Acid Pauli & Nico Stojan – Flying Lizard (Ouïe 013)
Drei Jahre gibt es nun Ouïe, das gemeinsame Label von Acid Pauli und Nico Stojan. Fern von Hypes und diversen Retro-Moden sind dort in dieser Zeit ein Dutzend Platten erschienen, die zumeist einen Eindruck hinterließen, der erstaunlich bleibend war. Inzwischen ist sogar kollektiv in weitgehende Vergessenheit geraten, dass Martin Gretschmann, der Mann hinter dem Namen Acid Pauli, einst ein Mitglied der Postrock-Band The Notwist war. Flying Lizard ist die zweite Platte, die er mit seinem Ouïe-Partner Nico Stojan aufgenommen hat. Wieder sind es Tracks für die Clubs geworden, wieder geht es etwas entrückt zu. Und wieder sind da zwischen den Schlägen der Bassdrum jede Menge Details. Während der Titeltrack wummert und pluckert, als seien die späten Nullerjahre einfach weitergegangen, sind die beiden melodieverliebten Stücke „Huch” und „Alambic” die eigentlichen Highlights dieser Platte. Das wohl nervigste Phänomen der letzten 70 Jahre ist dieses 90s-Trance- und Progressive-Revival. Auch diese beiden Tracks können eine gewisse Slo-Mo-Trancigkeit nicht verleugnen. Ist aber schon gut so. Holger Klein
Amato – Mécanismes Vol.1 (Pinkman)
Zum zweiten Mal in seiner Karriere ist The Hacker wieder als Amato unterwegs. Dreckig, eckig, gut sind diese vier Produktionen mit elektronischer Körpermusik. Bei der „Puissance Industrielle“ gleich zu Beginn entsteht der Eindruck, da habe jemand ein paar Kraftwerk-Bänder in giftigem Klärschlamm versenkt. Kaputten, dafür immer noch zielstrebig vorwärtssteuernden Techno liefern die „Trois Machines“, und so richtig heavy wird es beim Stahlwerkgehämmer von „Industrie Lourde“, branchengerecht unter verstärktem Einsatz von schwerem Gerät. Zur Schwerindustrie gehört selbstverständlich auch die Chemie, weshalb der „Sequencer Rouillé” durch die beständigen Säureattacken mit, nun, Acid langsam Rost angesetzt hat und jetzt wunderbar quietscht. Wenn es weiter so schön knallt, ist Techno noch lange nicht tot. Tim Caspar Boehme
Levon Vincent – Dance Music Pt.3 (NS-28)
Levon Vincent bleibt sich treu – auch auf Dance Music Pt.3 baut er seine Beats so minimalistisch wie möglich, verzichtet über weite Strecken auf Hi-Hats und Snares und lässt auf diese Weise viel Raum für Hall, Delays und Assoziationen im Kopf des Hörers. Die werden im ersten, extrem reduzierten Stück lediglich von einem knarzigen Bass und einer melancholischen Synthie-Figur angetriggert, im zweiten von Marimba-Sounds und -Sequenzen, ähnlich wie in „Launch Ramp To Tha Sky”, dem zweiten Stück auf Vincents Debütalbum – hier allerdings noch puristischer und schmuckloser, dafür mit einem für seine Verhältnisse geradezu opulenten Groove mit swingender Hi-Hat! Track drei ist dann noch eine hübsche Dubhouse-Etüde in klassischer Rhythm & Sound-Tradition mit punktuell beängstigend tiefen Subbässen – da freuen sich die Nachbarn! Mathias Schaffhäuser
Peggy Gou – Moment EP (Gudu Records)
Für Peggy Gou geht es ständig nach vorne, und natürlich steil nach oben, und das sicherlich auch bald über die Musik hinaus. Ihr Modelabel Kirin startete ja gerade. Sie ist das Postergirl der House-Musik, mit Fug und Recht. Ihre Tracks haben Pop-Appeal, und zwar in dem Sinne, dass man sie wiedererkennt. Genau das ist eine Disziplin, an der das Gros des restlichen Feldes regelmäßig krachend scheitert, und zwar selbst dann, wenn irgendwer mit einem songorientierten Album zeigen will, wie weit der eigene Horizont ist. Die Moment EP ist die erste Platte der gebürtigen Koreanerin auf dem eigenen Label Gudu. Grundsätzlich hat Peggy Gou an der Formel ihrer Musik nichts geändert. Auch auf diesen beiden Stücken geht es um freundlichen House mit dezentem Retro-Touch und Vocals in der Muttersprache. Die Staubweben, die an solch einem Konzept normalerweise hängen, werden mit Verve weggewedelt. Und während man an einem gar nicht so frühlingshaften Maimorgen seinen Kaffee trinkt, läuft „Starry Night” bei BBC 6 im Radio. Und schon erscheint der Tag wie ein Freund. Holger Klein
SSTROM – Drenched 1-4 (Rösten)
Hannes Stenström (Alias Din Stalker, Teil des Duos SHXCXCHCXSH) legte als SSTROM 2018 auf seinem Rösten-Label das brillante OTIDER vor. Elaborierter Dub-Techno aus Schweden, der einen nicht in düstere Tiefen hinabzieht und dort einsam und allein zurücklässt, sondern auf einen Trip in höchste Höhen äußerster Euphorie emporhebt und begleitet. Geht denn das? Genanntes Album ist der in Bits & Bytes gegossene Beweis. Eine auf fast eine Stunde gezogene Hymne. Auch Drenched 1-4, Nachfolger der 2018er Vitriol EP führt einen wieder in so einen Nichtort, der bloß den Hörer*innen selbst, tief im Innern des Körpers, beim Lauschen der gefühlskalten Musik vorbehalten ist. Das Gehirn wird zum Dancefloor. Drenched 1-4 ist der erste Schwung von drei EPs, die im Drei-Wochen-Takt erscheinen und das gleiche, minimalistische Coverbild zeigen: ein wie von Hermann Nitsch gestalteter Theatervorhang in Rost oder Blutrot, aquatischem Eisblau (wie OTIDER) und in schönem Lila. Part 1-4 vereint frühen Techno mit modernem Minimal und Dub, heftige Beats treffen auf einen äußerst satten Sound mit warmen Flächen und Harmonien. Wie immer äußerst immersiv, lässt die Musik nicht nur Platz für Gefühle, sondern regt sie auch an: Während die erste Nummer noch klingt wie ein Club von außen – tiefe Bässe und vereinzeltes Summen durch die Luftschächte -, hat man sich beim zweiten Track bereits in den Eingangsbereich vorgearbeitet. Die höheren Frequenzen gehen ins Ohr und drehen sämtliche Schalter im Körper um. Danach dreht Stenström den Bass etwas runter, doch die Euphorie bleibt ungebremst. Die letzte Nummer ist dann ein wenig experimenteller, die Drogen kicken rein. Es blubbert und tausend Ameisen bringen die Beine zum Kribbeln. Hält gespannt auf den nächsten Schwung SSTROM. Lutz Vössing