5Anthony Linell – Sculpting Energy (Northern Electronics)


Gefühlte neunzig Prozent des aktuellen Techno sind entweder mehr oder weniger gelungene Nachbauten vergangener Großtaten oder einer Düsternis verpflichtet, die in ihrer Eindimensionalität oft nur noch hohl und zunehmend auch schlicht kitschig ist. Wenigen Künstlern gelingt es, im – zugegeben – bis auf die letzten Halme abgegrasten Feld dieser schönen Musik noch eigene und neue Akzente zu verleihen, und Anthony Linell gehört definitiv zu diesen Ausnahmen. Auf Sculpting Energy führt er seinen persönlichen Ansatz zwischen hochverdichteter Funktionalität und Energie einerseits und schwer fassbarer, subtiler Schönheit und Intimität andererseits fort und umschifft dabei weitgehend den Genre-Baukastens. Wer bisher nur sein Abdulla Rashim Projekt kannte, wird auf Sculpting Energy eine betörend-inspirierende Anknüpfung finden. Mathias Schaffhäuser

4Anthony Shakir – The 5% Solution (Metroplex)


Ein sehr früher Anthony Shakir wird von Metroplex wieder aufgelegt. Diese unter seinem
Shake-Alias erschienene EP von 1993 birgt mit dem Titeltrack “The 5% Solution“ einen
dieser Ausraster aus schlichten Zutaten, die, sorgsam zusammengefügt, ein komplexes
Ungetüm voll zerrender Kraft ergeben, bei der die rohe Produktion für weitere Energiezufuhr sorgt und diverse Breaks die Entwicklung in verschiedene Richtungen beweglich halten. Reduzierter, dafür mit umso gnadenloser durchgeschütteltem Bass klingt dann „Mindless Entertainment“. Ein hämmernder Drumcomputer-Freakout und schlierige Akkorde garantieren in „Day of Reckoning“ anhaltende Begeisterung, und bei „My Name Is Binky“ kommen sogar Bleeps zum Einsatz. Rundum-glücklich-Paket. Tim Caspar Böhme

3Circle Of Live – Live At Freerotation 2018 (Circle Of Live Recordings)


Elektronische Tanzmusik als spontanes kollektives Live-Event? Doch, das geht, und zwar
ziemlich großartig. Der schwedische Produzent Sebastian Mullaert, Szenekennern bekannt
durch sein Projekt Minilogue und Veröffentlichungen auf Cocoon oder seinem eigenen Label
WaWuWe hat sich für die programmatische Plattform Circle Of Live mit Mathew Jonson,
Dorisburg, Johanna Knutson und Steevio im Rahmen des diesjährigen Freerotation-Festivals zu einem Dreamteam der organischen Klangverzauberung zusammengeschlossen. Dort bespielten sie einen Tag lang eine eigene Stage. Die fünf Ausschnitte verarbeiten die aus dem Jazz stammende Improvisation zu einem vibrierenden und spirituellen Gesamtkunstwerk. Tatsächlich hört man immer wieder Elemente der Cobblestone Jazz-EPs oder der Mullaert´schen Naturkulisse raus – und doch sind die fünf Tracks mehr als die Summe der einzelnen Teile. Jochen Ditschler

2PSSU – 307309/ Fabricated From Steel (Drone)


Frostig-forsch scheppert der übersteigerte Electrofunk-Track „307309“ auf dem Debüt des
Duos PSSU aus den Speakern, von Korrosion befallene metallische Drums dreschen
umstandslos direkt auf die Nervenbahnen ein, die Hookline weder Ravesignal noch
Wolfsgeheul, sondern ziemlich genau in der unwahrscheinlichen Mitte dazwischen. Eine
griffig unbehagliche Formel, die Death In Vegas-Mastermind Richard Fearless mit seinem
neuen Partner Daniel Avery auf der Flipside der auf 500 Kopien limitierten,
handnummerierten Maxisingle umgehend in wie in Stahl stranggepressten Techno mit elliptisch kreisenden Flangersounds und Echofolterkammerfalltüren ummünzt. Über bestimmte, kontrastierende Materialeigenschaften des Stahls, seine kathartische Härte, seine schlanke Biegsamkeit, erzählen Fearless und Avery schweigend von Zuständen innerer und äußerer Beklemmung, einmal in Form einer akustischen Vignette hypnotischer Klaustrophobie, einmal als Klangskulptur existenzieller Verlorenheit. Harry Schmidt

1SVN – 2006-2014 (Acido Records)


Sven Rieger aka SVN, der oft auf dem eigenen Label SUED veröffentlicht, findet sich nun auf Acido Records, Plattform des Freundes und gelegentlichen Studiokollegen Dynamo Dreesen, wieder. Ein Austausch, der auch in der anderen Richtung wegen der persönlichen und klanglichen Nähe der beiden Analog-Liebhaber keine Seltenheit ist. Die Liebe zur Maschine verliert sich hier jedoch nicht wie sonst oft in ziellosem Gear-Circle-Jerking, sondern dient als Mittel zum Zweck. Und dieser ist es, eben jenen warmen und meditativen, oft träumerischen Sound zu vermitteln, mit dem sich SVN in den letzten Jahren zunehmend einen Namen gemacht hat. Es sind einerseits farbenfrohe, gleichzeitig aber auch mit einer leichten Staubschicht bedeckte Landschaften, die hier beim Hören vor dem inneren Auge vorbeiziehen. Bunte Singvögel, sicher auch ein paar herumwehende Frühlingsblüten – alles wuselt hier aufgeweckt um-, in- und durcheinander, ohne dass dabei die geringste Hektik aufkommt. (Benjamin Kaufman)

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