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Plaid: „Zur elektronischen Musik gehört die Einsamkeit”

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Bilder: Tim Saccenti & Dina Chang (Plaid)

Wie Aphex Twin, Autechre oder Boards of Canada gehören Plaid zur Phalanx von Warp-Acts, ohne die die Szene schlichtweg nicht vorstellbar wäre. Das nach dem unverkennbaren Schottenmuster benannte Duo hat dabei immer bedächtigere und zugleich verspieltere Töne angeschlagen. Seit 30 Jahren bewegen sich Plaid in der Szene und sind in dieser Zeit zu IDM-Veteranen avanciert, die stets experimentierfreudig blieben. Maximilian Fritz hat mit den beiden über den nicht abreißenden Warp-Kult, ihre Tour mit Björk und die ungewöhnlichen politischen Töne auf ihrem neuen Album Polymer gesprochen.

Der Respekt vor einem Skype Conference Call kann groß genug nicht sein – diese Lektion lehrt das Interview mit Plaid, das auf eine Verbindung zwischen Berlin und zwei Endgeräten an der englischen Ostküste angewiesen ist, mit Nachdruck. Nach einiger Verwirrung schafft es zuerst Ed Handley in den Voicechat. Das Warten auf seinen Kollegen Andy Turner überbrückt er mit Beobachtungen zum technologischen Fortschritt, die in den beinahe schon obligatorischen wie kritischen Gedanken zum Thema Social Media münden. Skype sei schon eine beeindruckende Errungenschaft, mit der Selbstinszenierung auf Instagram, Facebook und Co. hätten Andy und und er es aber nicht so. In der Tat gibt es Plaids Instagram-Präsenz erst seit kurzer Zeit, gerade mal 16 Beiträge kündigen fast ausschließlich das neue Album Polymer an. Die zum Mantra erhobene Bescheidenheit, die sich im Auftreten und Schaffen des britischen Duos gleichermaßen zeigt, bleibt auch während des Interviews und der teils chaotischen Begleitumstände durchgehend erhalten. Nach einigen Minuten entert schließlich auch Turner die Konversation. Nach einer überschwänglichen Begrüßung vereinbaren beide, möglichst abwechselnd zu antworten, um den letzten Rest an Übersichtlichkeit zu wahren.

Auf Polymer, eurem zehnten Studioalbum, scheint ihr euch mit Tracktiteln wie „Drowned Sea” stärker als bisher auf konkrete, gesellschaftliche Themen zu beziehen. Geht es darum, die Konsumgesellschaft und den hohen Plastikverbrauch anzuprangern?

Handley: Auch! Ein Grund für den Titel war aber auch, dass Polymere eigentlich extrem nützlich sind, auch in der Natur. Seide oder Wolle sind beispielsweise Polymere. Wir haben aber eben auch die synthetischen Polymere, die wir für alles benutzen. Wenn du dich in den Häusern der meisten Menschen umsiehst, sind sie praktisch überall. Sie schaden natürlich auch der Umwelt, gelangen in die Nahrungskette. Ich lebe nur sechs Meilen von der englischen Ostküste weg und gehe da deshalb oft spazieren. Die schiere Masse von Plastik und Mikroplastik, die Menschen und Tiere essen. Ich glaube, dass wir uns daran irgendwann kräftig verschlucken.

Diese Kritik spürt man in der Musik weniger, sie klingt ziemlich harmonisch.

Handley: Auf einer abstrakten Ebene geht es aber auch darum, wie diese synthetische und natürliche Welt glücklich koexistieren. Denn es gibt natürlich einen Weg, wie das erreicht werden kann. Man kann Sachen bauen und Technologie nutzen, ohne die Natur zu zerstören. Wir sollten nur die Art und Weise überdenken, wie wir es tun. So nehmen wir auch unsere Musik wahr: als eine Ehe dieser beiden Pole. Wir nutzen etwa künstliche Prozesse, um organische Klänge zu schaffen. Wir stehen hinter der Idee, dass das Aufeinanderprallen dieser Welten kein Konflikt sein muss.

Am Anfang eurer Karriere hattet ihr nichts mit sanften, elektronischen Klängen am Hut. Ihr habt als Bboys und Mitglieder von Graffiti-Gangs angefangen.

Handley: In der Schulzeit waren wir beide in rivalisierenden Crews, später bündelten wir dann unsere Kräfte. Dann tauchten wir tief in die Hip Hop-Kultur ein, als sie das erste Mal Europa erreichte. Wir waren Breakdancer und MCs, ich fing dann auch mit dem Produzieren an. Diese facettenreiche Kultur aus Amerika, in die wir uns beide verliebten, war total aufregend. Das passierte so mit 13, 14 und wir blieben dem jahrelang treu, bis wir uns trafen.

Wie kam denn dann Plaids melodischer, eher ruhiger Sound zustande? Nightmares On Wax’ George Evelyn kommt beispielsweise aus derselben Richtung und war begeistert vom kompetitiven, fast schon aggressiven Charakter dieser Subkultur.

Turner: Ich glaube, wir waren eher fasziniert von dieser Energie, die dabei freigesetzt wurde, Aggression ist da ja eher zweitrangig. Ich meine, die Idee des Breakings war ja, dass man jegliche Aggression durch den Akt des Tanzens auslebt. Die Musik war für mich also mehr energetisch denn aggressiv. Das war ja eher positiv konnotiert. Ich denke, Cybotron oder Juan Atkins solo sind gute Beispiele für Künstler, die Musik machten, die wir dazu nutzten. Für uns waren vor allem die synkopierten Rhythmen, Energie und die Positivität der Musik attraktiv.

Warum und wann habt ihr damit aufgehört?

Turner: Ich würde sagen, dass es in den frühen Neunzigern so langsam abebbte. Als wir anfingen, in unserer Freizeit mehr Musik zu machen. Obwohl ich schon aufhörte, zu üben, als ich nach London zog. Das war am Ende meiner Teenagerzeit. (lacht)

Das hatte dann mit eurem ersten Projekt, The Black Dog, zu tun?

Handley: Ja! Wir sind beide etwa zur gleichen Zeit vom Hip Hop und der Bboy-Kultur dazu übergangen, Musik aus Detroit zu entdecken. Techno und House. Da hatten wir wohl auch das Melodische her, das du weiter oben angesprochen hast. Detroit Techno war in seinen Anfängen ja höchst melodisch. Wir reden hier über die späten Achtziger und frühen Neunziger. Da zogen wir nach London und haben mit Ken Downie The Black Dog gegründet.

(Turner spricht mit seiner Tochter.)

Alles klar bei dir, Andy?

Turner: Alles gut, ich dränge meine Tochter nur dazu, sich für ihren Unterricht fertig zu machen.

Handley: Nun, wir waren jedenfalls in London und haben The Black Dog gegründet, so um 1989 rum.

Turner. Ja, vielleicht auch 1988.


Video: The Black Dog – Otaku

Und ihr habt euch von von Ken Downie getrennt, weil ihr eine eigene musikalische Vision hattet?

Handley: Da gab es diverse Gründe, an die ich mich heute gar nicht mehr alle erinnern kann. (lacht) Das ist so lange her. 1995 oder 1996 haben wir uns jedenfalls von Ken getrennt und er hat den Namen The Black Dog behalten. Ich denke, das hatte damit zu tun, dass wir auftreten wollten und natürlich auch mit der musikalischen Ausrichtung. Die Details und spezifischen anderen Aspekte weiß ich alle nicht mehr ganz genau. (lacht)


Stream: Plaid – Mbuki Mvuki

Und wie seid ihr von The Black Dog dann schließlich als Plaid auf Warp Records gelandet?

Turner: Einer der Gründer von Warp, Rob Mitchell, hatte unser Album Mbuki Mvuki (1991) gehört. Das war die erste Veröffentlichung, die wir als Plaid rausgebracht haben. Damals noch auf Black Dog Productions, unserem eigenen Label. Ihm gefiel „Scoobs In Columbia” sehr und er hat uns daraufhin ein Fax geschickt – ja, das waren die Zeiten, als noch gefaxt wurde – und meinte, dass er uns gerne einen Vertrag geben würde. Das führte dann zu Bytes, das zwar als Compilation präsentiert wurde. Eigentlich haben wir daran aber zu dritt in der Black Dog-Besetzung gearbeitet.


Video: Black Dog Productions – Bytes

Euer kreativer Prozess ist ja insgesamt eher individuell geprägt, ihr arbeitet an neuen Tracks eher selten von Beginn an gleichzeitig zusammen. Auch dieses Interview läuft über eine Skype-Konferenz. Funktioniert ihr nach all den Jahren immer noch als Duo, weil ihr es vermeidet, euch zu sehr anzupissen?

Handley: (lacht) Na ja, wir haben die Idee, dass Individuen zusammenarbeiten, immer sehr kooperativ interpretiert. Auch bei The Black Dog lief es so. Wir interagieren schon viel, schicken uns viele Mails hin und her, beinahe täglich. Die Kommunikation ist konstant. Bei den Tracks tendieren wir dazu, uns in bestimmten Phasen Ratschläge und Anregungen zu geben. Wir haben es aber immer so gesehen, dass zu elektronischer und computerbasierter Musik die Einsamkeit gehört. Mit Innovationen im Bereich der Controller oder ähnlichem Zeug ändert sich das etwas. Du konntest früher aber vielleicht zusammen auf Synthesizern jammen, generell stand aber der Computer im Fokus, den nunmal nur eine Person benutzte. So entstand unser getrennter Arbeitsprozess. Und es geht natürlich auch schlicht um den Spaß, seine eigenen Ideen zu verwirklichen und sie an einem gewissen Punkt mit jemand anderem zu teilen. Da gibt es vermutlich gar keinen so großen Unterschied zur Arbeitsweise vieler Bands. Normalerweise gibt es eine Person, die als Initiator wirkt, die die Dinge in die Hand nimmt.

Für die Instrumentierung holt ihr euch oft Verstärkung. Dabei spielt einer von euch Horn.

Turner: Stimmt, ich habe mal Flügelhorn gespielt! Das war in der Schulband, nützt mir und unserer Musik heute aber nicht mehr viel. Wir haben über die Jahre natürlich mit anderen Künstlern zusammengearbeitet. Sehr viel mit Benet Walsh, der Gitarre, Violine und viele weitere Instrumente spielt. Bei ihm gestaltet sich der Austausch mehr als Ping-Pong-Partie, weil er als Instrumentalist mit elektronischer Musik weniger am Hut hat. Da arbeiten wir dann traditioneller, weil das mit aufgenommenen Instrumenten einfach mehr Sinn macht. Wenn wir mit Orchestern oder Streichquartetten arbeiteten, läuft es logischerweise persönlicher und physischer ab.

Wie Ed gerade erwähnte, habt ihr seit jeher viele Kollaborationen gemacht. Plaid ist ja nicht der konventionelle Club- oder Techno-Act, den man für einen Rave buchen würde. Ihr habt Soundtracks für Filme oder Videospiele gemacht oder auch mit der Londoner Sinfonietta, einem Kammermusikensemble, zusammengearbeitet. Warum ist es euch so wichtig, sich in so vielen Feldern auszuprobieren?

Handley: Ich glaube, die Sache bleibt für uns dadurch einfach frisch. Genau wie Socializing essenziell ist, sollte man als Musiker mit Künstlern auf anderen Energielevels und mit verschiedenen Begabungen arbeiten. Das ist übrigens wohl ein weiterer Grund dafür, wieso wir schon so lange als Duo funktionieren, das Interesse für Musik nicht verloren haben und alle paar Jahre eine neue Kollaboration hatten. Ich denke, das frischt deine Liebe zur Musik wieder auf, weil du sie aus einer anderen Perspektive betrachtest. Speziell die Arbeit mit dem Southbank Gamelan [einem Percussion-Orchester aus Java, d.Aut.] fällt mir da ein. Das war für uns ein radikal anderer Sound und hat uns sehr inspiriert. Klar waren wir nicht die Ersten, die das gemacht haben, aber…


Video: Plaid featuring the South Bank Gamelan Players

Turners Tochter aus der anderen Leitung: Ich brauche noch zwei Minuten, wir kommen also etwas zu spät!

Handley: … sowas ist einfach sehr inspirierend und nahrhaft.

Ihr meintet mal, dass eure Musik am besten mit Visuals funktioniert. Das zeigen auch Filme wie Greedy Baby, Heaven’s Door [eine japanische Interpretation des deutschen Roadmovies Knockin’ on Heaven’s Door von 1997] oder Tekkonkinkreet. Wieso braucht ihr diese Komponente?

Turner: Ed, kannst du einspringen? Ich habe hier alle Hände voll zu tun!

Handley: Ich denke nicht, dass es absolut notwendig ist. Klar gibt es viele Leute, die live ohne Visuals spielen, bei denen das gut funktioniert. Wir sind beide interessiert am Visuellen, haben uns schon früh damit rumgeschlagen, selbst Visuals zu machen. Inzwischen produzieren wir sie zu einem großen Teil selbst. Die Interaktion zwischen Sound und Bild bietet viele Alternativen. Man kann sie subtil oder mit bombastischen Lasern gestalten. Auch die Arbeit an Soundtracks hat uns gezeigt, welche Kraft entsteht, wenn beide Elemente zusammen funktionieren und sich ergänzen. Sie sind einfach sehr glückliche Bettgenossen. (lacht) Ich höre gerade extrem abgefahrene Soundeffekte. (lacht)

Turner: Ja, tut mir leid! Ich bin jetzt tatsächlich im Auto und hoffe, dass die Verbindung hält.

Handley: Okay, Andy, ich übernehme die nächsten Fragen und du grätschst dazwischen, wenn dir danach ist? (lacht)

Turner: Ok, mir ging es nur darum, die Aufnahme nicht zu ruinieren. Tut mir leid, es gab eine Planänderung in letzter Sekunde und ich muss jetzt selbst fahren.

Wieso habt ihr euch den in den Nullerjahren eine Pause von der regulären Studioarbeit genommen und euch beispielsweise auf Filmprojekte gestürzt?

Turner: Das geschah hauptsächlich, weil sich die Gelegenheit ergab. Wir hatten das Glück, dass Sony uns dafür haben wollte. Der Regisseur von Tekkonkinkreet, Michael Arias, war Jahre zuvor auf einem unserer Konzerte und daran interessiert, uns für einen Score zu verpflichten. Damit ging es los. Greedy Baby war das Resultat einer Zusammenarbeit mit Bob Jaroc und der Gipfel der Live-Performances, die wir mit ihm über viele Jahre absolviert haben.

Turner: Tekkonkinkreet nahm ein paar Jahre ein Anspruch. Ungefähr zu der Zeit kam außerdem meine Tochter auf die Welt und auch deswegen ging es in der Phase etwas drunter und drüber.


Video: Plaid & Bob Jaroc – Greedy Baby

Ihr fühlt euch im Live-Kontext nicht übermäßig wohl, woran liegt das?

Handley: Weil es einfach sehr schwer und undurchsichtig ist, elektronische Musik zu performen. Du hast einen Laptop und eine Maus oder irgendeinen Controller. Es war früher sehr schwer, das live auf die Beine zu stellen und sich in der Performance zu verlieren. Wenn es denn überhaupt eine gab. Oft ist die Aktion ja sehr minimal. Das hat sich zum Glück verändert. Inzwischen gibt es sehr viele kreative Wege dafür, die auch noch einen Improvisationscharakter haben. Das war also ein Grund, wieso wir das nie besonders genossen haben, weil es einfach nicht genug zu tun gab. Außerdem ist es einfach schöner, mit einer Tasse Kaffee im Studio zu sitzen, als von Flugzeugen in Vans in Züge zu hüpfen und die ganze Zeit rumfahren zu müssen. Klar genießt man das stellenweise auch. Die Verbindung zur Musik, die wir beide lieben, fällt in einem privaten Rahmen und unter eigenen Bedingungen aber leichter. Wir mögen es eigentlich aber schon, sonst hätten wir schon vor längerer Zeit mit dem Touren aufgehört. Es gibt natürlich auch Bands, die das gar nicht machen. Boards of Canada zum Beispiel. Touring bringt uns andererseits aber auch ein vernünftiges Einkommen.

Turner: Man muss auch dazu sagen, dass wir damals mit einem fast gänzlich analogen und einem Computer-Setup angefangen und zwischen beiden gewechselt haben. Jetzt ist alles auf einem engeren Raum und handlicher, der Hauptfokus hat sich aber immer mehr in Richtung Laptop verschoben. Das fing an, als wir die Tour mit Björk 1996 gemacht haben. Da haben wir unseren ersten Mac bekommen, der gerade genug Power hatte, um MIDI und etwas Audio für unseren Support-Slot vor ihrer Show zu übernehmen.

„Einerseits gibt man sich auf der Bühne ja ziemlich egozentrisch und selbstsicher, andererseits ist es auch eine sehr verletzliche und fragile Angelegenheit.”

Björk ist ja auch auf eurem Durchbruch-Album Not For Threes (1997) zu hören. Wie habt ihr euch kennengelernt?

Turner: Sie ist Mitte der Neunziger nach London gezogen und wir haben sie auf einem Event zufällig getroffen. Sie hatte uns zuvor in einem NME-Artikel erwähnt und das hat uns den Mut gegeben, sie überhaupt anzusprechen. Wir wurden dann Kumpel und waren in den Folgemonaten immer wieder mit ihr im Studio. Sie meinte dann, dass sie es interessant fände, wenn wir mit ihr auf Tour gehen würden. In der Musikindustrie gibt es viele solche Unterhaltungen und Leute sagen dir immer wieder ‘Klar, das wäre total cool!’ und Blablabla. Zu 99 Prozent wird das aber nichts. Uns hat es dann sehr überrascht, dass das, was sie sechs Monate zuvor sagte, sich wirklich erfüllt hat. Wir haben dann den asiatischen Teil ihrer Post Tour und ein paar Konzerte in Südamerika mit ihr gespielt. Das passierte kurz nach der Trennung von Ken. Als wir dann zurückkamen, fingen wir an, uns ins Produzieren zu stürzen. Das Ergebnis davon war dann Not For Threes.

Plaid by Tim Saccenti & Dina Chang 2

Es gibt diesen enormen Kult rund um Warp-Künstler, der in der elektronischen Musik seinesgleichen sucht und für den auch Plaid exemplarisch stehen. Beispielsweise existiert der YouTube-Channel The Plaided, der alles sammelt, was mit euch und eurer Musik zu tun hat. Wie erklärt ihr euch das und wie nehmt ihr eure Fanbase wahr?

Handley: Ich denke, wenn man so lange Musik macht, hat man irgendwann einfach absolute Hardcore-Fans. Dieses Warp-Ding gibt es definitiv. Ich meine, wir haben es erst mit der Zeit rausgefunden. Oft hat sowas auch einfach mit Sammelwut zu tun. Es gibt so viele Jahre voller Inhalt, die man entdecken und archivieren kann. Für uns ist das wunderbar. Du siehst so einen Channel und er erinnert dich an deine Geschichte und Vergangenheit, an Dinge, die du möglicherweise längst vergessen hast. Du siehst Interviews oder Aufnahmen von Konzerten, die 15 oder 20 Jahre her sind. Es ist, als würde jemand für dich Tagebuch führen. Das ist größtenteils super, manchmal aber sehr peinlich. Schließlich ist deine Jugend bis zu einem gewissen Grad online gespeichert. Das passiert mit Social Media jetzt zwar sowieso, als Teil einer Band oder Person des öffentlichen Lebens gestaltet es sich aber nochmal drastischer. Dein ganzes Leben wird als Tagebuch festgehalten, was ich mit gemischten Gefühlen betrachte.

Andy verabschiedet sich für einige Minuten, seine Verbindung ist zu schlecht.

„Wir versuchen in unserer Musik Stimmungen, Gefühle oder intellektuelle Inhalte zu transportieren. Das ist mit ein paar Bleeps und Drumbeats aber kompliziert!”

Ihr habt mal gesagt, dass ihr zwar Geschichten erzählt bekommt, wie eure Musik Menschen in verschiedensten Lebenslagen geholfen hat, und es euch freut, das zu hören. Das sei aber nicht der Grund, wieso ihr das macht. Was ist eure Hauptmotivation?

Handley: Da gibt es mehrere. Wir haben aber damit angefangen, weil es uns einfach ein sehr gutes Gefühl gibt. Musik zu produzieren ist nochmal was anderes, als sie nur zu hören, weil es nochmal ein höheres selbsttherapeutisches und intimeres Niveau mit sich bringt. Trotzdem berührt es einen natürlich, wenn man erfährt, dass jemand anders die Musik auf die gleiche Weise wahrnimmt. Vor allem, wenn dir dieses Stück Musik selbst sehr viel bedeutet, weil es womöglich unter bestimmten Umständen entstand. Dieses Feedback ist schon gut und validiert dein Leben. (lacht) Ok, zumindest die Arbeit, die du in deinem Leben gemacht hast.

Was würdest du machen, wenn du kein Musiker wärst?

Handley: Als Musiker schaust du dir manchmal Ärzte, Sanitäter oder Menschenrechtsanwälte an und denkst dir: ‘Eigentlich sollte ich wirklich sowas machen!’ (lacht) Deswegen braucht man manchmal diese Bestätigung seines Werks. Denn das Musizieren kann natürlich ziemlich maßlos wirken. Einerseits gibt man sich auf der Bühne ja ziemlich egozentrisch und selbstsicher, andererseits ist es auch eine sehr verletzliche und fragile Angelegenheit. Man zeigt ja, wie sein Innerstes funktioniert und was einen bewegt.

Ich muss noch eine letzte Warp-Frage unterbringen: Der Schlüssel zu vielen eurer Tracks scheint eine Obsession oder zumindest Passion für Tiere und die Natur zu sein. Aus irgendeinem Grund scheinen euch Motten zu faszinieren. Das erinnert mich an den naturalistischen und psychedelischen Ansatz, dem Boards Of Canada folgen. Siehst du da Gemeinsamkeiten?

Handley: Ich würde nicht sagen, dass wir Naturalisten oder Umweltschützer sind. Natürlich bis zu einem gewissen Grad, aber „Hawkmoth”, wenn du auf den Track anspielst, verarbeitet einfach nur das Gefühl, eine dieser Motten zu sehen. Ich glaube, wir waren in Kroatien und saßen am Flughafen in einer typisch industriellen Umgebung. Es gab dort aber ein paar Blumen, um die einer dieser Falter schwirrte. Die erinnern etwas an Taubenschwänzchen, die sich vom Nektar ernähren, und sind ebenfalls tagaktiv. Es war einfach ein toller Moment, dieses kleine Wesen zu sehen, wie es enorme Massen an Energie aufbringt, um mit den Flügeln zu schlagen. Wir fragten uns dann, wieso diese Wesen überhaupt existieren und in ihrem eher kurzen Leben nichts anderes machen als das. Bei dem Track geht’s also um existenzielle Schönheit. (lacht) Wir versuchen schon, die Natur in manchen Tracks auszudrücken, einfach weil sie Teil unseres Lebens ist. Wir sind aber nicht besessen davon. Ich würde sagen, das ist bei Boards Of Canada weitaus mehr der Fall. Das sind Umweltschützer und Grüne durch und durch. Manche unserer Stücke handeln etwa auch von psychologischen Prozessen oder Trennungen.

Dennoch thematisiert Polymer gewissermaßen den hohen Plastikverbrauch unserer Gesellschaft und der Opener „Meds Fade” ist mit seinem Titel, der sich gegen die überbordende Verwendung von Medikamenten und damit auch gegen die Pharmapolitik richtet, durchaus als politisch zu interpretieren. Seht ihr euch als politische Kombo?

Handley: Plaid war nie offen politisch. In unseren Privatleben sind Andy und ich das aber durchaus. Natürlich hassen auch wir den Brexit und die desaströsen populistischen Bewegungen, die wir momentan erleben. Es gab immer bestimmte Botschaften, die wir als Plaid übermitteln wollten. Das geht mit Instrumentalmusik aber schwer. Oft erschöpft sich das im Titel. Wir versuchen das in unserer Musik aber auch subtiler, wo wir Stimmungen, Gefühle oder intellektuelle Inhalte transportieren wollen. Das ist mit ein paar Bleeps und Drumbeats aber kompliziert! (lacht) Natürlich bleibt es auch immer höchst subjektiv, wie jemand deine Musik interpretiert. Mit dem Titel gibst du also den entscheidenden Fingerzeig. Manche Künstler vergeben allerdings einfach nur Seriennummern, weil sie das nicht wollen. Wir geben in der Regel schon Hinweise, welche Motivationen oder Themen uns zu dem Track bewogen haben.

Pünktlich zur letzten Frage klinkt sich Turner wieder ein.

Euer ewiges Maximalziel ist es, komplett zufrieden mit dem zu sein, was ihr macht. Das treibt euch an, weiterhin Musik zu machen. Ist das denn der Fall mit Polymer?

Handley: So fühlt man sich wohl vor allem, wenn man die Platte gerade fertiggestellt hat. Mit der Zeit schleichen sich dann schon die ersten Zweifel und vielleicht auch Langeweile ein, weil man das Zeug so lange gehört hat. Im Moment sind wir damit aber sehr glücklich. Es passiert ja auch viel drum herum. Remixe, ein Video wird produziert, wir haben ein neues Live-Set, neue Visuals. Das macht alles definitiv aufregender. Die Zeit zeigt aber unweigerlich Mängel auf. (lacht) Darum geht’s aber gar nicht. Als wir das Album schrieben, hat uns das durch und durch erfüllt. Was meinst du, Andy?

Turner: Dem stimme ich total zu. Das läuft ja als konstanter Prozess ab. Wenn du nicht versuchst, dich gegenüber deinen letzten Werken zu verbessern, solltest du es sein lassen. Hoffentlich wirst du jedes Mal etwas besser. Speziell mit diesem Album sind wir durchaus zufrieden. Irgendwann wollen wir aber sicherlich auch versuchen, uns nochmal zu verbessern. Wir sehen es beide als eine Art Handwerk. Umso mehr du mit dem Holz arbeitest, desto besser verstehst du seine Maserung.

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