Über das Berghain wird traditionellerweise viel geredet, mehr noch wird darüber geschrieben. Keine Lokalzeitung aus einem Umkreis von gut 300 Kilometern, die nicht schon mal jemanden hingeschickt hat, um zu schreiben, wie es dort ist: in der Schlange, unter dem prüfenden Blick der Selectors an der Tür, beim ersten Betreten des imposanten Berghain-Floors oder im MDMA-befeuerten Laberflash mit fremden Menschen auf dem Balkon über der Panorama Bar. Weil vom Berghain selbst so gut wie nie etwas zu diesem Durcheinander aus Stimmen, Perspektiven und Clickbait-Klatsch beigetragen wird, hat sich ein verwirrendes Diskursgeflecht um den Club ausgebreitet, eine Art Mythos ohne Narrativ. Mit Die Clubmaschine (Berghain) haben Jorinde Schulz und Kilian Jörg aus dem Umkreis des Kollektivs philosophy unbound einen Beitrag zur “Kleiner Stimmungs-Atlas in Einzelbänden”-Serie des Textem Verlags vorgelegt, das sich allein schon dem Titel nach an der Philosophie von Gilles Deleuze und Félix Guattari ausrichtet und dementsprechend, na ja, rhizomatisch geschrieben ist. Es legt Zeugnis davon ab, dass das Berghain mit all seinen negativen und positiven Werten zu einem gesamtgesellschaftlichen Fetisch geworden ist und will genau das zu seinem Gegenstand machen.

Schon das Eröffnungskapitel “Methode” beginnt mit einem schwammigen politischen Versprechen: Das Duo möchte untersuchen, was “in Detroit als Underground Resistance gegen strukturelle Diskriminierung begann” und mittlerweile ein durch und durch von Verwertungslogik völlig ergriffenes Business ist, das völlig Mainstream-kompatibel geworden sei. “Devianz und Differenz sind keine Bedrohung mehr, sondern können zum Produkt umgeformt und gewinnbringend abgeschöpft werden”, heißt es zwischendurch über den kapitalistischen Clubrealismus, der in seiner Produktion von Ideologie und nicht zuletzt Kapital untersucht werden soll. Das Berghain ist als “Clubmaschine” ein “wirkungsvoller Hybrid”, eine “Sozialplastik” aus “Sprachen und Symboliken aus allen Ebenen und Zeiten der Technokultur”, in der sich “neue Formen der Funktionalisierung und Maschinisierung von Pop- und Gegenkultur” verdichten. Schreiben zumindest Schulz und Jörg, die allerdings zugleich “keine externe Kritik” am Club üben wollen, sondern nur den Mythos verschriftlichen, ein “Hybrid aus Erzählung und Analyse” schaffen, “das genauso viel Fiktion wie Wahrheit enthält.” Alles geht, nichts muss.

Mit Nietzsche im Berghain
Dementsprechend heterogen ist das Buch geschrieben oder besser gesagt zusammengesetzt, genauer im Theweleit-meets-Meinecke-Style aus montierten Versatzstücken zusammengewerkelt: Prosaische und vermutlich fiktive Passagen wechseln sich mit Copy-and-Paste-Wiedergaben aus dem Berghain gewidmeten Facebook-Gruppen und Zitaten aus der Standardliteratur der Clubgeschichte – Rainald Goetz’ Rave, Tobias Rapps nunmehr zehn Jahre altem Lost and Sound, DJ Sprinkles-Interviews und -Voiceovers – oder den kultur- und kapitalismuskritischen Gassenhauern von Deleuze und Guattari oder Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Dialektik der Aufklärung ab. Diese Vorgehensweise hat einige eindeutige Vorteile (weniger Denk- und Schreibarbeit, ein lebendigeres Textbild) und vielleicht noch mehr Nachteile (gegen den Goetz der Rave-Phase wirkt alle andere Techno-Prosa leichenblass, eigene Gedanken wirken immer höchstens epigonal).

Vor allem aber ist sie gerade wegen der sehr kanonischen Selektion (Nietzsche, Leibniz und Spinoza dürfen auch mal ran) der theoretischen Einschübe ebenso unverfänglich wie die wirr tänzelnden Worte im scheinakademischen Passus zur “Methode” von Schulz und Jörg: Während hier noch das Berghain als straff nach neoliberal organisierten Prinzipien organisierter Club gezeichnet wird, geht es im nächsten Moment schon langatmig darum, wie geil darin doch alles sein kann. Beides mag an sich stimmen, wird aber vermischt und mit prätentiösen Truismen wie “Berghain-Erlebnisse ähneln der Masturbation: Sie fühlen sich unheimlich privat an, sind dabei aber universell und austauschbar” versetzt. Das Resultat ist ein heilloses Durcheinander, das seine unterschwellig schwelende Kritik am “Maschine-Werden” im Berghain, in Berlin und dem globalen kapitalistischen (Sur-)Realismus als Ganzem entweder nicht konkretisieren will oder sie immer wieder aufschiebt. Der etwas nachtreterische Nachtrag zum Buches, das Berghain habe den Demo-Aufruf zu “AfD wegbassen” im Sommer 2018 nicht unterzeichnet, entlarvt dann erst am Ende den eigentlichen Vorwurf: Der Club schafft als apolitischer Raum zwar libertäre Möglichkeiten, fördert aber genauso die neoliberale Entpolitisierung der Subjekte, die ihn durchlaufen.

“Was passiert, wenn das Abweichende cool und konsumierbar ist?”
Auch die Stilmelange hat allerdings ihre charmanten Aspekte. Gerade die lebhaft aus der Egoshooter-Perspektive geschriebenen Rave-Berichte haben nicht selten etwas Mitreißendes. Wer Ähnliches erlebt hat, wird darin gute Erinnerungen wiedererkennen, wer nicht, wird sich danach sehnen. Und letztlich läuft ein erkennbar theoretisch-argumentativer Faden durch das Buch, welcher sich wie im MDMA-High von einem Gedanken zum nächsten labert, immer getrieben von den zentralen Fragen: “Was passiert, wenn man das Paradox zur Maschine macht? Was passiert, wenn das Abweichende cool und konsumierbar ist? Was ist, wenn der Prozess der Aneignung so schnell geschieht, dass er sich nicht mehr vom Abweichen von der Norm unterscheiden lässt?” Die Antwort darauf nur lautet leider, und darin liegt der große performative Widerspruch des Projekts, dass dann schnell Bücher über einen Club wie das Berghain geschrieben werden, die es als “Gesamtkunstwerk (…) mit allen Misstönen gut klingen lassen” wollen, wie noch im “Methoden”-Kapitel gewortwitzelt wird. Als Metonymie für die Beschissenheit unserer schönen neuen Welt werden der Club und das Schreiben darüber gleichermaßen zum Kippspiel.

Die Clubmaschine reiht sich in viel überdehntes Geschreibsel über das Berghain ein und macht es nur insofern besser, als dass es als Buchprojekt das Dilemma aller analytisch-kritischen Betrachtungen von Rave mit all seinen physisch-psychosozialen Erfahrungen und dem Getriebe der dazugehörigen Subkultur oder dem kapitalistischen Realismus als solchem zum Ausdruck bringt: Es lässt sich schwerlich nur von innerhalb drüber sprechen, aber auch nicht rein von außerhalb. Dass es nun einerseits die Kommodifizierung der Clubkultur und sie selbst beziehungsweise des Berghains als Fetisch markiert, bedeutet nur eben nicht, dass es diesem Fetisch nicht anheim fallen würde. Schließlich geht es eben ums Berghain – und nicht um einen anderen Club. Das hält das Buch noch deswegen aus, weil es diesen Widerspruch in jeder erdenklichen Form herausstellt. Es ändert jedoch nichts daran, dass Die Clubmaschine deswegen geradezu zwangsläufig keinen substanziellen Beitrag über einerseits den Berghain-Mythos oder die immer schon vorhandene Vereinnahmung von Clubs durch die Außenwelt vorbringt.

Die Clubmaschine (Berghain) von Jorinde Schulz und Kilian Jörg ist im Textem Verlag erschienen.


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Kristoffer Cornils war zwischen Herbst 2015 und Ende 2018 Online-Redakteur der GROOVE. Er betreut den wöchentlichen GROOVE Podcast sowie den monatlichen GROOVE Resident Podcast und schreibt die Kolumne konkrit.