Goth-Industrial-Album Epitaph malte Savile eine hyperrealistische geschälte Zitrone. “Ich habe keinen einzelnen kohärenten Stil,” erklärt Savile. „Unterschiedliche Projekte brauchen unterschiedliche Ästhetiken, und ich will sie alle machen!”
Bevor Savile ein Cover gestaltet, unterhält er sich mit den Musiker*innen über die Texte, die sie während ihres Schaffensprozesses gelesen, und die Themen, mit denen sie sich auseinandergesetzt haben: „Ich will wissen, aus welchen Konzepten und Ideen sich das Album speist.” Wer sich mit Saviles eigenen Referenzen und Inspirationen auseinandersetzt, gerät in einen Vortex aus Science Fiction, esoterischer Theorie und biomorphen Formationen. Savile hat sich mit Schöpfungsmythen, Chaosmagie und Theosophie auseinandergesetzt und auch okkulte Symbolik findet immer wieder ihren Weg in die Werke des Künstlers, der bereits mehrere Tarotdecks gestaltet hat. Frühe Formen der Computerkunst beeinflussen seine Arbeit ebenso wie Sci-Fi-Buchcover aus den Siebzigern. Seine Formsprache ist inspiriert von den 90er-Rave-Werken des Künstlers Pez, Ken Prices poppig-abstrakten Keramiken und Jean Giraud, der unter dem Pseudonym Mœbius traumartige Fantasy-Landschaften vor pastellfarbenen Horizonten schuf.
Aus Savile spricht die Nostalgie für eine Zeit, als Softwares noch individualisierbar waren, jeder einen selbstprogrammierten Blog hatte, der auf eine charmante Art scheiße aussah, das Internet ein anarchischer Raum war und Computer Maschinen, die Freiheit verhießen.
Saviles Vater ging zur Automobildesign-Schule und gab sein Wissen über Airbrush-Techniken an seinen Sohn weiter. Wenn er Zeit für persönliche Werke findet, greift Savile auf die aufwändige Technik zurück und besprüht Oberflächen mit hunderten Farbschichten. „Es gibt diesen unkontrollierten Aspekt daran, der mich begeistert – es entstehen einmalige Texturen und kleine Farbspritzer, die man nur von Nahem erkennt,” schwärmt er. Wenn Airbrush von Hand zu zeitaufwändig ist, übersetzt er die Technik ins Digitale. Savile fertigt handgezeichnete Skizzen auf Millimeterpapier an, scannt sie ein und arbeitet sie dann auf Photoshop aus. Mit bis zu fünfhundert Masken kreiert er überwältigend detaillierte Werke wie die Deck-Motive, die er für April Skateboards anfertigte. Die Rose aus Chrom, das Metallgehäuse des Smartphones, auf dem sich eine Roboterhand einer menschlichen entgegenstreckt, sind hochglänzender als die Realität. Auf seinem Instagram-Account zeigt Savile Ausschnitte der Illustrationen. „Das sind Details, die man vermutlich nicht mal auf den Boards richtig erkennt. Deshalb würde ich alle diese Werke gerne mal als richtig detaillierte Drucke in einer Ausstellung zeigen – allein schon für mich selbst!”
Deutlich spürbar ist Saviles Detailverliebtheit in seinen Illustrationen für Audreys R’n’B-Single „Time”. Acht unterschiedliche Synthwave-Smart Watches hat er für das Cover entworfen, sie erinnern an Baby-G auf Acid und auch als armbanduhrloser Millennial will man sie unbedingt alle besitzen. „Aah, it was a more complicated time”, kommentiert Savile auf Twitter eine Ansammlung an Media Player-Skins aus den Neunzigern, die seinen Uhren nicht unähnlich sehen. Aus ihm spricht die Nostalgie für eine Zeit, als Softwares noch individualisierbar waren, jeder einen selbstprogrammierten Blog hatte, der auf eine charmante Art scheiße aussah, das Internet ein anarchischer Raum war und Computer Maschinen, die Freiheit verhießen.
Auch wenn es ihm nicht ums Geschichtenerzählen geht: Mit seinen Werken schafft Savile ein visuelles Gegennarrativ zur cleanen und durchminimalisierten Tech-Ästhetik der heutigen Zeit. Wenn er Solarzellen und Mobiltelefone im Retro-Science Fiction-Stil darstellt und Heilkristalle und lavalampenartige Elemente durch den digitalen Raum schweben lässt, dann beschwört er eine Vergangenheit herauf, in der sich Technologie und Utopie noch gemeinsam denken ließen. Auch wenn Savile selbst wenig optimistisch in die Zukunft blickt, plädieren seine Werke für einen verspielteren und damit auch kollaborativeren und selbstermächtigteren Umgang mit den Technologien unserer Zeit. Die Rückwärtsgewandtheit seiner Arbeit kann man deshalb getrost als wegweisend bezeichnen.