Alle Fotos: Presse (Sacha Mambo)

In seinem Leben mit Musik hat der aus dem französischen Lyon stammende DJ und Produzent Sacha Peinetti alias Sacha Mambo schon viele stilistische Transformationen erlebt. Ebenso sein Label Macadam Mambo, das sich dank seiner genreübergreifenden Musikleidenschaft von der Edit-Zone hin zur Adresse für freimütige, keinem genuinen Stil unterworfene Dance-Not-Dance-Musik aus dem Jetzt entwickelte. Groove traf Sacha Mambo in einer Freitagnacht in Berlin-Neukölln und führte mit ihm und ein paar seiner Kollegen ein Gespräch über Musik, das Leben mit ihr und die stetige Energie, die von ihr ausgeht.

„I got a freaky style and there is love in my eyes, this town is really low, small town kills you slow” sang die deutsche Band Any and the Bodies im Song „Small Town Kills You Slow” 1990. Sacha Mambo kennt das Postpunk-Lied zwar nicht, aber das in ihm formulierte Lebensgefühl ist ihm absolut vertraut. Es beherrscht ihn als Teenager selbst, als er sich erstmalig durch Punk, MTV, HipHop und den Soundtrack von Skateboard-Videos zur Musik hingezogen fühlt, den Grundstein für seine große Plattensammlung legt und auf seinem Skateboard gelangweilt durch seine Heimatstadt Lyon kurvt. „Heute liebe ich Lyon, weiß das Kleinstädtische, das Überschaubare, die Lebensqualität hier sehr zu schätzen und kann mir nicht vorstellen, anderswo zu leben. Aber als Teenager wollte ich hier nur raus. Hier gab es damals nichts. Am Wochenende waren die Straßen ab sieben Uhr leergefegt wie in einem Western kurz vor dem Showdown. Ich träumte damals nur davon, in Paris zu sein.“

„Ich bin wie ein Junkie. Ich brauche jede Woche einen Vinyl-schuss.“

Nach der Schule zieht er 1999 gleich los in die Seine-Metropole und besucht eine Filmschule, um später als Dekorateur bei Kinoproduktionen zu arbeiten. Und um sich fallen zu lassen in eine Stadt, die zu diesem Zeitpunkt in puncto Clubkultur nicht viel zu bieten hat. „Es gab kaum etwas, das musikalisch spannend war. Ein paar Bars und das Rex sowie den Pulp Club um Ivan Smagghe, Jennifer Cardini, Chloé und Fany Corral. Das waren die wenigen spannenden Adressen. Dort habe ich eigentlich erst richtig Clubmusik verinnerlicht. Das war bei einer Party im Pulp, zu der Jennifer Cardini Michael Mayer eingeladen hatte. Pulp war ja ein lesbischer Club, ließ aber alle möglichen Gestrandeten rein. Dadurch ergab sich eine alle Gesellschaftsschichten überspannende Demographie, die oft sehr bewegend war. Da habe ich diese Magie, die im Club manchmal entsteht, erstmalig erlebt. Ich habe dann auch viele der ersten Kompakt-Veröffentlichungen gehört. Und Matias Aguayo, Nathan Fake, James Holden und Border Community sowie Miss Kittin und Drum’n’Bass“, verrät er mit bewegtem Gesichtsausdruck, während er gedankenverloren in einem spanischen Lokal in Neukölln an seinem Weinglas schlürft.


Stream: Sameheads Tape Collection – The Esoteric Side of Sacha Mambo [Mix]

Im Gespräch mit Produzent, DJ und Kashual Plastik-Labelmacher Frank Glier aka Frans Æmbient und DJ André Pahl ist Sacha Mambo auskunftsfreudig und schämt sich auch nicht, Themen anzuschneiden, die in Diskussionen zur Musikkultur nur selten zur Sprache kommen. Zum Thema Plattensammeln erklärt er zum Beispiel: „Ich bin wie ein Junkie. Ich suche immer nach dem nächsten Schuss. Wenn ich eine Woche nicht nach Neuem suche, werde ich nervös. Ich denke oft: das ist nichts anderes als Sucht. Und wenn du viele Platten hast, kommt das Wissen hinzu, dass du sie nie alle in diesem Leben erneut hören wirst. Aber trotzdem kaufst du sie. Sicherlich können hier Begriffe wie Passion, Sammelleidenschaft oder musikalische Archäologie herbeizitiert werden. Aber wer ehrlich ist, dem ist auch klar, dass er nichts anderes tut als Menschen, die an Kaufrausch leiden! Ich brauche jede Woche einen Vinyl-Schuss und der Antrieb dahinter ist schon fragwürdig.“ Gedanken, die jede*r, der*die sich – angetrieben von was auch immer –  im Dschungel der Vinylwelt bewegt, wohl ebenso schon einmal gehabt hat. Sacha Mambo versucht, der leidenschaftlichen Musikabhängigkeit heute etwas zu widerstehen und ist derzeit dabei, seine knapp 8000 Platten umfassende Sammlung um 2000 Exemplare zu erleichtern. „Was nicht einfach ist, denn manchmal verbindest du mit nur einer Minute Musik so viel Emotionen und Erinnerungen, dass du die Platte nicht abgeben kannst“.

Seine Liebe zum Vinyl entfaltet sich während seiner Zeit in Paris erst richtig und lokale Plattenläden wie Katapult und später Syncrophone, deren angeschlossener Vertrieb bis heute sein Label Macadam Mambo vertreibt, werden zu seiner regelmäßigen Anlaufstelle. Er freundet sich zudem mit Leuten von Labels wie Karat und Kill The DJ, die als erste Ricardo Villalobos nach Paris holten und Künstler wie Ark oder Chloé veröffentlichten, an. Um das Jahr 2003 startet er auch eigene Partys mit Freund*innen als Kollektiv Macadam Mambo, fängt mit dem Auflegen an und entwickelt den Wunsch, Musik zu produzieren.


Stream: MZKBX – Everything Is Possible… Or Not

Unter dem Alias MZKBX veröffentlicht er schließlich ab 2009 Tracks, die sich zwischen Techno, Electronic und House bewegen und auf Labels wie Fluofluid oder Karat erscheinen. Auf letzterem kommt 2014 auch sein bis dato einziges Soloalbum From This Desire heraus, mit dem er seine stilistische Palette um Acid und Downtempo erweitert. „Das Album kam an einem Wendepunkt. Ich war zurück in Lyon und mein musikalischer Geschmack hatte sich wieder mal gewandelt. Wir stiegen damals gerade mit Macadam Mambo tief ins Edit-Universum ein.“, sagt er heute über die Zeit, als sein Debütalbum erschien. Jenes bewertet er nach einer Phase der persönlichen Entfremdung heute aber positiv. „Eine Zeit lang wusste ich rückblickend nicht, was ich von meinem Album halten soll. Irgendwie mochte ich es nicht mehr so. Vielleicht, weil ich es bei seiner Entstehung im Loop hörte. Vielleicht auch, weil es kaum Feedback gab. Was auch zu erwarten ist, wenn du einen Künstlernamen wie MZKBX wählst. Aber heute spiele ich es von Zeit zu Zeit wieder. Es ist ein Amateuralbum, bei dem ich alles bis hin zum Artwork selbst gemacht habe. Es hat stilistisch auch keinen roten Faden. Acid, Chicago, Deep House, Downtempo, Detroit Techno und sogar melodischer Synth-Pop – alles ist drin.“ erläutert er. So, wie sich Sacha Mambo stilistisch beim Plattenkaufen stets vom Herzen und nicht vom Zeitgeist antreiben lässt, benimmt er sich auch als DJ, Produzent und Labelmacher. „Ich hatte nie eine konkrete Vorstellung einer möglichen Karriere. Ich versuche einfach, meinem Instinkt und meinen Gefühlen zu folgen und mich so darzustellen, wie ich bin, als Musikliebhaber. Deshalb ist Ehrlichkeit vielleicht der einzige rote Faden in meiner Laufbahn. Natürlich ist das für Leute etwas verwirrend, da ich in keine Genre-Kiste passe. Aber damit kann ich gut leben.“

Sacha Mambo im I-Boat in Bordeaux.

Bereits 2010 war er in die Heimat zurückgekehrt, um als Tischler im väterlichen Betrieb in der Holzverpackungsindustrie zu arbeiten. Nebenbei startet er direkt eigene Partys. „Ich machte weiter mit Events in einem kleinen Club namens L’Ambassade, weil ich sonst nirgendwo hätte spielen können. Ich musste mir selbst einen Abend kreieren. Der Club ist heute 25 Jahre alt, und ich habe ihm viel zu verdanken. Ich habe damals Leute wie Samo DJ und L.I.E.S.-Künstler *innen gebucht. Sowas gab es zu der Zeit in Lyon nicht, und wir haben viel Aufmerksamkeit erregt.“ 2012 gründet er schließlich mit seinem Kumpel Guillaume Des Bois das Label Macadam Mambo, das zunächst nur Edits aus der Sphäre rarer Disco-Musik aus aller Welt veröffentlicht.

Ab 2013 verlegt er seine Partys in den neuen, dem Festival Nuits Sonores nahestehenden Club Le Sucre und bucht Künstler wie Traxx, Shackleton oder Anthony Naples. Doch der Wechsel von einer Venue für 150 zu einem 800 Leute fassenden Club funktioniert nicht mit der Musik, die er sich für seine Nächte vorstellt. Nach zwei Jahren stellt er seine Residency ein, spielt dennoch öfters im Le Sucre als Opener für Künstler wie Laurent Garnier oder DJ Harvey und widmet sich ganz seinem Label. „Wir hörten viel Disco, als wir das Label starteten und so haben wir einfach Edits gemacht. Es war cool. Wir haben uns eigene Tools produziert. Wir waren ein Piratenlabel und haben einfach alles veröffentlicht. Dass alles populär wurde und das Label immer noch existiert, lag nur daran, dass DJ Harvey unsere erste Veröffentlichung in einem ‚Beats In Space’-Mix gespielt hat. Wir haben mit 300 geplant und dann plötzlich 800 verkauft. Das war Glück. Danach lief das Label. Und das, obwohl wir keine typischen Disco-Edits veröffentlichten“. Das Label selbst versteht er ganz wie seinen eklektischen Musikgeschmack: als Pool für diverse Sounds von Disco, House, Techno über Synth-Pop bis hin zu experimentellem Acid, Industrial, Downtempo und Synthwave. Dafür hat er sogar Untersektionen wie Macadam Mambo Trax gegründet, die er selbst „Serien“ nennt und nur deshalb eröffnet, damit die Edits stärker von den neuen Produktionen unabhängig wahrgenommen werden.

„Das Persönliche, der enge Kontakt zu Künstlern, macht für mich mehr aus als Verkaufserfolge. Geld verdient man eh keins.“

Produzenten aus Japan wie Takeshi Kouzuki, Freunde wie der in Paris lebende Belgier Raphael Top Secret oder Dunkeltier aus Dresden, auch als Sneaker bekannt, geben dem Label einen internationalen, ungewöhnlichen, schwer greifbaren Touch. Irgendwann will Sacha Mambo dann die Veröffentlichungen in eine zeitgenössische Richtung wenden, die seinen neuen Bekanntschaften wie der in Berlin lebenden italienischen Produzentin Eva Geist oder dem aus Lyon stammenden Duo The Pilotwings mehr Raum gibt.

Das Camp Cosmic Festival sei entscheidend für die aktuellen Aktivitäten des Labels mitverantwortlich, erzählt Mambo: „Da habe ich viele Künstlerkennengelernt, und es ist eine Community entstanden, die teilweise bei uns veröffentlicht. Sie alle machen spannende zeitgenössische Musik und sind Freunde. Das ist mir wichtig, denn das Persönliche, der enge Kontakt zu Künstlern, macht für mich mehr aus als Verkaufserfolge. Geld verdient man eh keins. Deshalb arbeite ich mit Leuten zusammen, die ich kenne. Andrea Noche (Eva Geist, Anm. d. V.) ist für mich mittlerweile wie eine Schwester.”


Stream: S.M. – Noir Dehors

Von Sacha Mambo selbst kamen auf seinem Label in letzter Zeit nur zwei Tracks auf dem Danzas Electricas Vol. II-Sampler, der bewegende IDM-, Experimental- und Post-Industrial-Stücke von Künstler*innen wie dem aus Vilnius und Kopenhagen stammenden Produzenten Konsistent beinhaltet. Zudem hat er kürzlich Musik bei dem in Rotterdam ansässigen Label Bar, das zum gleichnamigen Club gehört, veröffentlicht, die seine Liebe zu House in seinen diversen Spielarten dokumentieren. „Seit ungefähr drei Jahren finde ich die Rolle als Labelmanager interessanter als die des Produzenten. Ich habe mehr Leidenschaft Künstler, zu entwickeln, als meine eigene Musik voranzutreiben.“ erläutert er zu seinem spärlichen Output als Produzent. Mit wie viel Herzblut er Labelboss ist, zeigt sich dafür in den zukünftigen Alben-Veröffentlichungen auf Macadam Mambo: Die Lyoner Band Ashinoa macht Krautrock, das italienische Bruderpaar Two Monkeys rettet Post-Punk und New Wave zackig ins Hier und Jetzt, und der Istanbul lebende, deutsche Produzent Houschyar verfolgt einen perkussiven, klangverliebten New Wave-Sound. Viel Material, das sich keinem Stil unterwirft, genau deshalb den eklektischen Zeitgeist trifft und sich an für Experimente offene DJs, Clubs und Partyveranstalter*innen wendet, die ihr Wirken als Kulturschaffende und nicht als Musikindustrie verstehen.

„Ich mag Tools. Deshalb haben wir ja auch nach wie vor Editplatten wie die ‚Danzas Electricas Vol. I’. Das ist auch Musik, die immer funktioniert, da es Tools für den Club sind. Ich möchte aber auch Menschen bewegen, die sich zu keinem tanzbaren Musikdiktat hingezogen fühlen. Zum Beispiel mit Progrock oder experimentellen Industrial. Das verkauft sich nicht gut, aber diejenigen, die es kaufen, spüren diese ganz spezielle Energie, die von Musik ausgeht, die besonders und individuell ist. Die den Künstler und seine Zeit widerspiegelt“, erklärt Mambo irgendwann kurz nach Mitternacht.

Danach bricht er zur Neuköllner Bar Sameheads auf, um noch kurz Freund*innen wie Elena Colombi und Nosedrip zu sehen, bevor er selbst irgendwo in der Nachbarschaft auf einer DIY-Party auflegt und den Gästen erhellende Emotionen spendet, die so nur überraschende Musik erzeugen kann. Über die redet er stets gerne und jeder, der ihn in seinem Stammcafé Le Voxx am Pont de la Feuillèe im Zentrum von Lyon zufällig trifft, kann ihn ruhig darauf ansprechen. Er wird sicherlich auf ein Gespräch eingehen und seine*n Gesprächspartner*in mit seiner ehrlichen, energiegeladenen Musikleidenschaft anstecken. Schließlich steckt die Magie von Musik nicht nur in ihr selbst, sie lebt auch in den Worten derer weiter, die ihr völlig ergeben sind. Wer das nicht glaubt, der sollte mal mit Sacha Mambo reden.

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