Jeden Tag werden DJ-Mixe ins Netz geladen. Manche sind besser, manche sind schlechter und nur wenige werden uns jahrelang begleiten. Jeden Monat sucht das Groove-Team die fünf besten Mixe des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit Dance System, Pandora’s Jukebox, Perel, Rosi96.de und Stanley Schmidt. Und wer danach noch nicht genug hat, schaut einfach mal beim Groove-Podcast vorbei.

Dance System – 19. Juli 2019 (NTS Radio)

Nachdem Dance System im Frühling bereits die EP Wind ‘Em Up auf Monkeytown veröffentlichte und James Connolly seinem House-Alias, das er abseits seines Hauptprojekts L-Vis 1990 betreibt, damit neues Leben einhauchte, legt er jetzt auf NTS Radio nach. Der einstündige Mix besteht zu größten Teilen aus gnadenlosen Uptempo-Cuts, die mit ihrer Rhythmik, den schwingenden Hi-Hats und ihrer gewissen Doppelbödigkeit an den frühen Mall Grab erinnern.

Los geht’s mit Luke Slaters „Stomp” im Dance System-Edit. Heißt: Wirkt Slater im House-Gewand ohnehin schon gewöhnungsbedürftig, kündigt Connolly mit einem wohl platzierten „This is DJ Dance System, fucking things up in the mix with that pure dance energy” an, dass das Gehirn fortan Sendepause hat. Der Brite hat offensichtlich wieder unverhohlenen Spaß an House gefunden, wovon nicht zuletzt die zahlreichen Eigenproduktionen im Set zeugen. Exemplarisch dafür steht das grandiose „Where Da Party At” ab Minute 11, das mit seiner organischen Melodie und seinen pointierten Samples überzeugt – Pool Party-Stimmung in Reinkultur.

Obwohl die Musik stets unnachgiebig nach vorne geht und für nachdenkliche Pausen in diesem Set kaum Platz ist, bekommt man bei Dance Systems Radioshow doch das Gefühl, von den Profanierungsbestrebungen, beispielsweise eines DJ Haus, ein gutes Stück entfernt zu sein. Auch längst vergangene Zeiten würdigt Connolly gebührend: Nach 22 Minuten erklingt Robbie Riveras Track „The Ultimate Disco Groove” von 1998, der seinem Titel auch heute noch alle Ehre macht.

Ähnliches gilt für Yosh’s „It’s What’s Upfront That Counts” von 1995, das sich um innere Werte mit seinem konsequent treibenden Groove nicht schert. Gegen Ende hin intensiviert sich die Stimmung nochmal deutlich, als Peladas „Ten Cuicado” mit aggressiven spanischen Vocals den Pool leerfegt. Mit weiteren Eigenproduktionen gespickt, klingt der Mix stilsicher und versöhnlich aus – Dance System zeigt hier, wie House im Sommer funktionieren kann, ohne zu gefällig zu werden. Maximilian Fritz

Pandora’s Jukebox: Story N*37 – 15. Juli 2019 (NTS Radio)

Seit zweieinhalb Jahren macht Pandora’s Jukebox ihre Radiosendung auf NTS, inzwischen ist sie bei Nummer 37 angelangt. Die in London lebende Yasmine Dexter arbeitet bei Tage im Modebereich. Einer ihrer ersten Gigs war die Musik für eine Modenschau – bereits Ende der Neunziger. Dennoch hängt es manchmal allein vom „Zufall“ eines algorithmisch zusammengestellten Feeds ab, ob man im Wust aller Mixe eine Sendung wie die ihre entdeckt. Ein aufmerksamkeitserregendes, seltsam ästhetisches Bild wie dieses eines Windhundes mit einem lila Bein schadet der Aufmerksamkeit nicht. Es zählt jedoch natürlich wie immer, was drin ist, und das ist in diesem Falle vor allem ein Vibe.

Durch die zwei Stunden zieht sich eine bestimmte Stimmung, fad türkisblau – irgendwie genau zwischen spritziger Lebendigkeit und melancholischem „Blues“, eingehüllt in warmes Holz. Würde man den Mix in ein Bild übersetzen, würde das Cover von Ondo Fudds „Blue Dot“ wohl gut dazu passen. Erstaunlich, was sich bei Pandora’s Jukebox so alles in diese Stimmung einfügt: Auf den langsamen, dubsteppigen „Trappy Dub“ von Kryo wird auf doppeltem Tempo mal eben „Vortex 135bpm“ von Special Request reingemixt. Energetisch befinden wir uns damit auf dem Höhepunkt des Mixes.

Denn ansonsten geht es eher nicht ravig zu: Da gibt es Ambient von Alva Noto, trippige Percussion, Dub und langsam pumpenden Reggaeton von Low Jack. Durch den Vibe klingt jedoch alles kohärent; der Art von Eklektizismus, der Kontraste mit 200 km/h aufeinanderprallen lässt und aktuell so im Trend liegt, bleibt Pandora’s Jukebox im positiven Sinne fern. Ihr Eklektizismus ist sehr viel smoother – so wie ein leicht bunter Windhund eben. Cristina Plett

Perel: #WIRBLEIBENMEHR – 4. Juli 2019 (Boilerroom)

Quelle: Videostill Boilerroom YouTube

Knapp ein Jahr ist es her, das Protestkonzert „Wir sind mehr“, bei dem in Chemnitz musikalisch gegen die vorangegangenen rechtsextremen Ausschreitungen demonstriert wurde. Mit dem banal wirkenden Hashtag #wirsindmehr wollten die Chemnitzer damals auch zeigen: Nein, in Ostdeutschland leben nicht nur Nazis, auch wenn das in den Medien oft so dargestellt wird. Unter diesen Vorzeichen ist die Strahlkraft der Folgeveranstaltung #wirbleibenmehr vom 4. – 7. Juli 2019 kaum hoch genug anzusehen: Chemnitz bekam seinen ersten Boilerroom – mit einem ziemlichen Statement-Booking. 

Omar Souleyman vereinte Syrer*innen und Deutsche auf dem Dancefloor. Mit lokalen Künstler*innen, wie dem experimentellen Produzenten Byetone und der Bassmusik-DJ Tereza S., zeigte sich die Chemnitzer Szene von ihrer Schokoladenseite. Und Perel, der ostdeutsche DJ-Export der Herzen, bezauberte zum Abschluss mit einem wavigen Hybrid-Set, das zwischen Dark-Disco, House und ihren unverkennbaren Live-Vocals ihrem Motto alle Ehre machte: Hits Hits Hits! 

Von ihren eigenen Floorbangern „Die Dimension“ und „Alles“ hin zur Camouflage-Hymne „The Great Commandment“ nimmt sie die Übergänge von House über Space Disco hin zu New Wave so leichtfüßig wie ihr Kater Karlssohn die Treppenstufen – wobei das Bild wahrscheinlich schief ist, so fett wie er laut ihrem gleichnamigen Song sein soll. Mal teased sie Chillys „For Your Love“ an, mal lässt sie die Crowd so lang auf den Drop warten, dass diese buchstäblich in die Knie geht und sich sogar Boilerroom-Chef Michail Stangl den Schweiß von der Stirn wischen muss. Eine hochenergetische Stunde, die einen wünschen lässt, politischer Protest würde immer so viel Spaß machen. Laura Aha

Rosi96.de: Nr.02 (Radio 80000)

Jeden Monat sucht das Groove-Team die fünf besten des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit Dance System, Pandora's Jukebox, Perel, Rosi96.de und Stanley Schmidt.
Quelle: Radio 80000

DJs und Radio-Hosts haben zur Zeit richtig Bock auf Revivals jeglicher Art. Einige schauen in die Richtung UK Garage, andere versuchen mit Tranceklassiker ihre düsteren Techno-Sets zu melodischer zu machen. Nur wenige lassen sich von Acid House inspirieren. Von der Musik, die ganz tief mit dem Chicago der Achtziger, mit Madchester und dem Tanzoptimismus der Love Parade verbunden ist und dadurch mit der Entstehungszeit der Clubkultur.

Die Selektorin Rosi96.de vom Radio 80000 mixt in ihrer Radioshow amtlich gemasterten Dubtechno und Breakbeat mit legendären low-fi Acid-Klassikern wie „Higher State of Consciousness” und „Age of Love”. Dubstep und Detroit Techno sind da nur die Grundlage für einen krassen psychedelischen Trip „for your mind, your body and your soul”. Roman Selezinka

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Solaris with Stanley Schmidt – 24. Juli 2019 (Rinse FM)

Leipzigs Stanley Schmidt liefert für Solaris‘ Residency auf Rinse FM einen komplexen Mix aus gebrochenen Beats, Electro, Jungle und Footwork. Er führt energiegeladene Drum-Sequenzen, bassige Breaks und melancholische Ambient Flächen in einer eklektischen Einheit zusammen. Die Übergänge verschmelzen, so dass es ziemlich schwer fällt, einzelne Tracks auszumachen und Grenzen zu ziehen. Aber gerade dieses Ineinanderfließen und Verwischen von Grenzen erzeugt eine wunderbare Art der Konfusion.

Das Mixtape wirkt auf seltsam-schöne Weise wie der Soundtrack zu einem interaktiven Endzeitfilm. Stanley Schmidt nimmt uns mit auf eine auditive Reise durch diverse Stimmungen und Rhythmen. Mal läuft man im Geiste durch dystopisch verklärte Gassen einer Metropole. Mal durch einen atomverseuchten Dschungel oder die Gänge einer geheimen Forschungs-Basis. Luzie Seidel

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