Angel-Ho – Death Becomes Her (Hyperdub)
Im Opener „Business” von Angel-Hos Debütalbum Death Becomes Her gehen Schritte in Schüsse über und verwandeln sich in einen wummernden Bass, unterlegt mit kurzen kehligen Schreien, getrieben vom wippenden Rap, der die fabelhafte Heist-Story der Bossbitch Angel-Ho erzählt: Sie besorgt Cash, befreit eine Ex aus dem Gefängnis, cruist mit einem Porsche durch die Gegend und wirft mit Markennamen wie Gucci und Balenciaga um sich. Das Brand-Dropping referiert nicht nur auf aktuelle (T)Rap-Tracks, sondern kommt auch aus der Harlemer Ballroom-Kultur. Angel-Ho übersetzt ihr queeres Begehren in Soundfantasien: Auf die Frage, ob sie Musik für den (queeren) Ballroom macht, kontert sie: „Meine Musik ist für den Laufsteg des Lebens. Die Musik soll dir das Gefühl geben, dass du die Welt beherrschen kannst und tun kannst, worauf du Lust hast. Es geht darum, Menschen zu empowern.“
Angel-Ho wurde durch ihre eklektischen DJ-Sets und als Mitbegründerin des transnationalen Künstler*innen-Kollektivs Non Worldwide bekannt. Non Worldwide gründete sie 2015 mit Chino Amobi und Nkisi. Das Kollektiv verstand sich als Bewegung, Label und künstlerischer Accelerator für Musiker*innen aus verschiedenen Ländern Afrikas sowie der Diaspora. Mit Sound als primärem Medium leistete Non Widerstand gegen Hyperkapitalismus, binäres Geschlechterdenken, westliche Repräsentationssysteme und Polizeigewalt.
Auf ihrem Debutalbum Death Becomes Her verwebt Angel-Ho globale popkulturelle Hinterlassenschaften mit Elementen subkultureller Performances wie Voguing. Dabei offenbart die Südafrikanerin ein exzessive Kenntnis aktueller Popdiskurse. Dennoch sollte die Produzentin, DJ und Sängerin nicht auf ihre theoretischen und queeren Bezüge reduziert werden, denn Angel-Ho entwickelt neben all den Referenzen einen ganz eigenen Sound. „Ich erschaffe die Welt von Angel-Ho“, sagt sie: „Dabei versuche ich Musik zu entwerfen, die mir erlaubt, meine eigene Ikone zu sein.”
Durch Gesang, Sampling und den kollektiven Arbeitsansatz schafft es Angel Ho, ganz verschiedene Sounds miteinander zu verbinden: So stehen der trippig-klirrende Clubtrack „Drama” und der Radiohead-artige Lo-Fi-Track „Parachute” sowie die experimentelle Funknummer „Jacomina” gleichberechtigt neben Rap-Tracks wie „Business” oder „Like A Girl”.
„Pose” ist ein pinker Hightech-Traum aus Computerspielanleihen und Voguing-Posen. Video und Song beginnen mit sanftem Glockenläuten, sakralartigem Summen und leisen Trommelschlägen, die durch Pauken gesteigert werden, um nahtlos in einen poppigen Raptrack überzugehen. Angel-Ho rappt über Britney Spears, Tyra Banks, die Teletubbies und Chanel. Die mit Bedeutung aufgeladenen Popsymbole decodiert sie durch ihre avantgardistischen Kostüme, ihre pinke Ästhetik und mit ihren Wortspielen. Es scheint, als töte sie Pop, um ihre eigene Perspektive zu erschaffen.
Die spärlichen Beats vermengen sich mit den wiederkehrenden Soundeffekten des Intros. Während Instrumente, Samples und die Backgroundstimme eher clean produziert sind, ist ihre Stimme vergleichsweise roh und steht im Zentrum des Tracks. Die Produzenten Gaika und Bon erzeugen durch ihr Arrangement einen Kontrast zum gängigen Produktionsstandard, der mittlerweile kaum mehr natürliche Makel zulässt. Aufgrund der reduzierten Bearbeitung erhält ihre Stimme erst richtig Strahlkraft.
Songs wie „Jacomina” und „Live” zeigen, dass ihr musikalisches Spektrum nicht auf bestimmte Genres beschränkt ist. So kommt der gezupfte Bass in „Jacomina” im ersten Moment wie eine Jazzimprovisation rüber. Doch die verzerrten Synthie-Klänge und das elektronisch-noisige Rascheln geben dem Song einen experimentellen Charakter: „Ich wollte die Grenzen eines Funksongs ausreizen“, erzählt sie. Hyperdub-Gründer Steve Goodman alias Kode9 sah in „Jacomina” den Ausgangspunkt für ein Album.
„Live” ist genial, weil es scheinbar dilettantisch ist. Effekte kommen sich in die Quere, Gesang kollidiert mit Rhythmen, quietschend flechtet sie als krönende Spitze den Bee Gees Klassiker „Stayin’ Alive” ein. Der Song steckt voller Ideen, die alle gebrochen werden. Der Song ist kompromisslos, spannend und heftig, und er schießt vor allem quer. „Live” kam auf die Welt wie ein schreiendes Baby, das auf die Bühne springen will.”, sagt sie: „Der Song vermittelt einen Taumel der Gefühle zwischen wütendem Verlangen und purer Verzweiflung.“ Nadine Schildhauer