Sämtliche Fotos: Film Shatta (Equiknoxx)
Equiknoxx sind für die jamaikanische Dancehall-Szene ebenso wichtig wie für die europäische Elektronik-Avantgarde. Unser Autor Philipp Weichenrieder hat mit der Band gesprochen und herausgefunden, wie dem fünfköpfigen Kollektiv sein einzigartiger Stilmix zwischen Reggae und Dancehall, zwischen Techno-Esoterik und Pop-Charme, zwischen Jamaika und Europa gelungen ist.
„Was isst du zur Zeit gern?“ fragt Shanique Marie. Im Interview, zu dem sich vier der fünf Mitglieder von Equiknoxx per Internet-Telefon-Video-Konferenz eingefunden haben, wechselt sie von der Rolle der Interviewten zu der der Fragenden. Im Hintergrund lachen die anderen. Gavsborg, der neben ihr sitzt, lächelt etwas verschmitzt. Was hat Essen mit Musik zu tun? Geschmack. Mit der Frage will Shanique Marie, die unbeirrt weiter spricht, eins deutlich machen: Was man mag, ändert sich und damit auch, was man als Künstler*in tut. Sie erklärt damit die Entwicklung von Equiknoxx, die am neuen Album des Kollektivs hörbar ist. Eternal Children weicht etwas vom bisherigen Weg der vergangenen Jahre ab.
Auf dem neuen Album präsentiert sich das Kollektiv in Gänze, und zum ersten Mal hat die Gruppe Vocals aufgenommen. Neben Shanique Marie und Kemikal Splash ist Bobby Blackbird in einer Doppelrolle als Produzent und Vokalist zu hören. Zusammen mit ihm zeichnen Gavsborg und Time Cow für die Produktion verantwortlich. Dass Vocals eine wichtige Rolle auf ihrem neuen Album spielen, ist nicht die einzige Neuerung. Auch im Sound öffnen sich Equiknoxx, integrieren teilweise eingängige Pop-Strukturen in ihre Experimente, mit denen sie Dancehall für die Fans elektronischer Musik relevant gemacht haben.
“Unsere Musik ist Ausdruck davon, was in unseren Leben passiert, was wir denken, was um uns herum geschieht, welche Energie um uns und zwischen uns besteht, wenn wir Musik machen.“
Shanique Marie
Seit der Veröffentlichung des Albums Bird Sound Power auf DDS, das von dem Düsterelektronik-Duo Demdike Stare als Tochterlabel von Modern Love gegründet wurde, gehören Equiknoxx quasi zum Kanon elektronischer Clubmusik in Europa und der USA. Das wird auch von der Präsenz des in Kingston beheimateten Kollektivs in den Clubs dort unterstrichen. Remixe unter anderem für Dominick Fernows Projekt Rainforest Spiritual Enslavement, Thom Yorke oder Arcade Fire sprechen für ihren Bekanntheitsgrad auch darüber hinaus. Hinzu kommt, dass Tracks von Equiknoxx auch von Kollegen wie Mark Ernestus bearbeitet wurden, der den Berliner Plattenladen Hard Wax gegründet hat und seit über 20 Jahren Brücken zwischen Reggae, Dub und Techno aufzeigt.
Die Arbeit des Kollektivs wird also ebenso von der Indie-Szene wie vom elektronischen Underground geschätzt. Ihr Standing als Reggae- und Dancehall-Act ist da noch gar nicht mitgedacht. Die Musik der fünf wird so vielfältig wahrgenommen, wie die fünf Köpfe dahinter sind. „Unsere Musik ist wie ein Gespräch, in dem wir erzählen, wer wir sind“, erklärt Shanique Marie. „Es gibt kein spezielles Rezept dafür. Nächstes Jahr könnte sie ganz anders klingen. Sie repräsentiert einfach uns an einem bestimmten Punkt unserer Leben. Sie ist Ausdruck davon, was in unseren Leben passiert, was wir denken, was um uns herum geschieht, welche Energie um uns und zwischen uns besteht, wenn wir Musik machen.“
Soundsystem-Kultur zwischen Jamaica und Großbritannien
Seit Bird Sound Power wurden Equiknoxx dafür gefeiert, Dancehall eine Spur weirdness zurückgegeben zu haben – diese Stimmen kamen oft, möchte man in Szenen denken, nicht von Dancehall-Fans sondern von Elektronikfans. Hin und wieder schwang dabei eine Spur Exotisierung mit, wenn die Herkunft von Equiknoxx dabei in den Mittelpunkt gerückt und das Kollektiv an Klischee-Vorstellungen über Jamaika gemessen wurde. Das zeigt zum einen, dass es wie eine Ausnahme wirkt, wenn Musiker*innen aus Jamaika in der Clubmusik-Szene in Europa präsent sind, zum anderen, dass der Blick auch heute noch wie festgetackert auf Europa und den USA liegt. Auch wenn Musikszenen längst nicht mehr geographisch beschränkt sind, wird Musik, die nicht auf Labels aus Europa oder den USA erscheint, weniger wahrgenommen. Abgesehen davon findet Dancehall zumindest in Deutschland kaum in der Elektronikmusikszene statt – im Gegensatz zu Großbritannien. Dabei haben Dancehall und Techno mindestens einen gleichen Vorläufer: Dub.
Dub trägt die jamaikanische Musikszene ebenso wie die britische. Insofern überrascht es nicht, dass es da Anküpfungspunkte gab. Die Verbindung ins englische Manchester entstand durch Online-Chats von Gavsborg. Jon K, DJ aus Manchester, schrieb ihm über Soundcloud. Etwas später kam Gavsborg in Kontakt mit Balraj Samrai. Samrai ist einer der Initiatoren der Swing Ting-Partys in Manchester. Swing Ting ist inzwischen zu einem Kollektiv mit Label angewachsen. Mittlerweile ist dort auch schon ein Track von Equiknoxx herausgekommen. Die enge Verbindung zu Manchester, das das Kollektiv auch als zweites Zuhause bezeichnt, hört man auch auf dem aktuellen Album. „Went on a tram inna Manchester“, singt Shanique Marie auf dem schiebenden Instrumental des Tracks „Manchester“. Als Gast ist neben dem Equiknoxx-Mitglied auch Fox zu hören, der zur Crew von Swing Ting gehört und auch bei ihren Partys live am Mikrofon zu hören ist. Equiknoxx sind nicht nur freundschaftlich, sondern auch musikalisch weit vernetzt – da macht es wenig Sinn, sie geographisch oder vom Soundverständnis einzugrenzen.
Durch die Releases auf DDS und die Zuschreibung, Equiknoxx hätten Dancehall wieder weird gemacht, wurde manchmal auch eine Trennung vorgenommen: Equiknoxx wurde beinahe vereinnahmt, indem sie als positives Gegenbeispiel zum Bild von Dancehall gemacht wurden, das seit einer medialen Kontroverse von 2004 von Negativbildern bestimmt wird. Damals entstand über Jamaika hinaus eine wichtige Diskussion über schwulenfeindliche Texte im Dancehall.
„Die meisten Leute akzeptieren, was wir sind, was wie ein Segen für uns ist. Wir passen in keine Katagorie. Die Menschen können aber nicht bekämpfen, was sie nicht verstehen. Es ist also viel leichter, uns einfach zu akzeptieren.“
Time Cow
Equiknoxx sind aber nicht das Gegenteil von Dancehall, sie sind Teil davon, bilden einen Ausschnitt des Spektrums ab, das Dancehall ist. „Ich mag slack music [Musik mit expliziten sexuellen Lyrics – Anm. d. A.] und genauso gern höre ich rasta music [Musik, die sich mit dem Glauben an Rastafari auseinandersetzt – Anm. d. A.]“, erklärt Time Cow. „Ich denke nicht, dass sich Kreativität gegenseitig ausschließt. Auf unserer ersten Tour haben wir ziemlich viele Stereotype abgebildet – außer homophobe. Wir haben aber auch anderes, andere Musik, uns repräsentiert.“ Immer wieder betonen die vier im Gespräch, dass sie in ihrer Situation keine Gegensätze sehen, keine zwei Welten: Elektronische Musik hier, Dancehall und Reggae dort. Eher scheinen sie zeigen zu wollen, dass beide Bestandteil ihres einen Equiknoxx-Universums sind. Wenn sie auftreten oder Mixe aufnehmen, spielen Equiknoxx neben eigener Musik oder Tracks von Elektronikmusikproduzenten wie Illum Sphere, The Bug oder Last Japan auch aktuelle Dancehall-Tunes und Classics – von Vybz Kartel über Aidonia zu Ward 21.
Den Namen Equiknoxx fand Gavsborg zuerst für seine Musik, die er ab 2003 herausbrachte. Dann stieß Bobby Blackbird dazu und sie gründeten 2007 das gleichnamige Label, auf dem sie eine Reihe Dancehall-Riddims veröffentlichten. Equiknoxx kollaborierten unter anderem mit Dancehall-Künstler*innen wie Spice, Aidonia, Ce’Cile, oder Superstar Busy Signal zusammen. Letzterem verhalf Equiknoxx 2005 mit einem aggressiv pumpendem Instrumental zu seinem ersten Hit „Step Out“.
Gequetschte Bässe, Glockenspiele und Vogelschrei
Immer wieder arbeiteten Gavsborg und Bobby Blackbird in den nächsten Jahren mit Shanique Marie, Kemikal Splash und Time Cow zusammen, bis sie sich um 2015, 2016 herum schließlich als Kollektiv unter dem Namen Equiknoxx zusammenfanden. In diese Zeit fiel die Veröffentlichung des Albums Bird Sound Power auf dem britischen Label DDS. Spätestens daran wurde deutlich: Equiknoxx sind weder ausschließlich ein Elektronik-Kollektiv noch nur eine Dancehall-Crew. Es besteht keine Grenze, die Übergänge braucht. Stattdessen treffen bei Equiknoxx verschiedene Klänge in einem Hallraum aufeinander und verschwimmen. „Kreativität ist nicht auf einen Ausdruck beschränkt“, macht Time Cow noch einmal deutlich. „Die meisten Leute akzeptieren, was wir sind, was wie ein Segen für uns ist. Ich erinnere mich nicht, dass wir angegriffen worden wären, weil wir nicht in eine bestimmte Kategorie passen – was uns seltsam macht. Menschen können aber nicht bekämpfen, was sie nicht verstehen. Es ist also viel leichter, uns einfach zu akzeptieren.“
Auch im Gespräch gibt es keine dominante Person. Alle bringen sich ein, bringen sich gegenseitig ins Gespräch, greifen Aussagen auf und unterstützen sie, machen Witze miteinander.
Die Tracks für das Album „Bird Sound Power“ wurden von Jon K und Demdike Stare aus Instrumentals ausgewählt, die Equiknoxx zwischen 2006 und 2016 aufgenommen hatten. Von sich aus hatten sie nicht daran gedacht, sie als Instrumental-Album herauszubringen. Rhythmisch abwechslungsreich spielen sie bei den Tunes mit Strukturen, lassen die Drums stolpern, fangen sie kurz vor dem Abschmieren auf und leiten sie in einen minimalistischen Dancehall-Beat mit klar strukturierten, synkopierten Bassdrums über. Um die Beats, die sich immer wieder drehen und wenden, manchmal auch in Richtung One Drop rutschen, winden sich gequetschte Bässe, steigen Samples und Glockenspiele auf, ertönt ein Vogelschrei. Der Druck der Bassdrums schaufelt sich Raum frei, klingt in den Räumen nach.
Equiknoxx bearbeiten Dancehall-Sounds auf beeindruckende Weise mit Dub-Handwerk, das an die Manipulation einzelner Spuren einer Aufnahme, den Einsatz von Effekten wie Echo oder Hall oder auch die Verwendung von Geräuschen anknüpft und damit an Techniken, wie sie Dub-Vorreiter Anfang der 1970er-Jahre auf Jamaika entwickelt haben. Equiknoxx übertragen das von Reggae auf Dancehall und nutzen Dub als Mittel, um minimalistische Dancehall-Konstruktionen zu entgrenzen. 2017 führten sie das mit „Colón Man“ fort, für das sie die Stücke eigens produzierten. Dabei zergliederten sie die Sounds teilweise noch weiter, verschachtelten Drum-Elemente zu merkwürdig rumpelnd-überschlagenden Beats, die die Spannung auf den nächsten Schlag aufbauten. Dancehall ist dabei fragmentarisches Experimentierfeld für das Produktionshandwerk von Equiknoxx, mit dem sie Sounds manipulieren. Das könnte mindestens genauso als experimentelle elektronische Musik gelabelt werden wie mit Dancehall.
Dancehall mit einem Gespür für Pop
Nach Veröffentlichung der Alben „Bird Sound Power“ und „Colón Man“ wurde Equiknoxx häufig als Duo wahrgenommen. Die Gesichter waren Gavsborg und Tim Cow, manchmal auch Bobby Blackbird, die anderen wurden meist als Kollaborateur*innen bezeichnet. Ihr neues Album ändert das. „Eternal Children“ präsentiert Gavsborg, Time Cow, Bobby Blackbird, Kemikal Splash und Shanique Marie als Gemeinschaft. Auch im Gespräch gibt es keine dominante Person. Alle bringen sich ein, bringen sich gegenseitig ins Gespräch, greifen Aussagen auf und unterstützen sie, machen Witze miteinander. Dennoch wirkt Gavsborg wie das verbindende Element, denn er hat alle zusammengebracht.
Selbst die Stücke, die eingängig sind, sind dabei nicht eindeutig, bleiben durch die Equiknoxx-Linse gebrochen.
Obwohl Gavsborg am konstantesten mit Equiknoxx in Erscheinung getreten ist, und er scheinbar das Relais sowohl innerhalb der Gruppe als auch für Freundschaften unter anderem nach Manchester ist, stellt er sich nicht in den Mittelpunkt. Im Gespräch betonen die vier der fünf Mitglieder von Equiknoxx immer wieder, dass sie ein Kollektiv sind, dass es ihre gemeinsame Musik ist. Die Entscheidung, als Kollektiv aufzutreten, war gleichzeitig die Entscheidung, Vocals auf dem Album zu haben. Manche Fans des rauen, verschwurbelten Instrumental-Sounds der ersten beiden Alben von Equiknoxx hat das irritiert. „Als sie ‘Eternal Children’ gehört haben, haben einige überrascht gesagt: Oh, auf dem Album sind ja Vocals! Und dann: Hm, aber wir mögen es trotzdem. Bei ‘Bird Sound Power’ und ‘Colón Man’ war es andersherum: Viele sagten: Oh, es gibt auf den Alben keine Vocals!“ erzählt Gavsborg und er und die anderen lachen.
Auch auf „Eternal Children“ überzieht das Dub-Handwerk die Produktionen, bei Tracks wie „Solomon is a Cup“, „Corner“, „Good Sandra“, „Move Along“ oder „Grave“ schrauben die Produzenten elektronische Musik zusammen, die mit verzerrten Sounds, zerfaserter Percussion und fragmentierten Dancehall-Rhythmen (be-)drückende Szenarien aufbauen. Auf der anderen Seite zeigen Tracks wie „Manchester“, das electroclashig-schwofige „Brooklyn“ und „Rescue Me“ Verbindungen zu Dance Music und ein Gespür für Pop. Selbst die Stücke, die eingängig sind, sind dabei nicht eindeutig, bleiben durch die Equiknoxx-Linse gebrochen.
„Eternal Children“ ist weder ein Dancehall-, noch ein Dance-, noch ein Reggae-Album. Das Kollektiv hat vielmehr seine Version elektronischer Musik gemacht, die ihm am ehesten entspricht. Immer wieder verschwinden dabei die Vocals aus den Stücken, geben Raum für die Bearbeitung der Klänge. „Eternal Children“ zeigt so die Fähigkeiten aller fünf Mitglieder. Der Aufbau und Mix der Tracks machen klar, dass sie gleichberechtigt sind. Die Musik repräsentiert sie, ihre Einflüsse, ihre Leben. Und irgendwie auch eine Kultur, wenn sie sagen, sie seien „cultural ambassadors“. Für was? Irgendwie für Jamaika, für Dancehall, für Dub. Aber vor allem: für ihre musikalische Freiheit. „Letzten Endes ist es nur eine Bewegung in der Zeit“, sagt Gavsborg. „Wir bewegen uns konstant zwischen unterschiedlichen Räumen und das drücken wir in unserer Musik aus. Das sind einfach nur wir und wir hoffen, dass wir so viel davon mit anderen teilen können, wie es geht. Wir bleiben uns treu, das ist alles.“