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Steve Beckett: „Die Leute standen an der Bar und unterhielten sich. Dann kam der Bass.”

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Fotos: Dominik Gigler / Erstmals erschienen in Groove 118 (Mai/Juni 2009)

Am 17. August 1989 erschien mit Forgemasters‘ „Track With No Name” die erste Platte auf Warp Records. Dreißig Jahre später ist Warp neben XL Recordings eine der wenigen noch existierenden Plattenfirmen aus der Rave-Gründerzeit – und heute erfolgreicher denn je. Der frührere Groove-Chefredakteur Heiko Hoffmann hat im Jahr 2009 mit Warp-Gründer Steve Beckett (55) über die ersten Jahren des Labels, über Trockeneis, Ecstasy und berstende Soundsysteme gesprochen. Aus gegebenem Anlass veröffentlichen wir das Interview zum ersten Mal digital.

Gleich hinter der Eingangstür zum Warp-Büro im Norden Londons begrüßt einen das alte Schild: Das Warp-Logo, eine gestauchte Weltkugel mit Blitz darüber, hing schon vor zwanzig Jahren über dem gleichnamigen Plattenladen im nordenglischen Sheffield. Auch einige Stühle in Warp-Lila haben den Umzug vor einigen Jahren in die englische Hauptstadt mitgemacht. Im Großraum-Büro arbeiten heute zwanzig Mitarbeiter, im Hintergrund läuft House. Eine Wandtafel kündigt die nächsten Veröffentlichungen von Tim Exile, Grizzly Bear und Maximo Park an. Darunter steht geschrieben: „Happy 20th Birthday Warp”. Labelboss Steve Beckett sitzt an seinem Computer. „Bin gleich fertig”, ruft er herüber, „ich muss nur noch ein paar Rechnungen überweisen.”

Steve, was ist der erste Gedanke, der dir in den Sinn kommt, wenn du an das Jahr 1989 denkst?

Trockeneis! (lacht) Wenn ich mir meine alten Notizbücher aus der Zeit anschaue, steht dort immer an erster Stelle: „Trockeneis”. Das war damals das Wichtigste. Ich musste immer Trockeneis für Clubnächte besorgen, mit denen wir zu tun hatten. Und es war gar nicht so einfach, das zu kriegen. Ich wollte nicht einfach diesen Nebel haben, der in die Luft schießt, sondern Trockeneisnebel, der sich langsam am Boden ausbreitet. Vermutlich war ich im Herzen noch ein Goth. (lacht)

Mitte der Achtziger warst du in Wirklichkeit noch ein Indierock-Fan. Was hat dich zur Dance-Musik bekehrt?

Nun, Ecstasy hatte wohl auch etwas damit zu tun. Ich hatte von dem Zeug in einer Zeitschrift gelesen. Irgendwann kam dann ein Kumpel an und tönte: „Ich hab’s, ich hab’s.” Ich habe die Musik zwar auch schon vorher mitbekommen, erst Chicago House, dann Acid, dann die Sachen aus Detroit. Aber diese Musiken wurden nur in recht kleinen Läden gespielt. Erst als Ecstasy dazukam, explodierte das Ganze. Wir hatten wirklich ein quasi-religiöses Erlebnis, als wir damals das erste Mal House zu Ecstasy gehört haben.

Bevor Warp gegründet wurde hast du mit Rob Mitchell einen Plattenladen betrieben.

Zuvor war ich an die Uni gegangenen und hatte Bergbau studiert, Rob war Landwirt. Das war eigentlich ein typischer Indierock-Laden, als wir ihn ’87 übernommen haben. Aber als die Dance-Importe aus den USA und Acid kamen, nahm diese neue Musik immer mehr Regalfläche ein. Bigshot, Nu Groove, Trax, Transmat – das waren damals die Labels, die bei uns am besten gingen. So wurden wir zum Zentrum der House-Szene in Sheffield. Wir waren ein Anlaufpunkt für die Partyveranstalter, die ihre Tickets bei uns verkauft haben. Mittwochs und samstags fanden die besten Partys statt. Und wir halfen ihnen, indem wir Licht oder Trockeneis besorgt haben.

Wir wurde aus dem Laden das Plattenlabel Warp?

Viele DJs kamen zu uns in den Laden, und einige arbeiteten auch bei uns. Winston Hazel und DJ Parrot zum Beispiel. Sie waren die beiden DJs, die in Sheffield zu der Zeit die Szene angetrieben haben. Damals war es üblich, abends im Club DATs zu spielen, um eigene Tracks zu testen. Produzenten kamen zu uns in de Laden, um Winston DATs zu geben, damit er sie vielleicht am Abend spielt. Wir hörten also bei der Arbeit ständig unveröffentlichte Sachen, und so kam uns die Idee, ein eigenes Label zu starten. Der Plattenladen Eastern Bloc hatte das in Manchester schon mit seinem Label Creed Records und 808 State gemacht und gezeigt, dass man wirklich Platten verkaufen kann. Wir gingen auch in die Clubs und fragten DJs gezielt nach white labels und unveröffentlichten DAT-Aufnahmen. So entdeckten wir für uns zum Beispiel LFO und Nightmares On Wax, bevor sie eine Platte draußen hatten. Heute hat man für so etwas ja Myspace.

Du hast Warp zusammen mit Rob Mitchell und Rob Gordon gegründet.

Rob Gordon war ein Toningenieur. Das war sein Vollzeitjob. Er arbeitete damals im FON Studio, wo auch The Human League Platten aufgenommen haben. Rob hatte an einigen wichtigen Platten mitgearbeitet, unter anderem welche von Pop Will Eat Itself und Age Of Chance. Von ihm stammte auch die allererste Veröffentlichung auf Warp: Forgemasters’ „A Track With No Name”. Er hatte also einige Erfahrungen, was die tatsächliche Plattenproduktion anbelangt, und hat auch alle frühen Warp-Platten gemischt. Rob Mitchell und ich haben uns im Laden um das A&R und die geschäftlichen Belange des Labels gekümmert. Ich bin damals mehr ausgegangen als Rob Mitchell und habe so neue Tracks entdeckt. Er hat sich mehr um die Herstellung und die Buchhaltung gekümmert. Später haben wir dann unseren Künstlerstamm aufgeteilt, weil es zu viel für eine Person wurde.

Sheffield hatte in den Achtzigern einen ziemlich guten Ruf für seine Elektronik-Szene. Zum Beispiel kamen The Human League, Heaven 17 oder Cabaret Voltaire aus der Stadt. Hat das eine Rolle für Warp gespielt?

Auf jeden Fall! Aus Sheffield kamen einige der besten Postpunk- und Industrialbands. Wir haben also von einer bereits existierenden Infrastruktur profitiert. Nimm zum Beispiel die Studios. Da gab es das von Richard H. Kirk von Cabaret Voltaire, der dann ja auch für uns gearbeitet hat und in dessen Studio einige Leute ihre Tracks aufgenommen haben. Mark Brydon hatte mit FON auch ein gutes Studio. Er hatte damals einen Riesenhit – „House Arrest” unter dem Namen Krush – und gründete später Moloko. In Sheffield gab es zudem eine eigenständige Clubszene mit einem gemischten Publikum und weniger Drogen als zum Beispiel in Manchester oder London. HipHop, R’n’B und Acid liefen bei uns alle in derselben Nacht. Bei uns gab es eine stärkere Betonung von Funk und dem Bass.

1989 befand sich House in einer Phase des Übergangs. Der Acid-Hype war in England bereits vorbei, aber eine Rave-Szene fing gerade erst an, sich zu formen.

Ja. Und das Jahr war auch deshalb besonders interessant, weil damals eine ganze Reihe von britischen House-Produzenten erstmals in Erscheinung getreten ist. Auf der einen Seite gab es sehr kommerzielle House-Projekte, zu denen in der Zeit auch Cabaret Voltaire zählten. Auf der anderen Seite gab es Underground-UK-Produzenten wie 808 State, A Guy Called Gerald oder Unique 3, die ihre Version von Detroittechno und Acid machten. Es kam wirklich zu einer Explosion von D.I.Y.-Musik.

Warp 001 von Forgemasters

Mit euren ersten Veröffentlichungen von Forgemasters, Sweet Exorcist und Nightmares On Wax habt ihr gleich einen eigenen Stil begründet: Bleep!

Es gab damals eine Reihe von Platten, auf denen diese bleepigen Sounds im Vordergrund standen. Unique 3 haben das wohl als Erste gemacht, leider haben wir das nicht veröffentlicht. Jedenfalls lösten diese Tracks Chaos in den Clubs aus. Und dann erst die Bässe! Damals gab es eine Art Wettlauf darum, wer den fettesten Bass hat. Aber eigentlich waren es auch nur diese drei Platten von Forgemasters, Sweet Exorcist und Nightmares On Wax auf Warp, die man „Bleep” nennen konnte. Die Forgemasters hatten sich extra zu dem Zweck gegründet, einen Track für das Label zu machen. DJ Parrot produzierte mit Richard H. Kirk von Cabaret Voltaire unter dem Namen Sweet Exorcist den Track „Testone”. Und Nightmares On Wax brachten uns „Dextrous” auf einem Tape in den Laden. „Tricky Disco” von Tricky Disco folgte etwas später und basierte auf einem Sweet-Exorcist-Sample. Wir nannten die Musik damals übrigens weder „Bleep”, noch „Techno”. Für uns war Techno ausschließlich der Sound, der aus Detroit kam. Wir nannten die Musik nur „Northern House”.

Schon die ersten Warp-12-Inches waren sehr erfolgreich. LFO toppten das aber noch. Plötzlich hattet ihr einen Charthit!

Wir hatten LFO kontaktiert, weil wir einen Track von ihnen im Club gehört haben. Das waren schwere Breakbeat-Tracks. Sie haben uns dann Tapes gegeben. Nach ungefähr 25 Tunes hörten wir auf einmal den Track „LFO”. Uns war klar, dass wir das rausbringen mussten. Wir haben das Stück fünf oder sechs Mal schneiden lassen, um den Bass richtig hinzubekommen. Der Track wurde dann tatsächlich zum Soundsystem-Zerstörer. Das wurde schnell zu einem Mythos – aber tatsächlich häuften sich die Beschwerden, dass in den Clubs die Bassboxen kaputtgingen. In Sheffield vibrierten zumindest die Fensterscheiben und Gläser im Club. Das war schon ein komischer Moment: Die Leute standen an der Bar und unterhielten sich. Dann kam der Bass: Bbbwwvvvv… Bbbwwwvvv… Alles vibrierte, die Leute unterbrachen ihre Gespräche und unterhielten sich erst weiter, als der Track vorbei war. Das war so ein Track, der in einer Nacht nicht nur einmal gespielt wurde, sondern vier Mal oder fünf Mal. Dass „LFO” schließlich tatsächlich so hoch in die Charts ging, war für uns ein Schock. Es war die radikalste Musik, die man sich in den Charts vorstellen konnte. Das war keine Musik, die im Radio lief. In der Chartshow spielten sie Kuhgeräusche über den Track und machten sich darüber lustig, dass das ja wohl das langweiligste Stück sei, das je gemacht wurde. Und in der nächsten Woche stieg es in den Charts dann noch ein Stück höher. Bis auf Platz zwölf, noch vor der neuen Whitney Houston-Single! 130.000 Vinylmaxis haben wir davon verkauft – der Wahnsinn! Wenn wir Samstag unseren Plattenladen aufgemacht haben, stand davor schon eine Schlange von Leuten, die die Platte wollten. Die Musik war damals so etwas Wertvolles und Neues, dass die Leute unbedingt eine Platte haben wollten. Was auch daran lag, dass es von vielen Platten in einer Stadt nur fünfzig Stück gab. Wenn die weg waren, war’s das. Man hatte nicht immer alles verfügbar.

Ein Demo Tape von LFO und der Vertrag über ihre erste Warp-Maxi.

Die erste Erfolgswelle war schnell vorbei. Es folgten anderthalb Jahre, in denen Warp keinen Hit landen konnte.

Das war kein Problem für uns. Wir hatten einen anderen Fokus. Wir haben in der Zeit Warp international aufgebaut, anfangs hatten wir uns nämlich nur auf Großbritannien konzentriert. Wir haben uns neue Vertriebe gesucht. Es ging weniger darum, jede einzelne Maxi zu verkaufen, als uns langfristig aufzustellen.

Der folgende Wandel ist einer der Gründe, warum es Warp heute – im Gegensatz zu fast allen anderen Dance-Labels aus der Zeit – noch gibt. Statt euch auf 12-Inches zu konzentrieren, habt ihr Künstler aufgebaut, die Alben veröffentlichten.

Durch unseren Plattenladen wurde uns bewusst, dass Labels wie Factory und Mute, die langlebig waren, Alben veröffentlichten und Künstler aufbauten. Im Dance-Bereich gab es immer irgendein Label, das gerade wahnsinnig angesagt war, von dem man aber ein Jahr später schon nichts mehr hörte. Nach unseren ersten Hits wurde uns klar, dass wir irgendwann aus der Mode kommen würden. Also ermutigten wir unser Künstler, Alben zu produzieren. Ich kann mich noch an ein Gespräch mit LFO erinnern, in dem wir das erste Mal über ein mögliches Album sprachen. Sie meinten nur: „Wozu? Alben sind doch langweilig.”

In einem früheren Interview hast du mal gesagt, was immer auch passiere, Warp werde immer ein „hardcore dance label” bleiben…

Na ja, das muss sehr früh gewesen sein. (lacht) Tatsächlich haben wir uns schon bald an klassischen Indielabels orientiert. Wir wollten Künstler aufbauen, die Alben machen, Videos produzieren und auf Tour gehen. Das machten Dance-Labels zu der Zeit nicht. Das war für diesen Bereich etwas völlig Neues.

Das erste Ergebnis dieser Überlegung war 1992 die Artificial Intelligence-Compilation. Die Platte brachte nicht nur eine neue Generation von Produzenten wie Aphex Twin, Autechre und The Black Dog zu Warp, sondern etablierte auch ein neues Genre, das später „Intelligence Dance Music” oder „Electronica” genannt werden sollte.

Zu der Zeit stieß ich auf die interessanteste Musik nicht mehr in Clubs, sondern wenn ich aus dem Club nach Hause kam und dort mit Freunden noch neue Platten hörte. Das waren meist B-Seiten oder EP-Tracks von The Black Dog, B12 oder The Orb. Auf diesen Stücken, die damals „Chillout” genannt wurden, gab es mehr Experimente, mehr Tiefe und Raum. Das haute mich um. Ich sah diese Musik nicht so sehr im Kontext der Dance-Musik, sondern mehr im Kontext von Kraftwerk, Pink Floyd und Tangerine Dream. Die Idee für Artificial Intelligence war, diesen B-Seiten-Sound für eine Compilation zusammenzustellen. Leute wie Aphex Twin und Autechre meldeten sich daraufhin und schickten uns Tapes mit Tracks. Ich habe diese Tapes übrigens noch immer im Schrank. Die Compilation wurde dann ein großer Erfolg, vor allem auch in den USA. Viele College-Studenten dort entdeckten dadurch überhaupt erst elektronische Musik für sich. Der Umstand, dass die Compilation elektronische Musik für Indie-Hörer bot, rettete uns. Unseren Einnahmen tat es auch gut, dass es ein Album war, das sich gut verkaufte, und nicht bloß eine Maxi. Und es entstanden infolge der Compilation eine ganze Reihe von Künstleralben von Autechre, The Black Dog, B12 und Aphex Twin. Die Künstler und ihre Alben haben uns erst zu einer richtigen Plattenfirma gemacht. Nachdem wir zwei Jahre später Artifical Intelligence 2 veröffentlichten, haben Rob und ich uns allerdings überlegt, dass wir uns darauf nicht ausruhen dürfen. Wollten wir so weitermachen, bis zur Artifical Intelligence Nummer 25? Das hätte uns umgebracht. Also haben wir uns nach anderen Klängen umgeschaut.

Das erste Demo Tape von Aphex Twin für Warp.

Wenn man heute von einem Warp-Sound spricht, meint man meist die Platten, die dann infolge von Artifical Intelligence entstanden sind. Ihr habt damals euer Spektrum stark erweitert, Künstler wie Sabres Of Paradise, Seefeel, Jimi Tenor oder Red Snapper stießen dazu.

Es geht vor allem darum, welche Musik uns begeistert. Aber wir achten auch auf die mögliche Langlebigkeit eines Projektes. Mir geht es immer um ein Gesamtbild. Das mag auch damit zusammenhängen, dass ich irgendwann nicht mehr so häufig in Clubs ging. Aber es gibt auch Ausnahmen. Wir veröffentlichen ja nach wie vor auch Dance-Platten, DJ Mujavas „Township Funk” etwa. Den haben wir zum ersten Mal auf Youtube gehört. Der Track hat fast etwas Nostalgisches für mich, er passt gut zu unseren frühen Bleep-Stücken. Mujava würde auch gerne ein Album mit uns machen, aber ich weiß nicht, ob seine Tracks das hergeben. Ich entdecke nach wie vor großartige neue Musiker. Hudson Mohawke zum Beispiel, ein 19-jähriger Produzent, den wir unter Vertrag genommen haben. Oder den Sänger Gonja Sufi, auf den Flying Lotus uns aufmerksam gemacht hat. Ich finde es toll, neue Künstler aufzubauen, Leute, bei denen man sich vorstellen kann, dass sie auch in zehn Jahren noch großartige Platten machen werden. Das ist das, was ich an meinem Job am spannendsten finde: Dass man eine Rolle dabei spielen kann, einen neuen Musiker bekannt zu machen, ihm eine Öffentlichkeit zu geben.

Gibt es Musiker, bei denen du bereust, sie nicht zu Warp geholt zu haben?

Das kommt ständig vor. Burial hätte definitiv sehr gut auf Warp gepasst. Und Hot Chip haben alle hier bei Warp für unseren Internetladen Warp Mart gearbeitet. Da wäre es naheliegend gewesen, ihr Platten zu veröffentlichen. Aber mir war ihr Sound etwas zu kommerziell.

Musiker wie Nightmares On Wax, LFO, Plaid, Autechre oder Aphex Twin sind seit mehr als 15 Jahren bei Warp…

…und ich bin sehr froh darüber. Gerade erst hat zum Beispiel Aphex Twin einen neuen Vertrag über drei weitere Alben mit uns abgeschlossen. Das ist natürlich ein großes Ding für uns. Jetzt hängt es nur davon ab, wann er denkt, dass er das richtige Material zusammen hat, um sein nächstes Album zu veröffentlichen. Ein wichtiger Grund für die lange Zusammenarbeit ist einerseits der persönliche Kontakt, andererseits sind es die Freiheiten, die wir unseren Künstlern geben. Aber wir machen auch eine gute Arbeit. Und wir zahlen verlässlich und gut. Wir gehören zu den wenigen großen, unabhängigen Labels, die immer noch 50/50-Deals anbieten. Das heißt, Künstler bekommen die Hälfte der Gewinne. Gerade wenn man eine gewisse Größe erreicht hat, wie beispielsweise Boards Of Canada oder Aphex Twin, ist das sehr attraktiv. Bei uns ist es noch nicht vorgekommen, dass ein Künstler sagt, er will seine Musik jetzt lieber selbst veröffentlichen.

Was sind heute eure größten Herausforderungen?

Ganz konkret ist momentan unser größtes Problem, dass das neue Grizzly-Bear-Album im Netz zu finden ist, das erst in zwei Monaten erscheinen soll. Eine Band steckt diese ganze Arbeit in ein Album, wir stecken unsere ganze Arbeit in eine Sache, und dann ist es einfach kostenlos verfügbar, lange bevor wie es überhaupt herausbringen. Unsere größte Herausforderung besteht also mittlerweile darin, Leute dazu zu bringen, für etwas zu bezahlen, was sie auch umsonst haben können. Immer mehr vor allem junge Leute sehen Musik nicht mehr als etwas an, das einen finanziellen Wert besitzt. Die große Frage lautet also: Was wird in drei oder vier Jahren unser Geschäftsmodell sein? Wir werden verschiedene Sachen ausprobieren, aber ich habe noch keine gute Antwort auf diese Frage.

Warp entstand als Teil der letzten wirklichen musikalischen Revolution vor zwanzig Jahren. Siehst du eine weitere grundsätzliche musikalische Veränderung kommen?

Nun, Revolutionen haben es an sich, dass man sie nicht kommen sieht. Aber mich würde es wundern, wenn es noch mal solche grundlegenden Änderungen gibt. Es handelte sich damals ja nicht um eine ästhetische Revolution, sondern es gab auch eine völlig neue Technologie. Musiker, die früher professionelle Studios mieten mussten, konnten auf einmal in ihrem Schlafzimmer Tracks produzieren. Und die Leute fingen an, ihre Nächte in Clubs zu verbringen. Ich glaube nicht, dass sich daran in nächster Zeit etwas entscheidend ändern wird. Aber ich halte nach wie vor Ausschau. Ich sehe die Möglichkeit zu so einem Wechsel allerdings eher in der Filmindustrie. Neue Technologie ermöglicht dort viel günstigere Produktionen, und das macht es für Leute mit neuen Ideen möglich, diese auch umzusetzen. Genau das passierte ja damals auch in der Dance Music. Sie wurde von Leuten produziert, die nicht in jene Kategorien passen wollten, die schon vorher existierten.

Wie werdet ihr zwanzig Jahre nach dieser Revolution euren zwanzigsten Geburtstag feiern?

Wir haben eine Serie von Liveevents geplant. Los geht es im Mai in Paris mit einer Party, auf der auch Aphex Twin spielt. Dann folgen London, New York, Tokio, Sheffield und Berlin. Außerdem wird es eine Reihe von speziellen Veröffentlichungen geben, unter anderem ein von Fans zusammengestelltes Best-of-Album und eine Compilation, bei der Künstler ihre liebsten Warp-Tracks interpretieren. Das werden aber eher Coverversionen als Remixe. Und wir arbeiten an einer aufwendigen Box mit unveröffentlichtem Archivmaterial. Außerdem überarbeiten wir gerade unseren Download-Shop Bleep.com. Und es wird Platten von neuen Warp-Künstlern wie Hudson Mohawke, Gonja Sufi oder Rustie geben. Wir werden also voraussichtlich nicht arbeitslos werden in nächster Zeit.

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